Wintermärchen. Wolfgang Bendick

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Wintermärchen - Wolfgang Bendick

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der da überhaupt wächst!“ meinte er. Wir kriegten eine Lachkriese. Die Stimmung stieg. Hiesel trug seinen Teil dazu bei, als er mit einer Flasche mit einer klaren Flüssigkeit zurückkam. Darin erkannte ich einen Wacholderzweig, einen Grashalm und einen Weberknecht, eines jener übergroßen, spinnenartigen Wesen. Unsere Freunde wussten anscheinend, was das war. Ihre Augen leuchteten auf. „Grappa!“ kam es ehrfürchtig aus dem Mündern der Eingeweihten. Sie tranken ihr Weinglas leer, um Hiesel Gelegenheit zu geben, einzuschenken. Dann setzte sich dieser zu uns. Doch Rudi meinte, für diese heilige Handlung müssten eigentlich alle aufstehen. Etwas unsicher standen wir um den Tisch herum, der uns Halt gab. Jetzt erkannte ich, warum die Tische so fest in der Erde verankert waren. „Auf unseren Hiesel!“ rief Rudi und die Gläser klirrten aneinander, dass sie fast zersprangen. Ich machte es wie die anderen und leerte es in einem Zug runter. Ich kam leicht ins Husten. Fast kam mir das Zeug zu den Ohren wieder raus, so scharf war der Stoff. Eine solche Durchschlagskraft hatte ich nicht erwartet! Eine wohlige Wärme stieg in mir hoch, so ähnlich wie nach meinem ersten Kuss. Alles lachte. Hiesel griff erneut nach der Flasche. Der Weberknecht hatte inzwischen etwas Luft bekommen. Noch ein Gläschen für jeden, und er würde durch die Öffnung hinauskriechen und davonflattern! Doch als alle bedient waren, stöpselte Hiesel die Flasche zu. Wir hoben die Gläser. „Auf Südtirol!“ rief Hiesel. Wir hoben die Gläser in Richtung Flagge. Jemand stimmte das Andreas Hofer Lied an. Selbst die Gäste an den Nachbartischen fielen ein. Dann leerten wir die Gläser und ließen uns erschöpft auf die Bänke sinken. Wirkte bei mir der konsumierte Cocktail eher einschläfernd, so löste er die Zungen der Freunde. Bald schnatterten alle wild durcheinander. Rudi holte seinen Kassettenrecorder aus dem Auto und bald grölten die Dubliners durch das herbstbunte Tal.

      Als Rudis Nase fast die gleiche Farbe angenommen hatte wie sein Glas, fanden es unsere Freunde an der Zeit, angeln zu gehen. Denn man müsste ja langsam an das Abendessen denken. Hiesel lachte und zeigte auf ein kleineres Becken. In diesen traten sich die Forellen regelrecht auf die Flossen. Für die des Fischens Unfähigen hatte er hier einen kleinen Vorrat. Da konnte er mit einem an einem Ast hängenden Kescher jederzeit den passenden Fisch fangen! Jeder holte sich eine Angel aus dem Unterstand, Hiesel brachte Köder, die sehr dem Flascheninhalt ähnelten. Da ich schon ziemlich lang Vegetarier war, sagte mir das Ganze nicht viel. Ich saß eine Weile mit den Freunden auf dem sonnenbeschienenen Damm. Zuerst fielen mir die Augen zu, dann sank ich zurück ins hohe, trockene Gras.

      Anscheinend war der Fang reichlich gewesen. Die ausgenommenen Forellen lagen auf dem Grill und schauten mich mit ihren ermattenden Augen an. Manche waren in Stanniolpapier gewickelt, das sei schonender. Duften taten sie ja ganz gut. Das erinnerte mich an Zeiten, wo wir diese mit den Händen unter Steinen aufspürten, um sie dann heimlich auf einem Lagerfeuer zu braten. Denn Fischen war in Bayern verboten. Für Lausbuben zumindest. Aber diese baybarische Zeit ist ferne Vergangenheit. Heute ist man Vegetarier! Nur so werden einst alle Kriege ein Ende finden. Respektiere das Leben, selbst in seinen niederen Formen! Ich labe mich beim nun folgenden Gelage nur an den in Alupapier gerösteten Kartoffeln und Gemüsen, dazu etwas Käse, auf einen Stock gespießt und über dem Feuer zum Schmelzen gebracht, bis er Blasen wirft. Nur die Alufolie verdirbt mir etwas den Genuss. Warum machen wir so viel Sondermüll, nur für ein schonend zubereitetes Essen? In der Herstellung dieser Folie steckt mehr Energie als im Essen selber! Außer mir scheint sich niemand Fragen zu stellen. Die Stimmung ist auf dem Höhepunkt. Gläser klirren aneinander, Gesang und Stimmen hallen durch das Tal, Ferdi hat eine größere Tüte gedreht. Jetzt, im Dunkeln, bemerkt niemand, wenn sie die Runde macht.

      Da, plötzlich – ist es eine Halluzination? – schälen sich aus dem Dunkel mehrere uniformierte Gestalten und nähern sich. Carabinieri, so heißen die Bullen hier. Doch was haben die hier zu suchen? Haben sie unseren Rauch bis auf die Straße gerochen? Das kann doch nicht sein! Solch feine Nasen haben nur die Parfümmacher! Rudi hält den Atem an und lässt den Joint unauffällig im Kohlebett der grillenden Forellen verschwinden. Sie tippen zum Gruß leicht mit zwei Fingern an den Mützenschirm. Aller Augen wenden sich ihnen zu. Hiesel erblickt sie und begrüßt sie freudig wie alte Bekannte. Er führt sie an den Nebentisch und holt ein paar knusperige Forellen vom Grill. Die Unterhaltungen flackern wieder auf. Bald schmatzen die Uniformierten wie normale Sterbliche und sprechen dem Wein zu. Dann der übliche Grappa zur Verdauung. Die wenigen noch übrigen Gäste machen sich auf den Weg.

