Das Hospital. Benno von Bormann

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Das Hospital - Benno von Bormann

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ließ den Blick ziellos durch den Raum schweifen und begann in Ruhe, die Details zusammenzufügen. Er hatte Zeit, konnte im Moment nicht das geringste tun. Wenn Martina Zech sich nicht vertan hatte, dann dauerte die Operation bereits mehr als zwei Stunden. Das war für eine Revision verdammt lang. Schließlich musste der Schädel nicht mehr auf gesägt werden. Eine arterielle Blutung spritzte und war schnell zu finden. Dann die Blutstillung mit ein paar Nähten oder durch Verkochen von Gefäßstümpfen, und das war’s dann schon. Alles in allem dauerte so etwas bei einem erfahrenen Operateur wie Müller eine dreiviertel Stunde. Maximal! Die Operation aber war zweifellos noch längst nicht zu Ende. Das Gehirn lag offen, und selbst aus seiner Position konnte Bekker erkennen, dass sich auf der Oberfläche immer wieder frisches Blut sammelte. Langsam aber stetig. Dunkles venöses Blut. Auch das noch. Der Druck in den Venen reicht gerade aus, dass Blut aus einem verletzten Gefäß herausläuft. Es ist daher schwierig die Blutungsquelle zu finden, besonders in der Tiefe und ganz besonders am Gehirn. Man konnte nicht, wie bei einem offenen Bauch, einfach ein paar Organe zur Seite räumen. Müller war also in echten Schwierigkeiten.

      Für Bekker bestand kein Zweifel mehr. Durch eine arterielle Blutung nach der ersten Operation war der Patient viele Stunden lang zunehmend einem erhöhten Hirndruck ausgesetzt. Schließlich der viel zu spät erfolgte Entlastungseingriff mit Verletzung von Hirngewebe bei tiefer venöser Blutung. Das überstand niemand ohne bleibende Schäden. Das konnte man drehen und wenden wie man wollte. Sein Freund Jürgen Menzel, die Sportskanone, der Schwarm aller Frauen, würde einen schwerwiegenden Hirnschaden davontragen. Durchaus möglich, dass er als sabbernder Krüppel endete, der zeitlebens auf fremde Hilfe angewiesen war.

      Bekker versuchte, sich auf das aktuelle Geschehen zu konzentrieren. Es half nichts, sich jetzt mit der Zukunft verrückt zu machen. Jürgen Menzel benötigte eine optimale Betreuung, wenigstens jetzt, nachdem so vieles bereits versäumt worden war. Aber was half das alles noch? Sie alle, Müller, das Anästhesieteam und er standen am Ende der Kette. Das Gesetz des Handelns lag nicht mehr bei ihnen. Der aktuelle Zustand des Patienten diktierte das Geschehen. Er, Bekker, das wurde ihm nun schmerzlich bewusst, konnte gar nichts tun. Seine Chance etwas für den Freund zu tun, seine Unversehrtheit zu retten war dagewesen. Heute Nacht hatte er sie gehabt, die Chance, aber er hatte versagt, hatte den Freund, den besten den er je hatte, im Stich gelassen. Er hätte die Intensivstation nicht verlassen dürfen, er hätte nicht nach Hause fahren dürfen. Er erinnerte sich genau an das ungute Gefühl letzte Nacht.

      ‚Lieber Gott, warum hab’ ich das getan‘, dachte Bekker. Er hatte es geahnt, ganz tief im Innern. Aber er hatte sich einlullen lassen. Einlullen lassen wollen, weil es ihn nach Hause zog. Und aus Bequemlichkeit. Birte, die Kinder, der Urlaub. Ärger hatte er vermeiden wollen. Ärger, den er nun doch hatte – reichlich. Spätestens morgens, als er von den nächtlichen Ereignissen erfahren hatte, dass die Operation abgeblasen worden war, es dem Patienten angeblich blendend ging, obwohl er noch beatmet war, da hätte er reagieren müssen. Müssen! So etwas gab es nicht. Aber erneut hatte er sich willfährig belügen lassen. Wieder aus Bequemlichkeit. Er war schuldig. Er hatte den Freund verraten. Er war ein beschissener, feiger Opportunist und unterschied sich in nichts von denen, die er verachtete.

       12. Kapitel Universitätsklinik

      Die Tür zu Fritsches Sekretariat war angelehnt. Bekker trat ein, durchquerte die beiden Räume der Sekretärinnen und einen Untersuchungsraum. Er öffnete ohne anzuklopfen die Tür zum Büro seines Chefs.

      „Kommen Sie nur herein.“ Fritsches Ton war nicht mehr so schroff wie noch vor kurzem in der OP-Umkleide. Er deutete auf die üppige Sitzecke mit schwarzen Ledersofas und edelstahlgefasstem Glastisch am Ende des großen Raumes, unmittelbar vor einer mahagoni farbenen Bücherwand, die sich bis unter die Decke erstreckte und voll war mit wichtig und wertvoll wirkenden Buchrücken. Bekker blickte verstohlen an sich herunter. Seine Kleidung war in diesem Ambiente fehl am Platze.

