Eine von den Vermissten. Harry Peh

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Eine von den Vermissten - Harry Peh

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      Die 2. Woche

      Als hätte ich eine Ahnung gehabt, fährt ein Streifenwagen vor. Zwei Beamte stehen vor meiner Tür. Sie bitten höflich, die Arme vor den Bauch gelegt, um Einlass. Sie wirken unsicher und nervös. Der eine blickt ständig an mir vorbei oder an die Decke oder auf den Boden und wenn ich seinen Blickkontakt suche, weicht er aus. Natürlich weiß ich längst, weshalb sie gekommen sind.

      Ich bitte sie herein. Nervös oder erschreckt fühle ich mich nicht. Sie werden mir ja nur amtlich machen, was ich sowieso bereits weiß. Der eine von ihnen, der Ranghöhere nehme ich an, stammelt wenig souverän irgendetwas von dem Fund einer Mädchenleiche und dass die Eckdaten mit meinem Kind in etwa übereinstimmten. Größe, Gewicht, Alter und so. Näheres könnten sie natürlich im Moment noch nicht sagen, da die Ermittlungen noch in vollem Gange seien. Natürlich. So schwer es auch sei, ich müsste dafür Verständnis aufbringen. Natürlich. Ich sage nichts. Was soll ich denn auch sagen? Was könnte ich denn sagen? Und was sagt man überhaupt in solch einer Situation? Ich ziehe es vor zu schweigen. Ich glaube, ich habe einen ersten Lernprozess hinter mir. Die Show im Sender hat mir einige Dinge gezeigt. Viele Dinge, private und geschäftliche, zumindest aber, dass ich mich zurück halten sollte. Immer schön zurück halten. Immer nur etwas sagen, wenn man gefragt oder dazu aufgefordert wird und vielleicht noch nicht einmal dann. Immer nur etwas sagen, wenn es zwingend erforderlich ist und so antworten, dass niemand irgendetwas versteht. In Hieroglyphen sprechen oder dem Orakel gleich, alles ist möglich und zugleich nichts wahrscheinlich.

      Ich beobachte die beiden. Ich beobachte sie haarscharf und genau. Und während ich das tue, bemerke ich, sie beobachten mich ebenso. Sie machen das extrem geschickt. Na klar, sie haben auch einen unbesiegbaren Vorteil: Sie sind zu zweit. Der eine spricht scheinbar über absolute Belanglosigkeiten, wie etwa meine Tischdekoration oder die ansprechende Farbe meiner Küchenmöbel. Alles schön hell und praktisch. Und funktionell. Und wie gepflegt und ordentlich doch alles sei, man spüre bereits beim Hereinkommen, dass gewissenhafte und ordentliche Menschen hier wohnten, und so weiter und so weiter. Doch durchschaue ich sie. Ich weiß, sie ziehen mich eventuell auch in Betracht. Ich spüre, sie scannen mich, ob ich vielleicht meiner Tochter etwas angetan haben könnte. Sie haben diese Idee schon bei ihrer Ankunft gehabt, sind förmlich mit ihr zu mir gefahren. So was komme immerhin öfter vor als man gemeinhin denkt und als ich mir vielleicht vorstellen könnte. Und während der eine mich mit schwachsinnig auffälligen Fragen abzulenken versucht und den alles in allem uninspirierten Ermittler mimt, durchdringt der andere mich und meine Wohnräume mit Röntgenaugen. Alles wird mit einem Rechnerauge erfasst und analysiert. Sie erstellen ein Täterprofil und Dinge, über die wir uns alle im täglichen Leben nicht die leisesten Gedanken machen würden, nicht weggeräumte Nutella-Gläser, leere Wasserflaschen, nicht gebügelte Wäsche, nicht geöffnete Post, und ähnliches, stempelten einen zum Verdächtigen oder zum Opfer. Man weiß eben nicht, in welcher Stimmung die Herren gerade sind und ob sie mich vielleicht sympathisch finden oder attraktiv. Oder ob sie mich ficken wollten und mir das womöglich Pluspunkte brächte. Ich wäre mit Sicherheit nicht die erste, die sich aus einer sicheren Gefängnisstrafe rausgefickt hätte und bestimmt nicht die letzte.

      Ich bitte sie schließlich, sich zu setzen. Das machen sie auch und akzeptieren obendrein auch noch einen Drink. Wasser. Na klar. Sie schicken mich in die Küche, um sich so lange und so ungestört wie möglich in meinem Wohnzimmer umzuschauen. Bestimmt suchen sie die Fußböden ab nach Spuren, die auf ein Verbrechen hindeuteten. Blut, Haare, Scherben eventuell. Oder irgendetwas anderes, von dem sie annehmen könnten, dass es irgendwie Rückschlüsse auf irgendein Verbrechen erlaubte. Sie beobachten, überlegen, kommen zu bestimmten Schlüssen, verwerfen diese sogleich wieder, sind mit den Ergebnissen unzufrieden, weil sie damit mein Haus nicht verlassen können. Weil sie damit nicht zurück ins Präsidium fahren können. Weil sie an ihren eigenen Erwartungen scheitern. Weil sie wissen, dass sie an den Erwartungen anderer scheitern. Sie suchen ständig nach belastbarem Material. Sie sollten mich danach fragen. Es erleichterte die Dinge extrem.