      Das war wohl der private Teil. Jetzt komm das Geschäftliche. Hiesel bringt einen ganzen Karton mit seinen Weberknecht-Flaschen und stellt ihn auf den Tisch. Die Carabinieri holen jeder aus ihren Taschen abgelöste Zoll- oder Steueretiketten, jene, die bei einer im Geschäft gekauften Flasche den Korken versiegeln. Ohne zu zählen steckt er sie ein. Vertrauen gegen Vertrauen! Dann, nach einem kurzen, dienstlichen-privaten Gruß, schnappt sich jeder, sichtlich zufrieden, ein paar Flaschen und taucht im Dunkel unter. Hiesel holt eine Tube Kleber und klebt auf die Hälse der in seiner Hütte stehenden Flaschen so eine Marke. Jetzt kann jeder Kunde sie kaufen, ohne dass bei einer Kontrolle auffällt, dass es sich um Schwarzbrand handelt!

      Am Abend laufen wir durch Girlan. Wir begegnen fast nur Männern in blauen Schürzen, die durch die Gassen huschen. Sie kommen aus einer der Kellertüren, überqueren die Gasse, um in einer anderen Tür wieder zu verschwinden. Manchmal halten sie eine Weile vor einem Baum inne, um, wie die Spuren zeigen, diesen zu gießen. Irgendwie hatten sie einen eigenartigen Gang. Wie ein Seemann auf einem stampfenden Schiff, oder wie ein Sizilianer bei einem Erdbeben. Wir wollten es genau wissen und setzten uns auf eine Bank, um zu beobachten. Ein sonderbarer Geruch lag in der Luft. Wie von etwas Gekochtem. Wir sahen die Männer aus Türen kommen und wieder in welchen verschwinden. Dahinter konnten keine Bordelle sein, denn soo oft… „Lass uns mal einfach in so eine Tür reingehen!“ schlug Ludwig vor und stand auf. Wir gingen also zu einer der Türen, in der gerade so eine Blauschürze verschwunden war. Stimmengewirr drang gedämpft durch das dicke Holz, ein schwacher Lichtschein zeichnete die Umrisse ab. Wir klopften höflichkeitshalber an. Nichts tat sich. Ich drückte gegen die Tür. Sie gab nach. Jemand hatte uns bemerkt, winkte uns herein und schloss schnell die Tür hinter uns.

      Welch ein Anblick! Wir fühlten uns ins Mittelalter zurückversetzt! Unter einem großen Gewölbe, getragen von mehreren dicken Pfeilern, stand eine Gruppe von blau beschürzten Männern im schwachen Licht um so etwas wie einen Waschkessel herum, worunter ein Feuer loderte. Sie waren in einer ernsten Diskussion vertieft und jeder hielt in einer Hand ein Glas. Ein weiterer Kesseleinsatz war, durch einen Ring von feuchten Tüchern abgedichtet, umgekehrt auf den unteren gestülpt. Das, was sonst als Abfluss diente, ragte also in die Luft. Darauf hatte man einen dicken Gartenschlauch geschoben, der zu einem spiralförmig gebogenen Kupferrohr führte, welches in einem mit Wasser gefüllten Fass verschwand. Wenn man genauer hinsah, bemerkte man, dass dieses Rohr unten wieder aus dem Fass herauskam. Darunter stand ein Eimer, in den eine klare, wasserartige Flüssigkeit abtropfte, in der so etwas wie ein Thermometer schwamm. Nur, dass das kein Thermometer war, sondern ein Dichte-Messgerät. Und dass es sich nicht um Wasser handelte, sondern um „Grappa!“ rief Ludwig aus, als er von dem Glas, das man ihm gereicht hatte, probierte. „Grappa, wie beim Hiesel in Kaltenbrunn!“ Den Hiesel kannte jeder hier in Oberetsch. Und diesen Grappa mit dem seinen zu vergleichen, war höchstes Lob. Darauf wurden die Gläser neu gefüllt. Und neu geleert. Der Atem blieb mir stehen. Mir wurde heiß bis in die Ohrenspitzen. Ich bekam einen Keuchhusten.

      „Aber warum brennt ihr nachts?“ wollten wir wissen. Die anderen lachten über so viel Unwissenheit. „Das heißt doch Schwarzbrandt, daher muss das nachts gemacht werden!“ Alle grölten vor Lachen. Doch dann wurde er ernst. „Früher hatte jeder Bauer das Recht zu brennen. Die Zeiten haben sich leider geändert. Jetzt haben nur die großen, meist italienischen Brennereien das Brennrecht. Und was sollen wir Kleinen mit unseren Trestern, die beim Keltern anfallen, machen? Wir können sie doch nicht roh an die Schweine verfüttern. Da kriegen die einen Leberschaden! Also kochen wir sie ab. Sterilisieren sie. Da halten sie auch länger. Und, um niemanden mit dem Geruch zu belästigen, fangen wir die Abgase auf und lagern sie in Flaschen.“ Er näherte sich unseren Ohren, tat geheimnisvoll. „Nachts schlafen die vom Steueramt.“ Wir mussten uns ein weiteres Mal einschenken lassen. Das war nicht das auf 40 Prozent verdünnte Souvenir für

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