      „Nun setzen Sie sich.“ Fritsche kam hinter seinem Schreibtisch hervor, an dem er sich gerade eine seiner geliebten Pfeifen gestopft hatte, und die er nun auf seinem Weg zu der Sitzgruppe geübt anzündete. Er setzte sich, behielt dabei die kurz geschwungene Pfeife im Mund und nahm die Brille von der Nase, um sie umständlich zu putzen. Bekker kannte dieses Manöver. Fritsche wollte Zeit gewinnen, und Bekker fragte sich wozu. Er hatte eine kurze und drastische Zurechtweisung erwartet und nicht, dass man ihm Platz anbieten würde und sich zum Smalltalk niedersetzte. Aber das dicke Ende würde noch kommen, da war er sicher. Immerhin, Fritsche hatte sich offensichtlich erst einmal für die väterliche Variante entschieden, und Bekker war froh darüber. Sein Nervenkostüm lag blank. Er wusste, dass es ihm zunehmend schwerfallen würde, weiterhin mit ungerechtfertigten Vorwürfen und Anschuldigungen umzugehen.

      Unter der Dusche im Umkleideraum, bevor er zu Fritsche ging, hatte er sich bereits das Szenario ausgemalt. Fritsche würde auf ihn losgehen, ihn beschimpfen und auffordern, alles zu unterlassen, was die neurochirurgische Versorgung des Patienten in ein falsches Licht bringen könnte. Ja, ‘falsches Licht‘, würde es heißen. Eine unverrückbare Wahrheit würde plötzlich relativiert werden. Die Vokabeln waren immer dieselben. ‘Besondere Umstände, Erfahrung, ungewöhnliche Komplikation, nicht vorhersehbar, schicksalhafter Verlauf‘ und einiges andere. Bekker kannte alle diese Phrasen, hatte sie unter verschiedensten Umständen gehört und selbst diskutiert, und tatsächlich entsprachen sie oft genug der Wahrheit. Der Wahrheit, dass der Mensch nicht alles wusste, ob er Arzt, Elektriker oder Pastor war. Ärzten unterliefen die gleichen Nachlässigkeiten wie anderen Menschen, gelegentlich mit fatalen Folgen. Allerdings hatte der Medizinbetrieb vielerlei sinn- und wirkungsvolle Sicherheitsmechanismen entwickelt, damit ein Fehler innerhalb der üblichen Routine nicht zur Katastrophe wurde.

      Bekker akzeptierte seine Welt. Er wusste, dass immer wieder Dinge geschahen zum Nachteil anderer, die nicht geschehen durften, und dennoch, so widersinnig es war, als eine Art natürliche Ausfallrate zu akzeptieren waren. Die Sicherheit für die Patienten, gemessen an der Unmenge invasiver diagnostischer und therapeutischer Maßnahmen, alle mit einem definierten immanenten Risiko, war extrem hoch. Dennoch unterschied Bekker für sich stets zwischen vermeidbaren und unvermeidbaren Fehlern. Der Arzt, der im dramatischen Notfall die falsche Entscheidung traf, in bester Absicht zwar und um ein Leben zu retten, tötete den Patienten womöglich. Dennoch war sein Fehler unvermeidbar, da die Zeit zum Abwägen oder zur Beschaffung weiterer Entscheidungshilfen fehlte. Sein Handeln war im Ergebnis ein Desaster und gleichzeitig aller Ehren wert. Anders die abgewogene, kalkulierte, riskante Entscheidung aus Halsstarrigkeit, Rechthaberei oder unter wirtschaftlichen und organisatorischen Zwängen, die ein hohes Risiko für die Patienten durchaus in Kauf nahm. So kam es zu vermeidbaren Fehlern, die in Bekkers Augen unentschuldbar waren. Ein solcher vermeidbarer Fehler hatte wahrscheinlich die Gesundheit seines besten Freundes ruiniert, und er hatte zugesehen. Er konnte nichts mehr ungeschehen machen, aber er konnte dafür sorgen, dass seinem Freund die bestmögliche Therapie und vor allem Gerechtigkeit zukam. Gerechtigkeit – was war das eigentlich im konkreten Fall? Fritsche riss ihn aus seinen Gedanken.

      „Herr Bekker, ich hoffe, Sie haben sich beruhigt und sind ein wenig zugänglicher als innerhalb der letzten vierundzwanzig Stunden.“ Bekker sah dem anderen ins Gesicht, als wolle er darin lesen, was gemeint war. Was sollte das heißen ‘zugänglich‘? Er fuhr sich durchs Haar. Plötzlich fühlte er sich müde und ausgelaugt. Und nutzlos.

      „Ich weiß, mein ganzer Auftritt, heute Nacht und vorhin, war etwas, hmm, sagen wir mal ungeordnet. Aber ich hatte gute Gründe und ehrlich gesagt wundere ich mich über Ihre pauschalen Vorwürfe.“ Bekker sprach zögerlich und ärgerte sich über seine Wortwahl. Er wollte Fritsche nicht provozieren, sondern ihn überzeugen, dass etwas Ungeheuerliches geschehen war. Ein schrecklicher Fehler durch den Leiter einer der renommiertesten deutschen Kliniken für Neurochirurgie, mit unabsehbaren Folgen für einen bis dato gesunden jungen Mann. Ein Fehler, der sich nicht würde vertuschen lassen. Fritsche musste ihm unvoreingenommen zuhören, denn er schien nur einseitig informiert.

      „Herr

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