Das Hospital. Benno von Bormann

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Das Hospital - Benno von Bormann

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für seinen besten Freund das Selbstverständlichste von der Welt getan und sich um ihn gekümmert. Ungenügend, wie sich nun herausstellte. Dass der Zeitpunkt nicht passte, weil sie gerade in den Urlaub fahren wollten, was zählte das? Jürgen hatte sich seine Erkrankung nicht ausgesucht. Jetzt lag er im Koma und er, Bekker, war seine einzige Lobby. Bekker war zutiefst davon überzeugt, dass es sich eben so verhielt und nur er den wehrlosen Patienten vor weiterem Unheil und weiterer Willkür schützen konnte.

      Aber was war mit ihm selbst. Wer schützte ihn? Wer hielt ihn fest? Er konnte das alleine nicht durchstehen. Erneut wollte Selbstmitleid ihn überwältigen. Er sah auf. Draußen war tiefe Nacht. In der großen gläsernen Schiebetür spiegelte sich sein Bild, wie er mit seinem T-Shirt und den abgerissenen Jeans vornübergebeugt auf dem Sofa saß. Es kostete ihn Mühe, sich nicht gehenzulassen, nicht zu ertrinken in dem Gefühl schrecklicher Verlassenheit. Ja, er brauchte Birte und die Kinder, musste wissen, dass sie auf seiner Seite waren und ihn unterstützten.

      ,Ich liebe Euch doch‘, dachte er, ‚ich liebe meine Familie. Ich sorge für sie, und wenn es hart auf hart kommt, bin ich immer für sie da.‘

      Das war der Knackpunkt, denn was ‚hart auf hart‘ bedeutete, bestimmte er. Er wusste natürlich, dass es eine solche Situation normalerweise nicht geben würde, schon gar nicht in der Familie von Birte Bekker. Es war seine ganz persönliche Ausrede, sein Persilschein sich selbst gegenüber, mit der er sich einzureden versuchte, er wäre gar kein so schlechter Vater. Bekker zog die Füße auf das Sofa und dachte nach.

      War er ein schlechter Familienvater? Das kam auf die Kriterien an. Die von Birte waren sicherlich hoch, auch wenn sie sich im Verlauf ihrer Ehe einige Illusionen abgeschminkt haben mochte. Es gab Väter, die viel seltener bei ihrer Familie waren als er. Industrielle mit Dependancen im Ausland, die permanent in der Welt herumreisten, oder Techniker und andere Spezialisten, die im Ausland Brücken bauten oder Kraftwerke. Die waren manchmal Monate weg. Oder Seeleute.

      Für Bekker waren das Beispiele, dass man ein guter Familienvater sein konnte, auch wenn man nicht in jeder freien Minute zu Hause hockte, um mit Frau und Kindern die heile deutsche Familienwelt zu zelebrieren. Er liebte seine Familie. Er liebte seine Frau, auf seine Weise. Er war loyal und treu. Birte war die erste und die einzige Frau, zu der er je die magischen drei Worte gesprochen hatte, ‚Ich liebe Dich‘.

      Birte hatte ihn eine Weile hingehalten. Nicht aus Kalkül oder wegen taktischer Erwägungen. Sie wusste sehr früh, dass sie ihn lieben würde, für immer. Gleichzeitig spürte sie seine Zerrissenheit, sein unstetes Wesen, wenn es um tiefe Gefühle ging, und seine latente Unzufriedenheit. So sehr sie ihn haben wollte, als Mann, als Gefährten, als Vater ihrer Kinder, sie wollte von ihm geliebt werden. Und sie wollte, dass er gewisse Regeln akzeptierte. War dies nicht möglich, würde sie verzichtet haben. Auch Bekker empfand etwas Besonderes für sie, wenngleich er es anders beschrieben hätte. Es gab schließlich keinen Gradmesser für Liebe, kein untrügliches Zeichen. Vierzig Grad Fieber waren vierzig Grad Fieber. Aber Liebe? Jeder verstand etwas anderes darunter.

      Liebe konnte man nicht erkaufen oder erzwingen und nicht erbeten. In dem, was der Mensch tat, offenbarte sich die Liebe Gottes, in nichts anderem. Albert Schweitzer hatte einmal gesagt,

      „Das einzig Wichtige im Leben sind Spuren von Liebe, die wir hinterlassen, wenn wir ungefragt weggehen und Abschied nehmen müssen.“

      *

       Es ist eine mühsame und einsame Reise, obwohl die kleine Expedition immerhin sechzehn Menschen, davon zwei Kinder, umfasst. Unterhalten kann er sich eigentlich nur mit dem jungen Novizen, der ihn unbedingt hatte begleiten wollen auf diesem ungewissen und gefahrvollen Weg ins Unbekannte. Die Indianer sind vom Stamm der Irokesen und alle irgendwie untereinander verwandt. Ihr Anführer hat seine beiden Frauen mit sich. Ein Privileg, das den anderen nicht zugestanden ist. Ihnen gehören die beiden Kinder, zwei halbwüchsige, hübsche Jungen mit klaren, dunklen Augen.

