Ein Kleid aus Seide. Sanne Prag

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Ein Kleid aus Seide - Sanne Prag

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Tor rausgelassen, und sie hat geglaubt, sie findet ins Zimmer...“

      … Und dann war sie in einem entlegenen Winkel des Hauses gelandet, wo keiner rechnete, dass irgendjemand hinkommt. Und was hatte sie dort getroffen? Was war ihr begegnet? Was hatte ihr das Leben gekostet? Das konnte sich der Kommissar nicht einmal annähernd vorstellen. Aber immerhin war ein Stückchen des Unerklärlichen heller geworden. Das schöne Kleid war nicht ein Teil der Modeschau, sondern ein Tribut an die Liebe. Sie war schon lange vor der Modeschau weggegangen, um Liebe zu treffen. Wahrscheinlich war sie erst nach der Modeschau zurückgekommen, das war etwa zehn Uhr. Und nach Verdacht des Arztes hatte sie dann bald ihr Ende gefunden. Wo war sie hineingestolpert, das arme hübsche Ding? Und wer war Futzi? Laut fragte er: „Wer ist Futzi?“

      „Das weiß ich auch nicht“, sagte Theresa. „So lange war das noch nicht. Ich weiß nur, Futzi hat sich sehr bemüht. Tolle Einladungen zum Demel und in die Oper und riesen Blumensträuße. Irgendein Italiener aus guter Familie, sehr katholisch.“ In Graumanns Kopf kreiste die Frage, wie Futzi wohl aufzustöbern war. Da sagte Theresa: „Ich habe schon etwas Komisches gehört, was Ponhomy betrifft.“

      Herr Graumann musste sein Programm umstellen, umschalten auf Ponhomy.

      „Mit irgendeiner Frau hat er vor der Türe zum Empfangsraum gesprochen, vorgestern. Es ging um Geld. Sie sollte irgendetwas bezahlen und sagte, sie könne nicht so viel locker machen. Er sagte, das sei ihm wurscht, und sie müsse schauen, wo sie es herkriegt, sonst müsste sie die Folgen tragen, oder so ähnlich.“

      Ja, das klang wie Erpressung. Herr Graumann wurde deutlich fröhlicher – ein klares Motiv.

      NACHMITTAG

      Theresa hatte kein Gefühl von Bedrohung mehr gehabt, als sie Herrn Graumann verließ. Die Polizei fühlte sich nicht gefährlich an. Sie ging dann durch die Gänge und fühlte immer noch ihre aufgerissene Brust. Menschen waren im Moment nicht gut. Sie setzte sich auf eine kalte, steinerne Treppe und begann bitterlich zu heulen.

      Sie musste ganz leise sein, damit keiner sie fand, heulte also ganz leise, ganz verhalten. Wölfe hatten es gut, die spannten ihren Körper und ließen einen langen, prachtvollen Ton in die Weite hallen, einen Appell, um gehört zu werden, durch die ganze Welt, das Leid klagend, und alle sollten es wissen.

      Aber sie musste leise sein.

      Herr Graumann konnte nichts dafür, dass sie da weinte. Sie dachte: Das Schwierige war nicht Herr Graumann, sondern die Gewalt. Sie hatte so viel Gewalt getroffen und konnte damit überhaupt nicht umgehen. Sie wollte keine Grobheit mehr, keine Toten und vor allem keine eingeschlagenen Köpfe. Sie wollte keine Machtergreifung mehr sehen, keine hören, nicht einmal mehr laute Töne. Das war auch schon Gewalt, Machtergreifung an ihren Ohren, wie an dem schlimmen Abend vor drei Tagen. Die waren auch so laut geworden. Lautstärke war immer der Beginn von Gewalt.

      In der Erinnerung war die ganze Gesellschaft aufgepeitscht gewesen, durch die Musik und wahrscheinlich auch durch Alkohol, vielleicht noch andere Sachen. Sie hatte Gefahr gewittert, konnte aber nicht herausfinden, welche, bis es zu spät war. Es ging nicht an, dass sie in einer so gefährlichen Welt so blöde herumtorkelte. Sie musste lernen, mit den Dingen besser umzugehen. Es nützte gar nichts, wenn sie Gewalt nicht sehen wollte, nicht hören wollte und nicht haben wollte. Es gab sie trotzdem.

      Als sie da auf der Treppe saß und die Sitzfläche immer kälter wurde, hinein in ihr empfindliches Becken, kam Wolfgang an, mit einer Leiter.

      Er war zuerst nicht erfreut, jemanden zu treffen, denn das behinderte die Arbeit. Aber als er ihr verschmiertes Gesicht sah, setzte er sich zu ihr, putzte ihr die Nase und wartete auf das Ende des Sturms.

