In meinem Herzen nur du. Katharina Burkhardt
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу In meinem Herzen nur du - Katharina Burkhardt страница 2
Greta schmunzelte. Sie hatte völlig vergessen, wie jung man war, wenn man Abitur machte. Jung und aufgeregt und ahnungslos. Aber das war vielleicht auch gut so. Wer weiß, ob man noch den Mut fand, sich aufzumachen in sein eigenes Leben, wenn man vorher schon wusste, was auf einen zukam.
Die Zeugnisübergabe begann. Nina würde eine der Letzten sein, Wilhelmi stand nun mal weit hinten in der alphabetischen Reihenfolge. Greta richtete sich auf eine endlos lange und öde Zeremonie ein.
Tobias reckte neben ihr den Hals, als die Jahrgangsbesten geehrt wurden. Greta folgte seinem Blick.
»So sehen also heutzutage die Oberstreber aus«, stellte sie fest, als ein Junge mit modischem Haarschnitt eine Dankesrede hielt. »Bei uns waren das blasse Jüngelchen mit dicker Brille.«
»Pass auf, was du sagst«, entgegnete Tobias. »Ich war auch so ein Streber.«
»So, so.«
Greta war wie immer, wenn sie sich in seiner Nähe befand, ein wenig angespannt. Aber sie war auch froh, dass er es sich nicht nehmen ließ, sein ältestes Kind auf diesem großen Schritt hinaus ins Leben zu begleiten.
Seite an Seite beobachteten sie stolz, wie ihre Tochter ihr Zeugnis in Empfang nahm. Sie hatte einen guten Notendurchschnitt, viel besser als Greta damals. Nina besaß die Zielstrebigkeit ihres Vaters, und Greta war dankbar dafür. Sie hatte sich selten in all den Jahren ernsthafte Sorgen um ihre Tochter machen müssen.
»Sie wird mir fehlen«, bekannte sie, und Tobias fasste ihre Hand, und einen winzigen Augenblick lang wünschte Greta, sie könnte diesen Mann auf die Weise lieben, die er verdiente.
Ihr eigenes Abitur kam ihr in den Sinn. Sie hatte damals so viele Hoffnungen gehegt, so große Träume gehabt. Doch ihr Leben war völlig anders verlaufen, keinen ihrer ursprünglichen Pläne hatte sie umgesetzt. Stattdessen war sie ewig auf der Suche gewesen, verzweifelt bemüht, die Leere in ihrem Inneren zu füllen.
Ohne Erfolg.
Bis heute fühlte Greta Wilhelmi sich verloren und orientierungslos. Und daran war ausgerechnet der Mensch schuld, den sie auf der ganzen Welt am meisten geliebt hatte.
Der Todesberg
»Dösbaddel!«
»Eingebildete Ziege!«
»Angeber!«
»Hosenschisser!«
»Gar nicht.«
»Dann zeig’s mir doch!«
»Und wie?«
Die achtjährige Greta Bubendey fuhr stur mit ihrem Fahrrad geradeaus, während Finn Janssen mit seinem Rad in großen Bögen um sie herumkurvte. Es war ein freundlicher Tag im Mai, Greta trug eine kurze Hose und ein geringeltes T-Shirt und sie war auf dem Weg nach Hause von ihrer besten Freundin Mareike.
Unterwegs geriet sie mit Finn aneinander. Das war jetzt bereits das dritte Mal in dieser Woche.
Angefangen hatte alles, weil Finn in der Schule von ihr bei der Deutscharbeit abschrieb. Die Lehrerin bestrafte beide, Finn mit einer Fünf und Greta mit einer Ermahnung, die sie zu Hause vorlegen musste.
»Wieso lässt du andere Kinder abschreiben?«, fragte ihre Mutter. »Du strengst dich an und lernst ordentlich und sie kassieren dafür die Lorbeeren. Das ist dumm von dir, Greta.«
»Was hast du mit diesem Jungen zu schaffen?«, fragte ihr Vater und unterschrieb den Brief der Lehrerin nur widerwillig. »Ich denke, du sitzt neben deinen Freundinnen?«
»Wir sind bei der Klassenarbeit alle auseinandergesetzt worden«, sagte Greta und konnte nur mühsam die Wut und Enttäuschung darüber verbergen, dass sie bestraft wurde, obwohl sie nichts Unrechtes getan hatte. Sie hatte diesem blöden Finn nämlich keineswegs ihr Heft rübergeschoben, sondern zwischendrin sogar die Hand davorgehalten. Als sein Blick immer wieder zu ihr herüber wanderte, hatte sie ihn schließlich sehr laut und vernehmlich angefahren.
»Lass das, du Faulpelz!«
Ja, und da war auch schon die Lehrerin aufgesprungen und hatte misstrauisch gefragt, was es da zu tuscheln gab. Und Greta hatte wahrheitsgemäß geantwortet, dass Finn sie beim Arbeiten störe.
Am nächsten Tag stimmte Finn einen Singsang an, sobald Greta in der Pause den Schulhof betrat.
»Petze, Petze ging in Laden,
Wollt fürn Dreier Käse haben.
Dreier Käse gab es nicht,
Petze, Petze ärgert sich.«
Seine Freunde lachten und fielen grölend in den Spottreim mit ein.
Greta standen Tränen in den Augen, aber sie ließ sich nicht kleinmachen. Nicht von diesem Finn Janssen, der ein echter Prolet war, wie ihr Vater zu sagen pflegte. Dabei hatte sie überhaupt keine Ahnung, was ein Prolet war. So was wie ein Arbeiter wohl, wenn sie das richtig verstanden hatte. Finns Vater war Schmied, ein einfacher Mann im Vergleich zu ihrem Vater, dem die Apotheke am Marktplatz gehörte.
»Wir sind Akademiker«, pflegte er zu sagen, und was das bedeutete, wusste Greta ebenfalls nicht genau. Aber an der Stimme ihres Vaters erkannte sie, dass es etwas Bedeutendes sein musste. Akademiker waren wichtige, angesehene Leute, so viel stand fest. Sie waren besser als andere.
Tapfer reckte sie das Näschen in die Höhe.
»Lern nächstes Mal ordentlich, dann bist du nicht auf die Hilfe von schlaueren Leuten angewiesen«, sagte sie zu Finn Janssen.
»Hochnäsige Kuh«, entgegnete Finn. Er steckte die Hände in die Vordertaschen seiner Jeans und schaute sie drohend an.
Wütend drehte Greta sich fort. Am liebsten hätte sie diesem Spacken eine runtergehauen. Aber erst letzte Woche hatte sie beobachtet, wie er auf dem Bolzplatz hinter der Turnhalle einen Jungen aus der Parallelklasse verdrosch. Finn war sehr stark und Greta hatte keine Lust, sich von ihm in den Schwitzkasten nehmen zu lassen, wie es dem anderen Kind passiert war.
Und jetzt musste sie sich schon wieder über ihn ärgern, weil er mit seinem Rad ihren Weg kreuzte, sodass sie gezwungen war, zu bremsen und ihm auszuweichen.
»Du willst mir beweisen, dass du kein Hosenschisser bist?« Er sah sie herausfordernd an. »Dann fahr freihändig den Todesberg hinunter.«
Greta riss die Augen auf. »Spinnst du?«
Der Todesberg war die höchste Erhebung in der Gegend, ein bewaldeter Hügel, der so aussah, als habe ein Riese einen gewaltigen Felsbrocken mitten in die flache Landschaft