Tant Maries Hus. Dörte Nibbe
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Vivi war sich sicher, dass Kella und Kinning schon in der Nacht losgelaufen waren, bald nachdem sie ihr Heu gefressen hatten. Kella und Kinning waren gut trainiert. Vivi ritt Kella oft lange Strecken. Kinning, Kellas Tochter, war erst vier und noch nicht angeritten. Isländer gehörten zu den spätreifen Rassen. Frühestens mit vier Jahren begann man sehr leicht mit dem Reiten. Aber Vivi hatte Kinning oft als Handpferd mit und das auch auf längeren Ritten. Zum ersten Anreiten sollte Kinning doch schon Ausdauer haben! Vivi schluchzte. Ob sie Kinning jemals reiten könnte?
Kinning hatte doch schon so viel gelernt, ließ sich super führen, gab anstandslos die Hufe und die Bodenarbeit lief ebenfalls super! Ab und zu hatte ihre Mutter ihr mit brauchbaren Tipps zur Seite gestanden, im Grunde wie eine Reitlehrerin, eben nur sehr sporadisch und fast immer unvorbereitet aus heiterem Himmel. Vivi war fasziniert vom Pferdeverstand ihrer Mutter, die so gar keinen Pferdeduft im Haus dulden wollte. Jedes Mal wieder fragte sie sich, warum Eva nicht mehr ritt, denn früher musste sie doch geritten sein. Eva hatte allen Versuchen Vivis, sie aufs Pferd zu bekommen, getrotzt, vehement. Und Papa Kristoph wusste bestimmt mehr, schwieg jedoch wie ein vermauertes Grab.
Vivis Gedanken kehrten zurück. Sie stellte gedanklich noch einmal klar, dass die Ponys Kondition hatten. Hinzu kam ihre instinktive Pferdeseite - sie waren Fluchttiere. Zusammengenommen bedeutete dies, dass sie irgendwohin, mehr oder weniger kopflos, kilometerweit gelaufen sein konnten. Sonst wohin. Diese Gedanken munterten Vivi keineswegs auf.
„Vivi,“ riss Eva sie aus diesen Gedanken, „vom Herumsitzen wird die Arbeit nicht weniger. Du kannst genauso gut den Paddock abäppeln und alles fertig machen! Wenn jemand anruft, bin ich ja hier.“ Pragmatische Eva! Vivi wusste, dass ihre Mutter recht hatte. Sie erhob sich von ihrem Stuhl, ging in die Diele und zog wieder die Fettlederschuhe an. Ihr Blick fiel auf die vereinsamten Halfter, die ordentlich an ihren Haken hingen. Noch so ein Punkt, schoss es Vivi durch den Kopf, denn wie sollte jemand die Pferde festbinden oder fangen, wenn sie nackt, halfterlos waren? Vivi selbst hatte nie Probleme, sie ohne Halfter zu fassen zu bekommen. Beide ließen sich auch sehr gut aufhalftern. Nur nicht, wenn sie gerade erst ein paar Minuten auf der Weide waren und fressen wollten. So ließ Vivi sie grundsätzlich ohne Halfter laufen, sowohl auf der Weide als auch im Paddock. Halfter waren immer Gefahrenquelle für Verletzungen, egal wie gut sie saßen. Vivi hatte zudem niemals Zweifel daran, dass sie ihre Ponys aufhalftern konnte. Ihr Vertrauen in sie war bodenlos tief.
Ja, in Vivis Augen waren die Ponys einmalig grandios. Sowohl Kella als auch Kinning waren absolut verkehrssicher, beide konnten lange Zeit ruhig angebunden stehen und sie konnte jedes Pony für sich allein nehmen, ohne dass es am anderen klebte, unwillig wurde oder ängstlich. Das hatte Vivi sehr früh mit ihren Isis geübt und war stolz darauf. Manchen guten Tipp hatte sie auch von ihrer Mama bekommen. Es blieb unglaublich, dass Eva selbst nicht ritt...
Vivis Gedanken schweiften weiter. Sie wusste, dass Kristoph sehr lange mit ihrer Mutter geredet hatte, bevor sie Kella und Kinning bekam. Irgendetwas, da war Vivi sich sicher, hielt ihre Mutter vom Reiten ab. Irgendein Erlebnis? Eva erzählte nichts und Vivi bohrte auch nicht mehr weiter, wie sie es früher versucht hatte. Sie hatte zu deutlich gespürt, dass Eva sehr abweisend und wütend werden konnte, wenn sie dieses Thema anschnitt. Außerdem fand Eva dann immer Beschäftigungen für Vivi, die vom Thema ablenkten und nicht zu Vivis bevorzugtem Zeitvertreib gehörten. Vivi zuckte mit den Achseln und murmelte: „Kommt Zeit, kommt Rat!“
Aus der kühlen und angenehm schattigen Diele trat Vivi in die späte Vormittagssonne, die schon heiß brannte. Automatisch, als ob sie programmiert wäre, ging sie zur Mistplatte und sammelte die ordentlich bereitstehenden Geräte, den Äppelboy und die Forke, auf die Schubkarre. Geräuschvoll rumpelte sie mit der beladenen Karre den Weg zum Offenstall. Keine Kette versperrte ihr den Weg...