      Normalerweise fiel ihm immer Sex ein, wenn er neben einer Frau saß. Diesmal merkte er irgendetwas anderes als Sex. Es war komisch, denn eigentlich kannte er nur wenig andere Varianten so nahe bei einer Frau. Sie wirkte so jung, so zerbrechlich, als ob er sie mit einer Hand zerdrücken könnte. Sogar ihre blasse Haut schien empfindlich, wie sehr dünnes Porzellan, wie sehr feiner Stoff…

      Theresas Problem neben ihm war, dass er in ihr Gesicht sah, und es schaute furchtbar aus. Es beschäftigte sie, dass Bäche ihr Gesicht hinunterliefen und vielleicht Abgedecktes freischwemmten. Er brüllte sie aber nicht an. Das Udo-Krokodil hätte wer weiß was alles gesagt.

      Das Aussehen war für ihn normal, Menschen, die heulten, sahen eben so aus. Es war Mitleid erregend, bedauerlich, musste betreut werden. Aber Wolfgang war im Zweifel, wie er mit diesem anderen, das da in ihm war, umgehen sollte. Er hatte zu wenig Erfahrung damit. Nicht Sex, nein, aber Sex war sonst immer beruhigend. Ihn beruhigte er jedes Mal.

      Sie schniefte laut und heftig in sein Taschentuch. Wenn er ihr zerstörtes Gesicht aushielt, würde er das auch aushalten. Er sah aus, als ob er Verständnis hätte. Vielleicht konnte man mit ihm auch reden?

      Wolfgang suchte nach einem zweiten Taschentuch. Keines da. Er ging an seine Immer-alles-drinnen-Tasche und bot ihr ein Stück Küchenrolle, das andere Taschentuch musste inzwischen unerträglich nass und glitschig sein.

      Sie begann, abgerissen zu reden. „Ich versteh einfach nicht, warum sie Rita umgebracht haben. Warum haben sie gerade sie auf den Kopf geschlagen? Wer kann geplant haben, sie zu ermorden? Nichts an Rita war irgendwie gefährlich.

      Kann sie zufällig umgebracht worden sein?

      Das Ganze ist Unsinn. Irrtümlich auf jemanden einschlagen, das kann doch nicht möglich sein, wenn man zuerst einen Stein aus der Decke brechen muss. Da muss einer etwas geplant haben. Ich versteh aber nicht, warum er geplant hat, gerade sie umzubringen.

      Sie kennen ja Rita nicht, aber ich sag Ihnen, Rita war brav. Sie war einfach brav. Sie war nicht so dumm, hätte manchmal schon denken können. Aber sie war überhaupt nicht gewöhnt, dass das jemand von ihr wollte. Sonst hätte sie auch brav gedacht, sozusagen in Pflichterfüllung eigene Gedanken gehabt.“

      Wolfgang vermutete, dass sie vom Verhör kam und dort einiges aufgeschnappt hatte, gute, verwendbare Information. „Sie ist also mit dem Stein erschlagen worden?“

      „Ja, hat Herr Graumann gesagt. Der Stein ist nicht runtergefallen, er wurde herausgebrochen. Extra wegen Rita. Sie hat sich wahrscheinlich verlaufen und ist dort auf etwas getroffen. Vielleicht etwas, das sie nicht sehen sollte.“

      In Wolfgangs Erfahrungsschatz entstand Unruhe. Der Stein war herausgebrochen worden. Wenn das die Polizei sagte, war das sicher ernst zu nehmen. Nur, wie sollte das möglich sein? Dass jemand den Stein herausgebrochen hatte, um Rita zu erschlagen, war unmöglich, er hatte das Loch gesehen, in über vier Metern Höhe.

      Sie hatte sich dorthin verlaufen, gut, das war sehr wahrscheinlich. Aber dann? Das konnte nur jemand mit einer Leiter herausgebrochen haben. Einzig die Vorstellung wäre möglich, dass der, den Rita gesehen hatte, gerade auf einer Leiter stand.

      Also, da stand einer auf einer Leiter und tat etwas, was keiner sehen sollte, mitten in der Nacht. Er musste die Stelle untersuchen, sobald der Zugang wieder freigegeben war. Und dann kam Rita angelaufen und der Täter musste schnell handeln, um sie zu erschlagen. Das klang komisch, aber auf einer Leiter hat man oftmals nichts Passendes, um jemanden zu ermorden. Manchmal hat man einen Hammer, aber längst nicht immer. Der Mörder konnte mit dem Stein auch hoffen, dass es als Unfall durchging.

      „Von zwei Metern Höhe haben sie sie erschlagen“, schluchzte Theresa.

      Passt genau, dachte Wolfgang.

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