Das Hospital. Benno von Bormann

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Das Hospital - Benno von Bormann

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bereits draufhatten, nicht gerade große Leuchten. Da gab es schon ein deutliches Kompetenzgefälle, aus dem sich viele Vorurteile entwickelt haben. Das hängt dem Verhältnis zwischen Anästhesie und schneidenden Fächern, aber nicht nur denen, bis heute nach. Wie gesagt, alles historisch bedingt. Brücher hat sich an die neue Entwicklung nie gewöhnen können. Sein großer Ruf als Neurochirurg und Wissenschaftler war sicherlich nicht dazu geeignet, seine Bereitschaft für Kollegialität und Kooperation zu schärfen.“ Bekker nickte, aber es war keine Zustimmung. Stattdessen sagte er,

      „Und damit ist alles entschuldigt? Ist es das, was Sie mir sagen wollen? Das Drangsalieren von Schwächeren, die Geringschätzung anderer Fachgebiete und die Ignoranz gegenüber allem, was der hohe Herr für unwichtig hält? Alles Generationssache?“

      Bekker hielt mit seiner Abscheu nicht hinterm Berg, ärgerte sich aber über seinen Ton. Dennoch, Anstand und Führungsqualitäten waren zeitlos. Sie waren keine Generationsfrage. Das war alles Gerede. Er wusste genau, wo dieses Gespräch sich hinwendete. Seine berühmte Intuition hatte eingesetzt. Noch während er über den Fall Jürgen Menzel berichtete, ahnte er im tiefsten Inneren, dass Fritsche und er in dieser Sache nicht auf der gleichen Seite stehen würden.

      „Lassen Sie mich gefälligst zu Ende sprechen.“ Fritsche reagierte ungnädig auf die Unterbrechung.

      Bekker lehnte sich ergeben zurück. Er wusste eh, was nun kam, kannte lediglich die Wortwahl nicht und nicht die Variante der eingesetzten Logik. Aber im Ergebnis war alles vorhersehbar. Es würde nun die Story kommen vom großen Neurochirurgen, der so vielen Patienten Leben und Gesundheit wiedergegeben hatte. Der durch seine bahnbrechenden wissenschaftlichen Erkenntnisse ganze Generationen von Neurochirurgen in ihrer segensreichen Tätigkeit beflügelt und bestimmt hätte, und der nun, am Ende seiner Laufbahn, eine kleine Nachlässigkeit begangen hätte, deren Beurteilung zudem noch gar nicht abgeschlossen war. Natürlich, da war der Patient. Aber so war das Leben. Es gab Opfer, unvermeidbare Opfer. Die physiologische Ausfallrate, Sie wissen doch, Herr Bekker. Sorry. Durfte man dafür das Leben einer solchen Persönlichkeit, die so segensreich für die Menschen gewirkt hatte, zerstören?

      Bekker gähnte verstohlen. Er hätte genauso gut nach Hause gehen können und spielte für einen Moment mit dem Gedanken, einfach aufzustehen und sich zu verabschieden. Doch die Achtung, die er Fritsche trotz allem entgegenbrachte, ließ ihn ruhig auf seinem Platz sitzen bleiben.

      „Wie bereits gesagt, Brücher ist zuweilen ein äußerst unangenehmer Mensch. Zugegeben. Ich kann mich mit seinen Methoden, persönliche Interessen durchzusetzen, aber auch mit seiner Art der Menschenführung in keiner Weise identifizieren. Ich denke, das habe ich hinlänglich bewiesen.“

      Bekker nickte stumm. Das stimmte. Fritsche war der einzige im ganzen Klinikum, der den Mumm hatte, sich mit dem alten Kotzbrocken, aber auch anderen Provinzfürsten des deutschen Universitätsbetriebes anzulegen. Da hatte es teilweise heftig gekracht. Fritsche duldete kein Mobbing gegen seine Mitarbeiter und legte sich dafür mit jedem an. Ob aus grundsätzlichem Gerechtigkeitssinn oder weil dies seinem Selbstverständnis für sein Fachgebiet und damit für sich selbst entsprach, hätte niemand sicher beurteilen können. Das war letztendlich auch nicht wichtig. Bekker respektierte ihn dafür, nein, er bewunderte ihn sogar. Vielleicht saß er deshalb noch auf dem Ledersofa in seinem Büro.

      „Sei’s drum, Herr Bekker, Brücher ist eine Institution. Nicht von ungefähr. Ich habe ihm deshalb für die letzten Jahre ‘seinen‘ Anästhesisten gelassen, nämlich Sie. Nicht aus Sympathie, aber aus Respekt. Er hat zu einer Zeit, als gewisse Operationen am offenen Schädel noch als Husarenstück galten, richtungsweisende Techniken entwickelt, die heute jeder erfahrene Neurochirurg anwenden kann. Die Sicherheit für die Patienten hat sich damit vervielfacht. Haben Sie eine Idee, was das für Patienten mit gutartigen Hirntumoren oder Hämangiomen oder intrakraniellen Missbildungen bedeutet?“ Er registrierte Bekkers Ablehnung und seine Verschlossenheit.

