Das Hospital. Benno von Bormann

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Das Hospital - Benno von Bormann

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die Sache von Anfang an nicht so rosig. Entspricht ja auch weiß Gott den Tatsachen.“ Damit hängte er ein und widmete sich wieder seiner Post. Gabriele Marx erschien in der Tür.

      „Noch ein Tee, Herr Professor? Oder eine Kleinigkeit zu Essen?“ Bekker sah nicht auf, schüttelte nur den Kopf.

      „Später. Sie wollen mich eh nur mästen. Noch was?“

      „Der Mensch von den Zeugen Jehovas hat schon wieder angerufen. Ich hab’ ihn jetzt schon hundertmal vertröstet. Können Sie nicht eben mit ihm sprechen? Gleich kommen die Leute, oder? Und dann gehen Sie in den OP und sind wieder für Stunden nicht erreichbar.“ Bekker sah immer noch nicht auf, wusste aber genau, was für ein Gesicht sie gerade machte, nämlich die ‚Ach-bitte-bitte-nur-eine-Minute-Miene‘, die er so gut kannte. Er lächelte. Sie war unerbittlich und sorgte konsequent dafür, dass nichts unerledigt blieb, während Bekker dazu neigte die Dinge vor sich her zu schieben.

      „Ach, liebe Gabriele.“ Gelegentlich nannte er sie so, schließlich nannte man auch alle Krankenschwestern beim Vornamen.

      „Haben Sie doch ein wenig Erbarmen mit Ihrem alten, ausgelaugten Chef.“ Er erwartete, dass sie protestierte, zumindest wegen des ‚alten‘, aber heute tat sie ihm diesen Gefallen nicht. Die Telefonliste war ellenlang, und der Herr Renz von den Zeugen Jehovas hatte es schon so oft probiert. Sie konnte mit der Glaubensrichtung nichts anfangen, aber der Mann klang sehr nett am Telefon. Und sehr geduldig. Außerdem wusste sie, dass Bekker den Zeugen Jehovas keineswegs so kritisch gegenüberstand wie die meisten seiner Kollegen.

      „Also gut!“ Demonstrativ gequälter Gesichtsausdruck. „Aber machen Sie irgendeine Andeutung, wie sehr der Chef heute wieder eingespannt ist oder so. Na, Sie wissen schon.“ Gabriele Marx verschwand mit einem zufriedenen Lächeln in ihrem Büro, um die Telefonverbindung herzustellen. Kurz darauf sah Bekker das Lichtzeichen und nahm den Hörer ab.

      „Bekker.“

      „Guten Tag, Herr Professor. Renz hier. Ich bin der Leiter der Verbindungsstelle der Zeugen Jehovas. Vielleicht erinnern Sie sich an meinen Namen.“

      „Natürlich, ich erinnere mich, Herr Renz. Wir haben uns im letzten Jahr auf dem Kongreß über Alternativen zur Bluttransfusion in München getroffen. Wie geht’s Ihnen?“ Renz war über die liebenswürdige Begrüßung offenbar verblüfft, denn er schwieg einen Moment. Er war es gewohnt, von den meisten Menschen und ganz besonders den Chefärzten mit Geringschätzung und Ablehnung behandelt zu werden.

      „Gut. Danke, Herr Professor. Ich will Ihre wertvolle Zeit nicht über Gebühr in Anspruch nehmen. Sie kennen unser Projekt, einen Ring kooperierender Krankenhäuser aufzubauen. Wir hatten damals auf dem Kongress kurz darüber gesprochen.“ Renz ging mit einigen knappen, plausiblen Sätzen auf die Idee und deren Probleme ein. Bekker hörte aufmerksam zu. Der andere verlor keine Zeit mit langen Erklärungen. Er wusste, dass sein Gesprächspartner mit der Materie bestens vertraut war. Bereits nach wenigen Minuten schwieg er. Bekker räusperte sich.

      „Herr Renz, ich darf eben mal zusammenfassen. Sie suchen Krankenhäuser beziehungsweise Klinikabteilungen, vor allem operative und anästhesiologische, die akzeptieren, wenn Patienten, also Ihre Glaubensbrüder, die Transfusion von Fremdblut ablehnen. Das ist es doch im Kern? Sie kennen meine Einstellung. Beim erwachsenen, das heißt volljährigen Patienten habe ich damit kein Problem. Ich respektiere dies als den freien Willen des Individuums, auch im kritischen Fall. Bei Kindern kommt das nicht in Frage, da hole ich mir zur Not einen Gerichtsbeschluss.“ Renz unterbrach ihn freundlich, aber bestimmt. Er war ein gemäßigter, kluger Mann.

      „Herr Professor, damit müssen wir uns nicht aufhalten. Ich denke, die Verbindungskomitees der Zeugen Jehovas haben in der letzten Zeit klar gemacht, dass es hier keine Widerstände gibt. Sie sind eine Persönlichkeit, die sich die Nöte und Ängste des Einzelnen zu Herzen nimmt und andere Weltanschauungen akzeptiert, auch wenn es nicht Ihre eigenen sind. Das ist besonders bei Ärzten nicht häufig, komisch nicht?“ Bekker fühlte sich unwohl. Er mochte keine Elogen auf seine Person, weil sie in seinen Augen nicht den Tatsachen entsprachen und ihn in die Defensive drängten. Auch wenn er seinem Berufsstand kritisch gegenüberstand, so trug er das nicht gerne nach außen.

