Sie kommen nachts. Jay Baldwyn
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»Wir wollen doch nicht alles durcheinander werfen«, ereiferte sich Daljit Jaspal, »uns geht es nicht darum, ob irgendwelche Raumschiffe auf der Erde landen, um womöglich die Weltherrschaft zu übernehmen, sondern dass wir auch ohne Landung gequält und für Experimente missbraucht werden. Ganz zu schweigen von den Unglücklichen unter uns, die ihre Kinder vermissen. Denen ist es herzlich egal, ob die Außerirdischen landen. Dadurch bekommen sie ihre Kinder auch nicht zurück. So sieht es aus.«
»Damit wir uns wieder etwas beruhigen, schlage ich eine Teepause vor«, rief Dhiren Tinle in die Runde. Tee und Gebäck stehen für Sie bereit. In einer halben Stunde sehen wir uns wieder.«
Paigam sah, dass Ananda die Pause nutzte, um hinauszugehen, und hoffte, sie würde nur die Toilette aufsuchen und sich nicht in ihr Zimmer zurückziehen. Sie kam dann tatsächlich wieder. Wenn sie also überlegt hatte, der restlichen Veranstaltung fernzubleiben, musste sie sich dagegen entschieden haben.
Nach der Pause sprach Dhiren Tinle Savera Namgang direkt an. »Sie sagten, Ihr Kind sei auch entführt worden. Möchten Sie uns Näheres dazu erzählen?«
Die junge Frau räusperte sich und schien nach Worten zu suchen.
»Mein kleiner Vinod ist 2004 mitten in der Nacht aus dem Haus seiner Großeltern verschwunden. Niemand will etwas bemerkt haben. Eine großangelegte Suchaktion blieb erfolglos. Zwei Monate zuvor war er nur für eine Stunde unauffindbar gewesen, um dann plötzlich wieder im Haus aufzutauchen. An die vergangene Zeit hatte er keinerlei Erinnerung. Aber von den Erscheinungen, von denen hier berichtet wird, habe ich nichts bemerkt.«
»Aber Sie haben doch sicher die Meldungen über die Ereignisse rund um Tarai verfolgt, die sich in jenem Jahr häuften? Es war eindeutig von UFO-Sichtungen die Rede«, sagte Dhiren Tinle.
»Nein, ich interessiere mich für diese Thematik weniger.«
»Ich habe darüber gelesen«, sagte Ranjan Nolo, »ich komme ja auch aus dieser Gegend. Jugendliche berichteten von senkrecht aufsteigenden Flugobjekten, die gänzlich ohne Geräusch über ihnen schwebten, um anschließend wieder zu verschwinden.«
»Eigentlich ist es allgemein bekannt, dass die Sichtungen von UFOs in unserer Gegend seit 1998 zugenommen haben«, gab ihm Samudra Sanjay zunächst Recht. »Aber ich habe diese Angelegenheit nicht mit dem Verschwinden meines Jungen in Verbindung gebracht. Es hieß ja auch in der Bevölkerung, die Sichtungen hingen mit den indischen nuklearen Tests zusammen. Wissenschaftler des indischen Geo-Instituts meinten, die UFOs kontrollierten schon eine Weile die Provinz Himachal Pradish.«
»Ja, man behauptete, dass eine außerirdische Macht unterirdische Landeplätze im Himalaja baut«, stimmte ihm Camaka Lanee zu. »Ich fand das anfangs lächerlich, doch dann wurden militärische Aktionen im Norden an der Grenze zu China beobachtet. In China hingegen, dicht an der Grenze zu Indien, legte man einen großen künstlichen See an, der über Nacht plötzlich verschwand. Und jeder fragte sich, wo wohl das Wasser geblieben sei.«
»Aber was hat das mit den Entführungen zu tun?«, fragte Daljit Jaspal.
»Also für mich ist das kein Widerspruch«, meinte Ranjan Nolo. »Das beweist doch nur, dass sie da waren. Es kann doch kein Zufall sein, dass sich vor zehn Jahren die Vorfälle häuften.«
»Sie machen mir Angst«, rief Savera Namgang aus. »Bisher war es schlimm genug für mich, zu glauben, mein Kind sei von fremden Menschen entführt worden. Ich bin auch nur gekommen, um Erfahrungen auszutauschen oder eventuell Hilfe zu bekommen. Der Gedanke, dass es Aliens gewesen sein könnten, die mein Kind in ihre Gewalt gebracht haben, ist für mich unerträglich.«
»Ich kann Sie gut verstehen«, sagte Ananda Tsomo. »Mir geht es ebenso. Ich hatte auch keine Ahnung, worum es hier bei dieser Zusammenkunft geht, doch ehrlich gesagt, bin ich inzwischen nachdenklich geworden.«
Paigam Kalzang fiel eine Zentnerlast von der Brust, aber er freute sich zu früh, denn Ananda machte ihm beim Abendessen heftige Vorwürfe.
»Jetzt verstehe ich, warum Sie mich das alles gefragt haben. Finden Sie es richtig, mich unter falschen Voraussetzungen hierher zu locken?«
»Verzeihen Sie, ich dachte, es wäre leichter für Sie, inmitten von Betroffenen die Wahrheit zu erfahren. Mir hätten Sie vielleicht nicht geglaubt.«
»Ob Ihre Wahrheit die meine ist, wird sich bald herausstellen, wenn Irshalu, den man jetzt Diyo nennt, wieder in meiner Obhut ist. Wenn diese Leute ihn entführt haben, hat sein Verschwinden ganz irdische Ursachen.«
»Überlegen Sie doch mal. Warum wurde wohl ihr Sohn an einem Highway gefunden, fern ab von menschlicher Zivilisation? Weil man ihn dort abgesetzt hat. Er wäre nicht der Erste, den man an einen ganz anderen Ort gebracht hat.«
»Noch steht ja nicht fest, ob er am Highway gefunden wurde. Wenn ich auch zugeben muss, dass es plausibel klingt. Denn diese Leute, die sich als seine Eltern ausgeben, waren bestimmt nicht in meinem Haus, und es kann kein Zufall sein, dass man ihren Bungalow nur über den Highway erreichen kann.«
»Richtig, und von Entführern, die extra helles Licht und starke Energiequellen bei ihrer Schandtat einsetzen, habe ich auch noch nichts gehört. Es sei denn, es handelt sich um Außerirdische. Ich kann ja verstehen, dass der Gedanke für Sie neu und befremdlich ist.«
»Ach, ich bin hin und hergerissen«, seufzte Ananda. »Ja, ich gebe zu, dass es ein Erlebnis ist, all diese Leute hier kennengelernt zu haben. Aber im Moment würde mich ein tüchtiger Anwalt wahrscheinlich weiterbringen.«
»Für den Fall, dass es sich bei Diyo wirklich um Irshalu handelt, was ich sehr für Sie hoffe.«
»Danke. Wäre es sehr vermessen von mir, zu fragen, ob Sie mich nach unserer Rückkehr ein weiteres Mal nach Kargil begleiten? Ich muss schließlich DNA-Material besorgen.«
»Nein, überhaupt nicht. Ich hätte es Ihnen ohnehin angeboten. Schließlich habe ich etwas gutzumachen. Aber vielleicht sollten wir uns vorher in der Schule erkundigen, ob Diyo aus dem Urlaub zurück ist.«
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