Tant Maries Hus. Dörte Nibbe

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Tant Maries Hus - Dörte Nibbe

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      Als Kristoph vom Hof auf den Weg bog, sagte er zu Vivi: „Merk’ Dir mal den Kilometerstand, am Ende des Zählers steht 18,4! Bist du echt sicher, dass du zurück reiten willst?“

      „Klar, die beiden sind doch echt lieb und zuverlässig - jedenfalls wenn die Ketten zu sind!“, erwiderte Vivi entschlossen. Da mussten beide lachen und etwas der vergangenen Anspannung fiel herab. Vivi war es fast, als ob sie es plumpsen gehört hätte. Sie hatte eh schon das Gefühl, dass auf dem Platz vor dem Haus ein paar Steine mehr lagen als zuvor, so viel leichter war ihrem bangen Herzen geworden.

      „Hier ist der Wald,“ sagte Vivis Vater. Die Straße war von mehr oder weniger dicht bewachsenen Knicks gesäumt, die im frischen Grün strahlten und freundliches Geleit gaben. Leicht und weit führte sie bergab. Nach einem ebenen Straßenabschnitt kamen sie auf die Kreuzung zu. Das grüne Blech des Stalls schimmerte ihnen durch alte Bäume entgegen, die den Hofplatz von der Weide trennten, die an der Straße lag. Auf der Weide war ein Fuchs zu sehen, der rotgold in der Sonne glänzte, jedoch kein Isi.

      Kristoph querte die Kreuzung und bog hinter dem Feldstein mit ‘Hansen’ darauf auf den Hof ab. Auf der Auffahrt hielt er den Wagen in der Höhe des roten Backsteinhauses mit den grünen Fenstern an. Kaum hatten sie gehalten, kam aus der Klöntür der Diele, die zwischen dem alten Stall und dem Wohnhaus lag, ein älterer Bauer heraus, der einfach Herr Hansen sein musste. Er begrüßte sie freundlich und nahm sie gleich mit zu der Weide, die am Ende der Hofauffahrt lag. Hinter dem Knick, der nur durch das Weidetor unterbrochen war, konnte Vivi endlich, endlich ihre beiden Ausreißer erblicken, die zufrieden das saftige Gras fraßen. Als Vivi sie rief, blickten sie kurz auf, fraßen dann jedoch unbeirrt weiter.

      „Heute Morgen,“ erzählte Bauer Hansen, „war die Überraschung riesig! Marit hörte Hufgetrappel auf der Straße und traute ihren Augen nicht, als sie die beiden Ponys erblickte. Sofort hat sie Manamas Halfter gegriffen und etwas Futter in einen Eimer getan und ist klappernd und lockend zu den Ponys gegangen. Die Ältere kam näher und ließ sich anfassen und aufhalftern. Als Marit sie zum Hof führte, kam die Junge hinterher. Marit hat sie dann auf der Weide quasi dingfest gemacht!“ Bauer Hansen lachte. „Marit meint, das die beiden Isländer sein. Stimmt das?“

      „Ja, da hat sie recht! Gott sei Dank war Marit so geistesgegenwärtig und hat gehandelt! Ist sie zu Hause?“, wollte Vivi wissen.

      „Nee, leider nicht. Se jobbt ein bisschen. Ich habe ihr deshalb versprochen, mich beim Turnierplatz zu erkundigen, ob jemand Ponys vermisst. Ist ja immer dumm, wenn einem die Viecher weggelaufen sind... naja, Marit wäre schon gerne hier,“ erklärte Bauer Hansen. „Marit wollte schon länger gerne mal Isländer kennen lernen, die gehen wohl irgendwie anders. Ich kann das ja nicht verstehen. Ihr Holsteinmix auf der Weide vorn scheint mir doch reeller zu sein, gerade wenn man auch anfängt, erwachsen zu werden!“

      Vivi lachte innerlich und blieb ruhig. Typisch Bauer, dachte sie. Laut sagte sie jedoch:

      „Du, Papa, Marit kann uns doch besuchen und Kella und Kinning richtig kennen lernen. Dann kann ich mich bei ihr auch noch einmal ordentlich bedanken!“ Diese Idee fand sofort bei allen Anklang und für Mittwoch wurde gleich ein Besuch verabredet, wobei Marits Einverständnis vorausgesetzt wurde.

      „Tja,“ sagte Bauer Hansen, „wenn ihr jetzt allein zurecht kommt, mache ich Mittagstunde. Bin leider nicht so ganz gesund.“

      „Natürlich!“ antwortete Vivi. Sie und Kristoph bedankten sich noch einmal sehr herzlich.

      „Ist doch selbstverständlich,“ sagte Bauer Hansen, „mit den Viechern muss man sich gegenseitig helfen!“ Er schüttelte ihnen zum Abschied die Hand und verschwand hinter der Klöntür der Diele.