„Vivi,“ schimpfte sie mit sich selbst, „es ist passiert, nun musst du da durch!“ Das war zwar richtig, aber auch nicht tröstlich. Vivi begann mit dem Stall, doch im Stroh lagen nur zwei verwaiste Haufen Pferdeäppel, im Auslauf, dem Paddock, waren es auch kaum mehr. Viel zu schnell war die Arbeit getan. Die Ponys mussten wirklich früh ihre Chance ergriffen haben...
Viel zu früh hatte Vivi alles nach dem Misten wieder ordentlichst weggeräumt, es gab nichts mehr zu tun. Aus der Werkstatt ihres Vaters hörte sie Bohrgeräusche. Auch Kristoph war am Werken.
Vivi füllte als letztes noch die Futtereimer für den Abend. Normalerweise waren die Pinys jetzt ein paar Stunden auf der Weide... Doch, sorry, was war an diesem herrlich sonnigen Sonntag schon normal? Vivi wollte sich beschäftigen, aber ihre Arbeit war bereits getan. An einem anderen Tag hätte sie sich darüber gefreut. Heute wünschte sie sich, dass die Arbeit ewig gedauert hätte...
„Komm, Vivi,“ munterte sie sich selbst auf, „dann putzt du endlich mal Sattel, Trense und alles andere... Muss doch auch gemacht werden!“ Sie tauchte wieder in den Schatten der Diele ein und holte sich als erstes den Sattel, welchen sie über das Paddocktor legte. Danach kramt sie Sattelfett, Lappen, Bürste, Sattelseife und einen Putzeimer hervor. In den Eimer füllte sie etwas Wasser, dann trug sie alles zum Sattel. Vivi löste gerade die Schnallen vom Sattelgurt, als sie die Stimme ihrer Mutter hörte.
„Vivi! Herr Hansen hat angerufen! Seine Tochter Marit hat heute morgen zwei Ponys eingefangen und auf die Hausweide gestellt! Nun war er zum Turnierplatz gefahren , um zu fragen, ob die Ponys vermisst werden! Da bekam er unsere Telefonnummer. Also, den Ponys geht es bombig, die Nasen stecken im leckersten Gras!“
„Juchhu!!!“ Vivi rannte zu ihrer Mutter und umarmte sie erleichtert. Eva kam es vor, als ob sie erdrückt würde! Kristoph kam ebenfalls angestürzt.
„Puh,“ sagte er, „dann wollen wir mal die Ausreißer heimholen, oder? Wo wohnt denn der Herr Hansen?“ Typisch Kristoph, er war sofort wieder beim nächsten Schritt, während in Vivi alles pochte und hämmerte, in ihr alles zu jubeln und vor Freude zu hüpfen schien!
„Zwei Ortschaften weiter,“ antwortete Eva, „im Außenbereich Du musst in Hackstedt Richtung Wiel abbiegen und dann weiter fahren, am Wald vorbei und bei der nächsten Kreuzung geradeaus. Der erste Hof auf der linken Seite ist es dann. Der Stall hat grünes Blech und zur Straßenseite hin steht ein Feldstein mit ‘Hansen’ darauf.“
„Ich hole Trense, Halfter und Stricke!“ rief Vivi, die nun auch wieder handlungsfähig war und klare Gedanken fassen konnte. So schnell wie möglich wollte sie jetzt zu ihren Lieblingen. In Windeseile hatte sie alles zusammen, sämtliches Zaumzeug sowie die Putztasche und eine Bauchtasche mit Leckerlis. Kristoph packte alles in den geräumigen Kofferraum des betagten silbernen XM Breaks, den er manchmal liebevoll als seine Großraumsänfte bezeichnete. Kristoph hatte sich fasziniert in die Schwebetechnik von Citroën eingearbeitet und nahm alle Herausforderungen an, die das Instandhalten der alten Dame bot. Entsprechend hatte er sich seine Autowerkstatt eingerichtet. Im Nebengebäude von Tant’ Maries Hus war es ihm endlich möglich geworden, alles geordnet unterzubringen. So war es kaum verwunderlich, dass auch Eva einen XM fuhr und alle das Schweben über die manchmal doch etwas holprigen Wege genossen. Über akute Bastelstellen im Auto oder ungewöhnliche Techniken wie Extrakabel im Motorraum, die man an die Batterie halten musste, damit die Dame doch ihre Dienste tut, wurde großzügig hinweggesehen. Wie auch jetzt, als Vivi sich auf den Beifahrersitz setzte und ihre Füße neben den Kabelsträngen platzierte, die Kristoph gerade bearbeitete. Wahrscheinlich hätte sich Vivi im Moment sogar auf ein Fakirkissen aus Nägeln gesetzt und nichts gemerkt, so aufgeregt war sie gerade.