Und dann war Totenstille. Rainer Ballnus

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Und dann war Totenstille - Rainer Ballnus

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genau neben einer riesigen Tanne. Mehrmals hatte er bereits nach oben in den Himmel geschaut, und ihm war regelrecht schwindelig geworden. Über seinem Kopf schien sich der Himmel zu drehen. Plötzlich klingelte sein Handy, und als habe er darauf gewartet, griff er schnell in seine Hosentasche und presste wenig später das Mobiltelefon an sein Ohr, denn genau in diesem Augenblick fuhr offenbar wieder ein Laster mit großem Getöse die recht hügelige Straße entlang. Nach kurzem Hineinhören sagte er: „Okay, ich weiß Bescheid. Was? Ja, verdammt!“

      Seine Stimme klang verärgert. Genau so schnell, wie er das Handy aus seiner Hosentasche gezaubert hatte, so schnell war es auch wieder in ihr verschwunden.

      „Na, denn wollen wir mal“, murmelte er.

      Bevor er am Fuße der Tanne in die Knie ging, lauschte er angestrengt. Doch er nahm nur die natürlichen Waldgeräusche wahr. Der Lastwagen war längst nicht mehr zu hören.

      Baader ging mit seinem Körper betont lässig in jeder Kurve mit seiner Maschine mit, die Oberschenkel eng an den Tank gepresst. Wie lange hatte er sich auf diesen Moment gefreut. Er genoss es, an die Hügelkuppen mit Vollgas heranzubrausen, auf der Spitze für einen Moment den Boden unter den Rädern zu verlieren, um dann wieder mit dem Fahrwerk aufzusetzen und erneut nach unten zu brausen. Bei dem wenigen Straßenverkehr war das Risiko eines entgegenkommenden Fahrzeugs kalkulierbar. Weit und breit war niemand zu sehen, und mit einem kurzen Blick in den Rückspiegel vergewisserte er sich, dass auch niemand hinter ihm fuhr. Besonders freute er sich auf die nächste Rechtskurve der leicht abschüssigen Fahrbahn. Der Hotelier, der seine Freiheit wieder gewonnen hatte, gab auf der Geraden Gas und das nicht zu wenig. Er schaute kurz auf die Armaturen und als er den Blick wieder hochnahm, lag vor ihm die Rechtskurve. Elegant legte er sich mit der Maschine nach rechts, ein wenig zu weit, denn die Fußraste schrammte leicht den Asphalt und versprühte einige Funken, doch er schaffte es, nicht aus der Bahn geworfen zu werden, und wollte gerade ausgangs der Kurve beschleunigen, da tauchte in seinem Gesichtsfeld urplötzlich ein gespanntes Seil auf, genau in seiner Augenhöhe. Bevor er überhaupt irgendwie reagieren konnte, bremste dieses Seil etwa in Kinnhöhe abrupt seine Fahrt. Es riss ihn von der Maschine, und innerhalb von Sekunden war sein Körper von der dicht bewachsenen Böschung am rechten Fahrbahnrand aufgenommen und verschluckt worden. Das Motorrad war zeitgleich noch ein paar Meter ohne ihn weiter gefahren und dann ebenfalls nach rechts in die Böschung hinabgestürzt. Nur wenige Sekunden später erstarb der Motor der Maschine. Und dann war Totenstille. Nicht einmal der Waldkauz schrie.

      „Schatz, ich weiß nicht…wenn nun doch jemand kommt.“

      Die junge Frau hielt inne und lauschte.

      „Aber Bienchen, Liebes, wer sollte uns hier stören? Sieh dich doch um. Alles nur Wald und viele, viele Büsche. Kein Mensch weit und breit. Vielleicht ein Hase oder ein…“

      „Ach Thorsten, Liebster, du hast ja recht. Ich sehe überall Gespenster. Und dabei ist es doch nur wichtig, dass wir zusammen sind!“

      Sie umschlang ihren heimlichen Geliebten, und sie küssten sich lange und intensiv. Plötzlich löste sie sich von ihm und schaute erschrocken nach rechts.

      „Hörst du, Toddy, da kommt ein Auto!“

      Ihre Stimme klang aufgeregt und schrill.

      „Aber Bienchen. Das ist doch nur die Straße, auf der wir auch gekommen sind, nach Schönwalde“, gelang dem jungen Mann, seine Freundin zu beruhigen. Eng umschlungen gingen sie weiter, turtelten miteinander, blieben stehen, küssten sich heiß und innig. Für einen Moment schienen sie ihre Umwelt vergessen zu haben. Die junge Frau stellte sich auf Zehenspitzen, biss ihrem Freund zärtlich ins Ohrläppchen und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Er schaute sie verlangend an, küsste sie, drehte seinen Kopf in alle Richtungen und flüsterte dann:

      „Wart’ Schatz, ich suche uns ein lauschiges Plätzchen. Ich bin gleich wieder zurück.“

      Er ging ein paar Schritte auf ein Gebüsch zu, nahm mit beiden Händen ein paar Zweige beiseite, war für einen Moment nicht mehr zu sehen. Doch dann hörte sie seinen kurzen Aufschrei, und wenig später stürzte er aus dem Gebüsch hervor, kreidebleich und an allen Gliedern zitternd.

