Mein Opa, der Hunsrück, die Schule und ich. M. Schneider

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Mein Opa, der Hunsrück, die Schule und ich - M. Schneider

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selbsterfundene Geschichten über Kasperle, Afrika und die wilden Tiere erzählte, bis ich endlich eingeschlafen war. Das war ein Ritual, auf das ich jeden Abend bestand. Danach ist er wohl immer wieder aufgestanden, denn für ihn war es doch noch etwas zu früh sich schon ins Bett zu legen. Außerdem war morgens immer meine ältere Schwester in dem Bett neben mir, worüber ich mich sehr wunderte. Aber ohne Opa an meiner Seite, wollte und konnte ich abends einfach nicht schlafen gehen. Dieses wohlige Gefühl, die Geborgenheit dieser Momente so kurz vor dem Einschlafen - ist für mich heute noch immer spürbar, wenn ich die Augen schließe.

      Wir zwei waren ein unzertrennliches und eingespieltes Team. Mit vier oder fünf Jahren ging ich dann auch mal zeitweise in den Kindergarten, weil es bei der Betreuung der Enkelkinder eine Erleichterung war und man auch schon damals meinte, Kinder brauchten die Gesellschaft Gleichaltriger. Außerdem sollten wir schon mal das unvermeidliche Stillsitzen für den anschließenden Schulalltag einüben. Ich ging gerne in den Kindergarten. Aber nicht wegen der anderen Spielkameraden und all der nützlichen Dinge die wir dort lernten. Das war mir ziemlich egal. Viel wichtiger war, dass mich ein gleichaltriges Mädchen aus der Nachbarschaft morgens abholte. Sie und ich durften uns meist so kurz vor neun Uhr alleine auf den Weg machen. Ohne die Begleitung Erwachsener fühlten wir zwei uns im Alter von fünf Jahren schon ganz groß und selbständig. Was waren wir stolz!

      Doch der morgendliche Besuch des Kindergartens war nur eine zeitweise, unwichtige Störung des Beisammenseins von Opa und mir. Die Tage im Kindergarten empfand ich als so unbedeutend, dass ich mich weder an die Kindergartentante – wie man damals Erzieherinnen nannte – noch an irgendwelche Begebenheiten aus dieser Zeit erinnere. Der Aufenthalt in dieser Einrichtung war für mich ziemlich belanglos. Mein bester Lehrmeister war eben mein Opa und mit ihm konnte eine noch so gute Kindergärtnerin nicht Schritt halten. Zu meinem großen Glück redete man damals den Eltern noch nicht ein, dass fremde Leute die besseren Erzieher und Bezugspersonen für die eigenen Kinder seien. Unter der Anleitung meines Opas lernte ich die Welt sehen und auch verstehen, wie sie eben war. Durch ihn bekam ich einen festen und stabilen Boden unter die Füße.

      Wenn es nach mir gegangen wäre, dann hätte es ewig so weitergehen können. Ganz nebenbei hatte ich gelernte mit Zahlen umzugehen und auch Buchstaben waren mir irgendwann wie von selbst verständlich. Ich konnte fließend lesen. Aber es half ja alles nichts, Kinder müssen, auch wenn sie schon lesen und kleine Rechenaufgaben lösen können, nun mal ab dem 6. Lebensjahr zur Schule gehen.

      Einschulungstermin war damals der 1. April. Für diesen großen Tag hatte ich eine wunderschöne, dunkelblaue Schultüte bekommen, verziert mit bunten, aufgedruckten Motiven und aufgeklebtem rosa Krepppapier. Die Schultüte wurde zwar im unteren Drittel locker mit Zeitungspapier ausgestopft, damit durch diesen einfallsreichen Trick nicht mehr so viele leckere Sachen in die Tüte passten, wogegen ich kräftig, aber erfolglos protestierte. Trotzdem war sie immer noch mit reichlichen Süßigkeiten der damaligen Zeit gefüllt. Zusammen mit meiner Mutter trottete ich dann am Einschulungstag los. Zuerst ging es in die Kirche, in der wir Kinder für das neue Schuljahr Gottes Segen bekamen und anschließend machten wir uns auf den Weg Richtung Schule. Auch an diesen Tag habe ich keine genauen Erinnerungen. Aber wenn ich daran denke, dann fühle ich immer noch diese erwartungsvolle Anspannung, gepaart mit Neugierde auf das Neue was da kommen sollte.

      Mein Lehrer war schon ein älterer Herr im Alter von ungefähr 58 oder auch schon 60 Jahren, wurde von allen damals als äußerst streng bezeichnet und dass ihm gerne und leicht mal die Hand ausrutschen würde. Auch das war damals Schulalltag und wurde allgemein gebilligt. Niemand regte sich groß darüber auf.

      Die ersten Tage wurden wir Mädchen noch von den Jungen getrennt unterrichtet. Die Jungs mussten morgens schon um 8 Uhr zum Unterricht erscheinen und konnten gegen 10 Uhr wieder nach Hause gehen. Ab dann wurden wir Mädchen unterrichtet. Ich konnte morgens ausschlafen und anschließend gemütlich mit meinen Großeltern frühstücken, bevor ich zu Fuß zur nahegelegenen Schule ging. Die zwei Stunden Unterricht gingen schnell vorbei und ich war nach diesen zwei Stunden endlich wieder in meiner gewohnten Umgebung.