      Ich könnte und würde ihnen sagen, dass ich ihnen nur zu gern weiterhelfen würde; dass ich mein Leben für das meiner Tochter gäbe; dass ich die erste und die letzte wäre, die ihnen auch nur den geringsten Hinweis auf ihren Verbleib oder ihr Verschwinden gäbe, hätte ich denn nur solche Hinweise. Aber angenommen, ich täte es, würde solch eine Kooperation nicht erst Recht ihren Argwohn erregen? Würden sie mich nicht gerade des Mordes an meinem Kind bezichtigen? Je mehr ich mich einbrächte, mit Hilfe, Tipps oder gar aktivem Suchen, desto verdächtiger wäre ich und je verdächtiger ich mich möglicherweise verhielte – durch Schweigen, durch mangelnde Kooperation, wie immer diese auch aussehen möchte – desto genauer und misstrauischer beobachteten sie mich. So oder so. Ich bin immer die Dumme. Damned if I do, damned if I don’t… Ich bringe ihnen ihre Gläser mit Mineralwasser.

      Dann begreife ich, dass die gesamte Arie der Fragerei von vorne los geht. Alles, was schon gefragt wurde und alles, was ich oder wir darauf geantwortet haben, wird noch einmal gefragt und natürlich muss ich noch einmal darauf antworten. Ich glaube, wir kauen das jetzt zum achten oder zehnten Mal durch. Und trotzdem bewegen wir uns nicht von der Stelle. Das ist die reinste Zeitverschwendung. Vielleicht sollten sie lieber die Leiche zehnfach untersuchen, um bloß keine Kleinigkeit zu übersehen. Diese berühmten Kleinigkeiten, die am Ende womöglich noch eine Verurteilung unmöglich machten. Aus Mangel an Beweisen. Obwohl diese Beweise buchstäblich auf dem Tisch lagen. Selbstverständlich hat die permanente Wiederholung ein und derselben Frage beziehungsweise derselben Fragensequenz einen kriminologischen Sinn und Zweck: Sie wollen prüfen, wie stringent ich antworte und ob ich nicht inhaltlich abweichend antworte oder etwas weglasse oder hinzufüge. Zu ihrer erweiterten Informationsgewinnung dient das allerdings keineswegs. Es dient lediglich als Versuch, mich zu verunsichern, aus mir Dinge heraus zu holen, die ich gar nicht sagen kann oder will; Dinge und Umstände, von denen ich gar nichts wissen kann und deren Preisgabe mich verraten soll. Aber das macht mir keine Angst. Ich brauche keine Angst zu haben. Vor ihnen nicht, vor anderen Polizisten nicht und ganz generell vor Niemandem. Sollen sie mich doch verdächtigen. Mir fällt auf, dass sie gar nicht nach Georg fragten. Normalerweise würde man doch als Paar verhört, oder etwa nicht? Verhört. Wie sich das anhört! Hab ich mich oder uns jetzt bereits selbst auf die Anklagebank gesetzt? Ich frage sie danach. Sie meinen, sie hätten meinen Mann in der Firma besucht und dort mit ihm gesprochen. Das sei durchaus üblich. Die Eltern vermisster Kinder würden grundsätzlich auch getrennt befragt. Man könne sich dadurch aufgrund der Aussagen ein differenzierteres Bild machen. Aha. Ich glaube, langsam zu verstehen. Es handelt sich um keine Befragung im eigentlichen Sinne. Sie meinen, viel weiter zu sein. Sie beginnen bereits, Schlingen auszulegen und sie zuzuziehen. Schwindel ergreift mich. Ich muss das irgendwie beenden. Ich sage ihnen, ich fühlte mich nicht wohl und dass ich heute keine weiteren Fragen mehr beantworten kann. Sie bringen Verständnis für meine Situation auf. Das ist nett. Der eine reicht mir eine Karte mit einer Telefonnummer. Ich solle dort anrufen und mit dem zuständigen Pathologen einen Termin vereinbaren. Ich stehe auf. Sie ebenfalls. Höflich bedanken sich die Herren für mein Verständnis und die Bewirtung. Ich geleite sie zur Tür.

      Einige Minuten später habe ich mich gesammelt. Fragen, Sätze und Gesprächssituationen rattern mir durch den Kopf und ich weiß überhaupt nicht, ob das, was ich sagte, irgendwie von Wichtigkeit für Maria war. Oder ob es mir wichtig war und ist. Ich habe leider auch keinerlei Erfahrung mit der Polizei und so ist es mir schlicht unmöglich, die letzte halbe Stunde realistisch einzuschätzen und zu bewerten. Ich werde erst einmal im Krankenhaus anrufen. Die Pathologie des Krankenhauses teilt mir mit, dass zur Feststellung der eindeutigen Todesursache meiner Tochter durch die Staatsanwaltschaft eine Obduktion angeordnet worden sei. Das sei grundsätzlich so. Ich sage, ich werde an der Obduktion teilnehmen. Der Herr erwidert, dass so etwas ganz und gar nicht üblich sei und seines Wissens in diesem Krankenhaus noch nie vorgekommen ist. Ich teile ihm mit, dass ich dann eben die erste bin und dass Maria meine Tochter ist. "Jetzt nicht mehr"! sagt der Mann und will mir Details erklären. So zum Beispiel, dass ich ohnehin später zur Identifizierung gebeten werde. Den Quatsch höre ich mir

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