      „Da… da liegt ein Mensch, in Motorradkleidung…“. Und als er merkte, dass seine Freundin nachschauen wollte, da versperrte er ihr mit seinem Körper den Weg.

      „Nein, Bienchen! Nein! Ich glaub’ der Mann ist… er ist tot!“

      Sie hielt ihre Hand an ihren Mund und begann zu wanken. Der junge Mann fing sie auf, holte sein Handy aus der Jeans und drückte die Notruf-Taste 1-1-0.

      Kröling wirkte nachdenklich. Was sollte er machen? Zum Arzt gehen, nur weil er Sodbrennen hatte? Die würden ihn doch auslachen in der Praxis. Früher, da hatte er alles mit seiner Ingrid besprechen können. Und immer, wenn er so dachte, erfasste ihn Wehmut. Die Kollegen und Freunde hatten wahrscheinlich recht. Er musste den entscheidenden Schritt ins Leben endlich wieder wagen. Seine Ingrid würde wahrscheinlich ein wenig schmunzelnd gesagt haben ‚wegen Sodbrennen zum Arzt, Liebling. Das vergeht doch wieder’. Aber da war ja noch was anderes. Sein ganzer Oberbauch krampfte manchmal derart, dass er kaum Luft holen konnte. Und nach dem Tod von seiner Frau dachte er nur an Krebs, wenn ihn irgendwelche Stiche oder Krampfanfälle plagten. Er hatte einfach Angst. Aber er traute sich nicht, mit jemandem darüber zu sprechen, auch nicht mit seinen beiden Mitstreitern. Liesa wäre die einzige, der er sich anvertrauen würde und einmal hatte er sogar etwas angedeutet, aber mehr auch nicht. Und Leo Oberhof, der Inspektionsleiter und damit sein Chef. Und er war nicht nur sein Chef, sie waren auch befreundet. Doch der arme Kerl hatte mit sich und seinem Schicksal selbst zu tun. Seine Frau war ein Jahr früher als Ingrid gestorben. Und damit nicht genug. Er selbst war danach auch erkrankt. Niemand wusste genau, was es war, was ihn manchmal über Wochen ausfallen ließ. Und auch Werner Kröling kam nicht an ihn heran. Er hatte das Gefühl, als wolle Leo Oberhof ihn bewusst schonen. Und auch der MK-Leiter verhielt sich aus gleichem Motiv sehr zurückhaltend seinem Chef gegenüber.

      „Mensch, Werner, ich habe es doch vorgestern nicht so gemeint“, versuchte Liesa die verkorkste Stimmung ein wenig aufzuhellen.

      „Was vorgestern?“, fragte der Chef der Mordkommission zurück, völlig aus seinen Gedanken gerissen.

      „Na ja, mit den Kosten für die belegten Brötchen“, erklärte die Kollegin beschwichtigend.

      „Ach was. Das ist doch Schnee von gestern. Nee, nee, lasst mich nur einfach in Ruhe, okay?“

      Seit ein paar Tagen wurde er immer ungenießbarer. Doch Liesa Freseke und Jörg Unger wussten beide, dass sie nicht weiter nachbohren durften.

      „Sag’ uns lieber, was der Alte von uns will“, forderte Jörg Unger seinen Chef auf, den Inhalt des Telefonats mit dem Direktionsleiter zu verraten. Werner Kröling hatte zwar vor zwei Tagen am Geburtstag von Jörg so geheimnisvolle Andeutungen gemacht, aber es dann doch vorgezogen zu schweigen. Es gab Personalplanungen, jedoch noch nicht ausgereifte. Aber gerade erst heute in der Kommissariatsleiterrunde beim Direktionsleiter waren die Konturen dieser neuen Personalplanung geschärft worden.

      „Also gut, ihr habt es nicht anders gewollt. Und ich warne euch, es wird euch nicht schmecken…“

      „Nun mach schon, Werner!“, forderte jetzt auch Liesa. „Schließlich haben wir ein Recht auf vollständige Informationen!“, setzte sie noch nach.

      „Nun denn.“ Kröling lehnte sich in seinem Bürostuhl etwas nach hinten und fasste wieder reflexartig an seinen Bauch, nahm seine Hand aber sofort wieder von dort, weil er den ohnehin mitleidigen Blick seiner

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