Das Hospital. Benno von Bormann

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Das Hospital - Benno von Bormann

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spielte eine Rolle; mit einem Arzt konnte man anders reden als mit einem Steuerberater oder einem Handwerker. Jedoch, es gab psychische Belastungen, wo intellektuelle Merkmale in den Hintergrund traten.

      Je härter das Schicksal die Menschen traf, desto ähnlicher wurden sie einander. Dieser Fall war für ihn besonders bedrückend. Ein zwölfjähriges Mädchen. Ein unschuldiges Kind, beatmet auf seiner Intensivstation. Wahrscheinlich aus einem fröhlichen, unbeschwerten Leben herausgerissen, von einem Moment auf den anderen. Ohne jede Vorankündigung. Jenny war im gleichen Alter, auch blond, ein bisschen pummeliger vielleicht wie die Kleine mit ihren vielen Schläuchen in der stillen Box. Er hatte seine Kinder schon seit einigen Wochen nicht mehr gesehen und beschloss, nach der Besprechung sofort bei Birte anzurufen. Er wollte unbedingt wissen, dass es ihnen gut ging. Jetzt ging er in die Hocke, um mit den Eltern einigermaßen auf Augenhöhe zu sein. Dieses Gespräch war von allen das wichtigste. Sie würden sich noch viel zu unterhalten haben, und es galt, den Grundstein zu legen für gegenseitiges Vertrauen und gegenseitigen Respekt.

      Bekker bevorzugte absolute Offenheit, und er spekulierte nicht. Dezidierte Einschätzungen über Behandlungsdauer und Erfolgschancen ließ er sich grundsätzlich nicht entlocken, jedenfalls nicht in Zahlen. Mancher hatte schon hier gesessen und erwartet, dass er eine exakte Prognose abgab, etwa ‚Überlebenschance von dreiunddreißigkommafünf Prozent‘ oder so. Bekker wusste, es gab Kollegen, die sich aus Selbstüberschätzung oder aus Mitleid zu so etwas hinreißen ließen. Er nicht. Aber die Diagnosen, mit den daraus resultierenden Konsequenzen für die Unversehrtheit des Kranken, mussten in aller Offenheit dargelegt werden. Schonungslos. Es nutzte nicht, vor lauter Mitgefühl ein rosarotes Bild zu malen. Die betroffenen Menschen waren gestraft genug. Keiner konnte das seelische Desaster zerstörter Hoffnungen nachempfinden. Lieber die Dinge etwas schwärzer malen, als man selbst sie einschätzte.

      „Also lassen Sie mich noch einmal von vorne beginnen. Sie können mich jederzeit unterbrechen, ganz gleich, was Ihnen auf der Seele brennt. Sie wissen, es gibt keine dummen Fragen, nur dumme Antworten.“ Er lächelte, aber seine Augen blieben ernst. „Ihre Tochter wurde vom Auto angefahren, soviel wissen wir. Was genau abgelaufen ist, hat im Moment für uns keine Bedeutung. Allerdings ist sicher, dass Ihr Kind von der linken Seite angefahren wurde. Ich komme gleich darauf zurück. Bei diesem Unfall hat ein sehr heftiger Zusammenprall stattgefunden. Ohne falsche Hoffnungen wecken zu wollen – es ist ein Glück, dass Friederike nicht das Geringste am Kopf abbekommen hat. Auch die Wirbelsäule und das Becken sind nicht verletzt.“ Bekker wusste nicht genau, wieweit die Eltern die bisherigen Informationen aufgenommen hatten und wiederholte deshalb das Wesentliche noch einmal.

      „Ihre Tochter hat eine glatte Oberschenkelfraktur auf der rechten Seite. Das ist kein Problem, weder für uns noch den Operateur. Auf der anderen Seite sieht es weniger gut aus. Der linke Oberschenkel ist mehrfach gebrochen, Trümmerfraktur nennt man das, und ähnlich verhält es sich mit den Rippen.“

      Das Ehepaar saß da, stummes Entsetzen in den Gesichtern.

      „Die Frakturen des Oberschenkels lassen sich operativ gut richten. Bei einem jungen Menschen sowieso. Das Hauptproblem ist die linke Lunge.“ Ein erster Blick mit vorsichtigem Unverständnis.

      „Die Lunge?“ sagte der Vater leise. „Ist denn die Lunge verletzt? Sind es denn nicht nur ein paar Rippenbrüche?“ Er lächelte schief, hilflos. „Natürlich meine ich nicht ‘nur‘. Das ist alles schlimm genug. Aber die Lunge? Ich dachte, an der wäre nichts groß verletzt.“ Es klang fast wie ein Vorwurf. So, als ob Bekker diese Verletzung eigenmächtig hinzugefügt habe. Bekker nahm es gelassen. Gespräche dieser Art entwickelten sich manchmal zu einem regelrechten Handel. Die Betroffenen taten alles, die schlimmen Nachrichten zu entschärfen. Sie versuchten mit einer Art naiver Verzweiflung das Positive, die Hoffnung in den Vordergrund zu rücken und die schreckliche Realität zurückzudrängen. Als er antwortete, sah er Frau Seelmann zuerst an und dann wieder die Eltern.