      Vivi ging nun mit Halftern und Stricken auf die Weide und holte Kella und Kinning nach einer ausführlichen Begrüßung zum Tor, an dem sie sie festband. Beide Ponys standen ruhig und vollgefressen dar. Nachdem Vivi Kella ausgiebig geputzt hatte, putzte sie Kinning kurz über. Kristoph hatte ihr inzwischen aus dem Kofferraum Sattel und Trense geholt und nahm ihr das Putzzeug ab.

      Vivi sattelte Kella routiniert und sorgfältig auf, schimpfte leise, weil der Bauch so dickgefressen war, und legte ihr anschließend die Trense an. Das Halfter hatte sie über dem Hals gelassen und knotete den Strick so fest, dass Kella nicht gestört wurde. Kinnings Strick löste sie ebenfalls vom Tor und stieg mit Kinning an der Hand auf Kella auf. Ihr Vater reichte ihr die lange blaue Gerte.

      Aufmunternd schnalzte Vivi und Kella stapfte brav los, Kinning folgsam nebenher. Unter ihrem Reithelm strahlten Vivis blaue Augen mit dem sonnigblauen Himmel um die Wette. Beim Auto parierte Vivi die Ponys zum Halt und fragte: „Papa, wie viele Kilometer sind es nach Haus?“

      „Augenblick, ich schaue schnell im Auto nach!“ Kristoph öffnete die Fahrertür und schaute auf das Armaturenbrett. „23,7 ist der Kilometerstand, also 5,3 km Distanz!“ Er sah Vivi fragend an, ob das machbar sei.

      „Ist okay!“, sagte Vivi, „so ungefähr eine gute Stunde brauchen wir! Danke für deine Hilfe! Bis später und grüß Mama!“ Auf einem leichten Druck mit ihren Beinen setzte Kella sich in Bewegung, Kinning folgte wie gewohnt und der Heimritt begann.

      Vivi bog mit den Ponys vom Hof nach rechts ab und ritt auf die Kreuzung zu, an der sie ordnungsgemäß hielt. Es war unübersehbar, dass Kella, Kinning und Vivi ein gut aufeinander eingespieltes Team waren! Vivi war sehr stolz darauf und vertraute selbstbewusst ihren Ponys. Über die freie Kreuzung ging es Richtung Wald, erst eben, dann lange und langsam ansteigend, vorbei an den grünen Knicks, die ab und zu Blicke über Weide und Felder preisgaben. Vivi ließ die Ponys bis zum Wald Schritt gehen, denn sie wusste überhaupt nicht, wie viel sie bereits gelaufen waren oder gefressen hatten. Dem dicken Bauch von Kella nach zu urteilen hatten sie eindeutig sehr viel gefressen...

      Schon nach einer relativ kurzen Strecke wurde Kinning faul und widerstrebend. Vivi musste sie öfters ermahnen, weiter zu gehen. Wahrscheinlich, so dachte Vivi, sind sie einen anderen Weg entlanggelaufen und merken nicht, dass es hier nach Hause geht. Unter vielem Zureden trotteten sie bergan zum Wald. Kella schien zu verstehen, dass es nach Hause ging, aber Kinning hatte so überhaupt keinen Schwung mehr. Bei Vivi machte sich ebenfalls Müdigkeit breit, doch sie wusste, dass es jetzt zu reiten galt. Es gab keine Alternative, diese Strecke mussten sie zusammen bewältigen.

      Als sie am Wald ankamen, begannen die Ponys die Ohren zu spitzen und die Abwechslung half, sie wieder aufzuwecken. Hinter dem Wald wollte Vivi einen Feldweg nutzen, den sie schon einmal mit Kella geritten war. Dort würden sie auch flotter voranschreiten können. Und richtig, als sie den Feldweg erreichten, wurde Kella lebhafter und steckte damit auch Kinning an. Jetzt war es ein leichtes, die beiden zu einem flotten Trab beziehungsweise Tölt zu motivieren. Das flotte Tempo frischte sie alle auf, Kella erkannte die Gegend wieder und wollte heim. Kinning verließ sich auf ihre Mutter und töltete flott nebenher. Jetzt konnte Vivi auch das superschöne Wetter genießen! Bis ungefähr einen Kilometer vor Tant’ Maries Hus ließ Vivi die Ponys recht flott gehen und legte nur kurze Schrittphasen ein. Dann parierte sie zum Schritt durch.

      „Genug,“ sagte sie, „ihr beiden dürft jetzt gemütlich nach Hause gehen, damit ihr trocken und ruhig ankommt. Dann reicht es euch auch, was?“ Vivi hätte in diesem Moment schwören können, dass Kella, die ihren Kopf ihr kurz zuwendete, ihr einen schelmischen Blick zuwarf...

      Ein paar Minuten später erreichten die drei das Haus. Eva kam heraus gerannt und umarmte Vivi freudig. Für die Ponys hatte sie jeweils ein Leckerli mitgebracht.

      „Vivi, ich bin genauso glücklich wie du, dass sie wieder da sind!“, rief Eva und strahlte Vivi und die Ponys an. Vivi lachte und meinte: „Ich glaube, dass sind wir alle!“

      Eva

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