       Sie fahren in vier Booten, immer Fluss aufwärts in einer atemberaubenden eisklaren Landschaft. Der Winter hat eingesetzt, und in den Nächten erstarrt alles im Frost. Manchmal sind die Ufer zu beiden Seiten so weit entfernt, dass man meint, sie trieben im Meer oder in einem unendlichen See. Im Boot der Priester rudern zwei der Indianer, die jeden Tag wechseln. Sie alle sprechen nur in ihrer Sprache, die er zwar versteht, aber nicht gut genug sprechen kann, um eine wirkliche Konversation zu führen. Was sollte er mit diesen Wilden auch besprechen? Sie werden ihn ins Land der Huronen bringen, damit er dort Gottes Wort verkünden kann.

      Es ist ein gefährliches Unternehmen, und der oberste Jesuit im Camp, von dem sie gestartet sind, hatte viele Felle und einen ganzen Ballen Tabak geben müssen, um die Eskorte zusammenzubringen. Die Huronen sind als kriegerisch und unvorstellbar grausam bekannt. Sie häuten ihre Gefangenen bei lebendigem Leibe, wofür Ihre Medizinmänner scharfkantige Muscheln benutzen, die sie am Ufer der Flüsse finden. Es wird berichtet, dass die so Gequälten oft noch viele Tage leben, bevor der Tod sie erlöst. Schwer zu sagen, wie sich seine Begleiter verhalten werden, wenn es zu einem Zusammenstoß kommen sollte. Er macht sich darüber keine Gedanken. Sie sind nicht fürs Kämpfen bezahlt, und er braucht sie auch nicht dafür. Jesus hatte die Gewalt geächtet, den Jüngern verboten für ihn zu kämpfen als es zum Sterben ging. Dies ist seine Mission, und er dankt Gott für die Gnade, ihm dienen zu dürfen, indem er Licht in die Finsternis einer heidnischen Welt bringt.

       Die Tage gehen dahin, keiner zählt sie. Sie gleiten über das lautlose Wasser, vorbei an weichen, grünen Ufern, wechselnd mit schroffen Felsüberhängen und riesigen Wasserfällen, deren Gischt das Ufer in einem weißen, unwirklichen Nebel versteckt. Über allem spannt sich ein unendlicher Himmel mit Sternen des Nachts, die so nah sind, dass man sie auf seinem Lager würde betten können. Sie begegnen niemandem, außer wilden Tieren, die sie am fernen Ufer ziehen sehen, oder dem Adler, der zwischen ihnen und der Sonne seine Bahn zieht. Wenn es dämmert, gehen sie an Land, an einer Stelle, die der Anführer für geeignet hält und von wo sie im Falle eines Angriffs schnell genug zu ihren Booten gelangen können.

       Die Indianer sitzen an ihren Feuern, während er ein eigenes unterhält, an dem er mit dem Novizen sitzt und sein Essen bereitet. Sie beten zusammen, und sie sprechen über vieles. Über das rauhe, wundervolle Land, über die Liebe Gottes und seine Schöpfung, vor der die Werke der Menschen so unendlich klein erscheinen. Nie erwähnt einer die Gefahr, in die sie sich begeben. Das liegt in Gottes Hand. Sie alle sind in Gottes Hand. Morgens drängt er stets zum Aufbruch, aber oft müssen sie verweilen, da der Anführer beschließt zu jagen, um für den Abend und vielleicht den nächsten Tag frisches Wildbret zu haben.

      „Früh morgens ist das Wild besonders gut aufzuspüren“, sagt er. Dabei verweist er manchmal auf die Hilfe eines indianischen Gottes der Jagd, verbessert sich aber schnell unter dem strengen Blick des Jesuiten.

      „Unser aller Gott, der Herr, wird eine gute Jagd für uns haben.“ Tatsächlich sind viele Tiere am frühen Morgen durch die nächtliche Kälte erstarrt und zu langsam in ihrer Flucht.

      Eines Morgens sind sie wieder alle zum Jagen aufgebrochen. Obwohl es zum ersten Mal heftig geschneit hat und die Bäume sich unter der weißen Last biegen, laufen auch die Frauen und die beiden Kinder mit den Jägern. Selbst der Novize hat sich angeschlossen. Er ist stark und geschickt mit Pfeil und Bogen. Vor einigen Tagen hat er einen anrennenden Keiler mit dem kurzen Jagdmesser niedergestochen. Seitdem behandeln ihn die Indianer nicht mehr mit der üblichen Geringschätzigkeit. Der Jesuit bleibt als Einziger zurück und nützt die Einsamkeit für ein ausgiebiges Gebet zu seinem Herrn, denn er spürt, dass sie ihrem Ziel nun nicht mehr fern sind.

       Die Eindringlinge bemerkt er erst, als es fast zu spät ist und man durch die Sträucher bereits ihre bemalten Leiber und Gesichter sehen kann. Instinktiv wirft er sich

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