      „Das ist richtig. Aber eine Rippe ist in mehrere Teile zerbrochen, und eines dieser Fragmente hat die Lunge verletzt. Nicht sehr schwer. Eine Einspießung von vielleicht zwei, drei Zentimetern.“ Bekker sah einen Hoffnungsschimmer in den Augen des Vaters, fuhr aber unbeirrt fort, „Das ist aber, leider, nicht das Hauptproblem. Davon rede ich nicht in erster Linie.“ Der Hoffnungsschimmer erlosch.

      „Sehen Sie, die beiden Lungenflügel, rechts und links, füllen fast den gesamten Brustkorb aus. Das Herz und die großen Gefäßabgänge sind auch noch da. Das alles gehört ja auch funktionell eng zusammen. Wird nun auf eine Seite des Brustkorbs, wie bei Ihrer Tochter, ein heftiger Stoß ausgeübt, so wird die Lunge für den Bruchteil einer Sekunde gequetscht, selbst wenn die Rippen nicht brechen. Solch eine Verletzung bleibt in vielen Fällen initial unsichtbar, das heißt, man sieht sie in keiner Röntgenaufnahme und auch das erste CT ist weitgehend unauffällig.“ Bekker spürte, dass die Irritation bei den beiden eher zunahm. Eine so schwere Verletzung, aber man sieht sie nicht? Woher wollte er überhaupt wissen, dass es diese Verletzung wirklich gab? Bekker wusste genau, was sie dachten. Es war jedoch essentiell, dass die Eltern der kleinen Friederike ihn verstanden. Je schneller sie sich darüber klar wurden, dass es bei ihrer Tochter bald auf Leben und Tod gehen könnte, desto besser. Auch wenn im Moment für den Laien, aber auch für den unerfahrenen Arzt keinerlei Anzeichen auf eine solche Entwicklung hindeuteten.

      „Sehen Sie Frau Lein, Herr Lein. Ich male keine Schreckgespenste an die Wand. Warum sollte ich? Bitte versuchen Sie sich einmal das Organ Lunge vorzustellen. Die Lunge ist kein solides Organ wie Niere oder Leber, sondern ein verletzliches Geflecht aus Millionen von luftgefüllten Bläschen, mit hauchdünnen Wänden, die von einem Netz feinster Blutgefäße eingesponnen oder direkt von Blut umspült sind. Nur diese riesige Austauschfläche kann die lebensnotwendige Atmung, die Aufnahme von Sauerstoff und die Entfernung von Kohlendioxyd bewältigen.“

      „Herr Professor Bekker, meinen Sie nicht, dass das jetzt ein bisschen zu speziell ist. Ihre Mühe in Ehren, aber wir wollen keinen Privatunterricht von Ihnen haben, sondern nur wissen, wie es unserem Kind geht und welche Möglichkeiten es gibt, ihm zu helfen. Wir sollten ein wenig Rücksicht auf meine Frau nehmen. All diese Details machen es für sie doch nicht besser.“ Herr Lein hatte sich kerzengerade aufgerichtet. Sein Ton war aggressiv. Keine Frage, er würde als erster unter dem seelischen Druck zusammenbrechen, und er hatte bis jetzt nicht verstanden, worum es ging. Oder nicht verstehen wollte. Frauen waren die Stärkeren. Zum ersten Mal hob Frau Lein den Blick. Sie sah Bekker an, sprach aber zu ihrem Mann.

      „Robert, ich bin der Meinung, wir sollten den Professor aussprechen lassen. Ich denke, er will uns etwas begreiflich machen, was wir bisher nicht realisiert haben. Und ich möchte es verstehen. Und Du doch auch, Liebling.“ Sie wendete sich ihrem Mann zu und legte ihre schmale Hand auf seinen Unterarm. „Dafür ist keine Zeit zu schade.“ Ihr Mann nickte stumm und zuckte in einer hilflosen Geste die Schultern. Sein Blick wendete sich seiner Frau mit großer Zärtlichkeit zu und großem Vertrauen. Bekker spürte ein unbestimmtes Gefühl der Eifersucht. Sie sah ihn wieder an, ließ dabei die Hand auf dem Arm ihres Mannes.

      „Wenn ich Sie richtig verstanden habe, hat die Lunge einen heftigen Stoß bekommen und ist dabei gequetscht worden. Die unmittelbaren Folgen dieser Quetschung sind im Moment nicht zu sehen, werden aber wahrscheinlich im weiteren Verlauf noch Probleme machen, und zwar solche schwerwiegender Art. Das hat, wie Sie erklärt haben, mit der besonderen Beschaffenheit des Organs Lunge zu tun. Davon sprechen wir im Moment, richtig?“ Sie hatte es auf den Punkt gebracht. Bekker nickte heftig und lächelte.

      „Genau so verhält es sich. Ich hätte es selber nicht besser ausdrücken können. Die Materie ist bereits für den Fachmann ziemlich kompliziert. Dass es ein sehr schwerer Zusammenprall war, zeigen die gebrochenen Rippen. Es bedarf einer großen Krafteinwirkung, bis eine elastische kindliche Rippe zerbricht. Die Reaktion der Lunge selbst verläuft stark verzögert. Die hauchfeinen Wände der luftgefüllten Bläschen, Alveolen genannt, verdicken, wodurch die Aufnahme von Sauerstoff mehr und mehr erschwert

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