      Leider war diese Herrlichkeit nur von kurzer Dauer. Nach ungefähr einem Monat wurden wir Mädchen mit den Jungen zusammen unterrichtet und das hieß - bereits morgens um 8 Uhr in der Schule erscheinen. Ach, was war der Morgen jetzt so einsam und lang für mich! Kein gemütliches Frühstücken mehr mit Oma und Opa, bei dem uns Opa Artikel aus der Tageszeitung vorlas. Erst gegen Mittag war mein Schultag beendet und erst dann konnte ich wieder zu meinen Großeltern zurück. Auch dass meine ältere Schwester an der selben Schule, nur einen Stock höher unterrichtet wurde, linderte nicht meinen kindlichen Schmerz über die verlorene Zweisamkeit mit meinem Opa.

      Von den großen Erwartungen und der Freude, als ich am letzten Weihnachtsfest vor der Einschulung meinen Ranzen samt Schiefertafel und Griffel bekam, war nichts übrig geblieben. Jeden Morgen machte ich mich nun schweren Herzens auf den Schulweg. Eine gewisse Zeit konnte ich es ertragen, aber dann war es vorbei.

      Es war ein Wochenende wie immer gewesen. Nichts Besonderes war geschehen. Es waren lediglich zwei glückliche und freie Tage in einem Kinderleben. Dann war Montag und die Herrlichkeit hatte wieder ein Ende. Das war zu viel!

       Direkt nach Unterrichtsbeginn, wir waren gerade zum morgendlichen Gebet aufgestanden und sprachen die ersten Worte, fing ich jämmerlich an zu schluchzen und zu heulen. Obwohl ich es wollte, konnte ich einfach nicht mehr aufhören. Es war, als wäre an diesem Tag ein Damm gebrochen. Von nun an liefen mir jeden Morgen, direkt nach Unterrichtsbeginn, wie von selbst Tränen über das Gesicht. Die ersten Tage versuchte es mein Lehrer noch zu ignorieren. Er dachte wohl, das sei nur von kurzer Dauer, bis ich mich richtig eingewöhnt hätte. Aber dem war nicht so. Ich war todunglücklich. Alle Versuche meines Lehrers und meiner Mitschülerinnen mich zu beruhigen schlugen fehl. Es half einfach nichts.

      Als wäre es erst gestern gewesen, kann ich in Gedanken noch immer die ansonsten strenge Stimme unseres Lehrers hören. Aber diesmal klang sie ganz weich und freundlich, als er mich fragte, warum ich denn so weinen würde. Aus tiefstem und unglücklichstem Herzen sagte ich ihm dann: „ Ich habe so Heimweh nach meinem Opa. „

      Zum Glück hatte mein Lehrer trotz seiner Strenge ein Herz und Verständnis für meinen kindlichen Schmerz und meinte dann nur:

      „Wenn du so Heimweh nach deinem Opa hast, dann geh‘ nach Hause zu deinem Opa."

      Glückselig packte ich meine Schultasche zusammen und lief im Sauseschritt heim. Dort war man gar nicht so glücklich über mein Erscheinen. Ich konnte zwar schon lesen, schreiben und etwas rechnen als ich eingeschult wurde, aber das war auch damals nicht Grund genug, dem Schulunterricht fern zu bleiben. Also wurde am nächsten Tag ein neuer Versuch gestartet. Und prompt fing ich während des Morgengebets wieder an herzzerreißend zu weinen. Meine Augen waren so voller Tränen, dass ich weder meinen Lehrer noch meine Mitschüler sehen oder wahrnehmen konnte.

      So ging es dann noch einige Tage weiter und mein Lehrer ging zu meiner Mutter ins Geschäft und machte ihr den Vorschlag, mich aus der Klasse zu nehmen und ein Jahr später erneut einzuschulen, wenn ich denn jetzt so gar nicht mit der neuen Situation klar käme. Meine Mutter suchte Rat bei meiner Oma. Zum Glück war sie eine kluge und vorausschauende Frau und hatte erkannt, dass dies keine gute Lösung wäre.

      Eines Nachmittags, meine Oma und ich saßen noch gemeinsam am Tisch und ich war am malen, als sie wie nebenbei anfing, sich mit mir zu unterhalten und das Gespräch wie zufällig die Wendung in Richtung Schule nahm. Wir unterhielten uns dann sehr ausgiebig. Ich beantwortete ihre Fragen und konnte mir dann gleichzeitig den ganzen kindlichen Kummer von der Seele reden und wie sehr ich morgens die gemeinsame Zeit mit meinem Opa vermissen würde. Dann meinte sie, der Opa müsste doch jeden Morgen die Arbeiten verrichten, die sie wegen ihres starken Rheumas nicht mehr machen könnte. Aber jeden Mittag, wenn ich aus der Schule käme, wäre er zu Hause und würde auf mich warten und

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