      „Herr Renz, ich denke, den meisten Ärzten geht es in erster Linie um das Schicksal ihrer Patienten, und sie versuchen ihrem Gewissen zu folgen. Lassen Sie uns zu den Fakten kommen. Ich verstehe Ihr Problem. Sie wollen klare Verhältnisse. Ich kann natürlich nur für dieses Krankenhaus sprechen. Ich besorge Ihnen Termine bei allen Abteilungsleitern, die wichtig sind, also vor allem bei den Operateuren, spreche aber vorher selbst mit jedem einzelnen, damit Sie nicht vor verschlossenen Türen stehen. Ich denke aber, alle hier sind bereit, Zeugen Jehovas zu behandeln und deren Vorbehalte gegen Fremdblut zu respektieren. Mehr kann ich nicht tun. Ist das okay?“

      „Selbstverständlich, Herr Professor, herzlichen Dank. Das ist mehr, als ich zu hoffen gewagt habe.“ Bekker wollte sich verabschieden, als ihm noch etwas einfiel.

      „Herr Renz, ich gehe davon aus, dass unser Krankenhaus in Zukunft von den Zeugen Jehovas bevorzugt in Anspruch genommen wird. Eine Hand wäscht die andere. In diesem Sinne. Ich muss los. Danke für Ihren Anruf.“ Er legte auf und schmunzelte einen Moment. Die Konkurrenz schlief nicht. Der Kampf um die Patienten war in vollem Gang.

      „Frau Marx, was denn noch?“ Gespielte Verzweiflung, als seine Sekretärin erneut im Türrahmen stand.

      „Die Eltern von dem Unfallkind sind da. Ich hab’ sie schon mal hoch geschickt und Frau Seelmann Bescheid gesagt. War das richtig? Gehen Sie hoch?“ Beide Fragen waren rhetorisch. Bekker war bereits aufgestanden und knöpfte seinen Kittel zu. Die Eltern wollten ihr Kind sehen, und die Formalitäten konnte man auch oben erledigen. Er traf das Ehepaar Lein im Vorraum zur Intensivstation. Sie legten gerade die Mäntel ab und hüllten sich in die grünen Überkittel, wie sie für Besucher Vorschrift waren, auch wenn Bekker nichts davon hielt. „Alles Liturgie“, sagte er bei jeder passenden Gelegenheit, aber beließ es bei dem Ritual.

      Für die meisten Angehörigen war der erste Eindruck wichtig, und fast jeder erwartete etwas Mystisches, wenn’s auch nur ein grüner Baumwollkittel war. Sie stellten sich vor. Frau Lein war eine hübsche blonde Frau mit blauen Augen und einem klassischen Gesicht mit kleiner gerader Nase. Sie trug ein schlichtes beiges Kostüm, das teuer aussah. Sie hatte offensichtlich geweint. Ihre Augen waren rot gerändert. Sie mochte Ende dreißig sein, keinesfalls älter. Ihr Mann hingegen war sicherlich bereits in den Sechzigern. Er war groß mit grauen Schläfen und streng gescheiteltem kurzen Haar. Beide sprachen nicht viel, sahen Bekker nur an.

      „Ich schau’ eben nach, dass alles soweit in Ordnung ist, für Besucher“, sagte Bekker etwas lahm und ging hinein, die beiden zurücklassend. Bevor sie sich unterhielten, benötigte er einen aktuellen Überblick, zusätzlich zu den Informationen, die er schon hatte. Er betrat die Patientenbox und wandte sich an die Schwester, die gerade eine Infusion auswechselte. Über einen der venösen Zugänge lief eine Blutkonserve.

      „Sagen Sie bitte der Oberärztin Bescheid, dass ich hier bin.“ Die Schwester nickte. Bekker trat ans Bett. Das Kind war bleich wie das Laken. Die Augen waren geschlossen. Zwischen den Lidern trat etwas von der weißen Salbe hervor, mit der eine Austrocknung der Schleimhäute verhindert werden sollte. Der Beatmungstubus ragte aus dem rechten Mundwinkel. Der Respirator seufzte kaum hörbar die immer gleiche Melodie, und der Brustkorb des Kindes hob und senkte sich in dem von ihm vorgegebenen Rhythmus. Bekker zog die Decke und das weiße Hemdchen, vollständig zurück. Friederike Lein war ein hübsches Kind. Die Ähnlichkeit mit ihrer Mutter konnte man kaum übersehen. In ihrem Schoß sprießte der erste zarte Flaum. Der Blasenkatheter aus gelbem Kunststoff dazwischen wirkte martialisch und verletzend. Wenn es ihm schon so vorkam, wie mochten die Eltern diesen Anblick empfinden, kam es Bekker in den

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