      „Sie wissen es ganz offensichtlich nicht.“ Fritsche hob zum ersten Mal, seitdem sie beisammen saßen, die Stimme und schlug mit der Hand auf die Schreibtischplatte.

      „Ja, verflucht noch mal, das mit Ihrem Freund hätte nicht geschehen dürfen. Es ist leider genau, wie Sie sagen, nämlich ein offensichtlicher, verdammter Fehler. Rational nicht zu erklären. Ich zermartere mir, seitdem ich den Fall kenne, also seit ein paar Stunden, den Kopf darüber, wie so etwas möglich ist, komme aber zu keinem Ergebnis, glauben Sie mir. Es war zudem genügend Zeit vorhanden, einen ersten Blackout, den man ja noch konzedieren könnte, zu korrigieren.“

      Bekker fühlte einen Wackerstein in seinem Magen. Ja, alle Zeit der Welt hätte man gehabt, alle. Nichts wäre dem Patienten passiert, wäre nur einer dagewesen, der das Heft in die Hand genommen hätte. Gegen alle Widerstände. ‘Zum Wohle des Patienten‘, hieß es nicht so? Aber da war niemand gewesen, und er hatte zu Hause in seinem Bett gelegen. Fritsche blieb Bekkers stumme Selbstzerfleischung verborgen.

      „Aber nichts! Bis zum frühen Nachmittag ist der Irrsinn fortgesetzt worden, auf höchste Anordnung. Müller ist in der Sache hundertprozentig ihrer Ansicht. Er hat es zwar nicht gesagt, aber seine Körpersprache war ein offenes Buch. Jedenfalls für mich. Brücher hat Müller bei der Revision lediglich assistiert. Nach einer halben Stunde ist er schon wieder abgetreten, obwohl ein Ende des Dramas nicht abzusehen war zu diesem Zeitpunkt. Sie haben kein Wort miteinander gesprochen, nicht ein einziges. Die Stimmung war eisig, da hat’s einen gefroren. Aber das alles ändert nichts. Es ist passiert, Bekker, es ist passiert. Beginnen Sie Ihre Abwägungen mit dieser Erkenntnis, mag sie noch so bitter sein. Es ist passiert! Sie haben es nicht verhindert. Haben es nicht verhindern können“, fügte er schnell hinzu. „Ich weiß, dass ich Sie in diesem Moment nicht erreiche. Ganz gleich, was ich jetzt sage, es klingt in Ihren Ohren schal. Für Sie bin ich ein Opportunist, ein Verräter. Ist mir völlig klar. Trotzdem, hören Sie mir wenigstens zu. Wir leben jetzt. Was war, ist gewesen, unwiederbringlich, selbst die Worte, die ich gerade spreche, sind in der gleichen Sekunde bereits Vergangenheit. Nichts lässt sich festhalten. Nichts lässt sich ungeschehen machen. Nicht das Schöne. Das ist gut. Nicht das Schlechte. Das ist schlimm. Manchmal so schlimm, dass Menschen daran verzweifeln.“

      Fritsches Stimme war auf einmal weich, ungewöhnlich für den kalten, kopfgesteuerten Technokraten, den er der Welt gerne vorspielte. Bekker horchte auf in seinem Eishaus, in das er sich seit ein paar Minuten zurückgezogen hatte. Fritsches Stimme hatte etwas Flehentliches. Bekker hob den Blick. Sein Gegenüber, meilenweit entfernt an seinem Schreibtisch, konnte er nur schemenhaft erkennen. Das Zimmer war in zunehmendes Zwielicht getaucht, da Fritsche kein Licht gemacht hatte, trotz der einsetzenden Dunkelheit.

      „Die Zukunft kennen wir nicht, und obwohl wir genau wissen, dass wir sie nicht wirklich beeinflussen können, belastet sie uns. Ist es nicht verrückt, dass die meisten Menschen all ihre Kraft, all ihre Gedanken an die Zukunft verschwenden und die Gegenwart ignorieren? Herr Bekker, alles um das ich Sie heute bitte, ist, meinen Rat anzunehmen. Schlafen Sie über die ganze Sache. Tun Sie nichts Unüberlegtes. Brücher ist nicht irgend jemand. Sie können den körperlichen Schaden, den ihr Freund erlitten hat, nicht ändern, indem Sie einen aussichtslosen Feldzug gegen einen hoffnungslos überlegenen Gegner beginnen. Aber Sie können viel für Jürgen Menzels zukünftige körperliche und mentale Entwicklung tun. Das steht fest, auch wenn wir beide noch nicht wissen, wie groß der zerebrale Defekt ist. Das müssen die nächsten Tage und Wochen zeigen. Gehen Sie die Sache pragmatisch an, mag Ihre Wut auch noch so groß sein. Wut ist ein schlechter Ratgeber. Sie Bekker sind die beste Lobby für die Zukunft Ihres Freundes. Schon wieder die Zukunft, sehen Sie.“

      Bekker wusste, dass Fritsche für einen Moment lächelte, auch wenn er sein Gesicht in der Dunkelheit nicht sehen konnte.

      „Natürlich wird man die Sache nicht unter den Tisch kehren können. Aber man muss es nicht an die große Glocke hängen. Es gibt Schlichtungsstellen, die fachkundig und emotionslos arbeiten. Ausgesprochen

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