Indische Reisen. Ludwig Witzani

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Indische Reisen - Ludwig Witzani

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Konnte man der buddhistischen Überlieferung glauben, dann befanden sich hier nur ein Teich und ein Baum, als König Suddhodhanna auf dem Heimweg in sein Königreich Kapilavastu etwa im Jahre 556 vor unserer Zeitrechnung eine Rast einlegen ließ, während der seine Gattin, die Königin Maha Devi Prinz Gautama Siddhartha, den späteren Buddha, zur Welt brachte. Das war es dann auch schon mit Buddha und Lumbini gewesen. Aufgewachsen ist Prinz Siddharta in Kapilavastu, und auch als er seine Heimat im Alter von 29 Jahren verließ, zog ihn nichts mehr Lumbini zurück. Stattdessen suchte er in Wäldern und Wüsten, in der Gegenwart heiliger Männer und in der Einsamkeit nach der Erleuchtung, bis er sie im nordindischen Bodh Gaya erlangte und in Sarnath bei Varanasi zum ersten Mal öffentlich verkündete.

      Konnte Lumbini als Etappe einer buddhistischen Pilgerreise also mit Bodh Gaya und Sarnath nicht wirklich konkurrieren, so stimulierte ein Besuch seiner Ruinen noch immer jene feinstoffliche Geistigkeit, die das Kennzeichen der höheren buddhistischen Sphären ist. Denn zu sehen gab es in der empirischen Welt Lumbinis fast nichts - außer einem Teich, auf dem an diesem Morgen einige Enten schwammen und von dem die Überlieferung behauptet, die Buddhamutter Maha Devi hätte in seinem Wasser vor ihrer Niederkunft gebadet, einer Säule, die an einen verkleinerten Schornstein erinnerte und den Resten einer der Maha Devi geweihten Tempelanlage. Allerdings handelte es sich bei der Säule, die an einen Schornstein erinnerte, nicht wirklich um einen Schornstein, sondern im Gegenteil um ein historisches Zeugnis allerhöchster Wichtigkeit. Denn die Etablierung der Säule ging zurück auf den indischen Imperator Ashoka, den die Historiker heute sehr dafür loben, dass er während seiner langen Regierungszeit seine Baumeister auf Trab hielt und sein Reich mit einer Vielzahl von Inschriften und Säulen schmückte. Tatsächlich besuchte Ashoka im Jahre 249 vor der Zeitrechnung auch Lumbini und ließ an der Stelle, an der nach der Legende die Maha Devi den Gautama Siddhartha geboren haben sollte, eine Säule errichten, auf der man heute noch - vorausgesetzt natürlich man verstand Sanskrit und besaß sehr gute Augen - lesen konnte: „König Ashoka, geliebt von den Göttern, begab sich hierher im zwanzigsten Jahr seiner Herrschaft, huldigte dem Buddha und erklärte: ‚Hier wurde der Buddha Shakayamuni geboren‘ ".

      Kein Wunder, dass die Wiederentdeckung dieser Säule im Jahre 1895 ein echter Knüller wurde: Buddhas Geburtsort war gefunden worden, und der staubige Ort Lumbini erkletterte plötzlich den gleichen religionsgeschichtlichen Rang wie Bethlehem oder Mekka. Das war beachtlich, interessierte aber fast ein ganzes Jahrhundert lang niemanden, weil das zur Vermarktung notwenige Kapital nicht zur Verfügung stand.

      Das hat sich nun geändert. Finanziert durch die Millionen, die der Lumbini Development Trust in aller Welt locker macht, wird sich in naher Zukunft das gesamte archäologische Areal mit Teich, Tempelresten und Ashoka-Säule zu einer Insel inmitten eines künstlichen Sees verwandeln. Sogar eine gigantische Prozessionsstraße ist geplant, links und rechts des Weges gesäumt von einigen Dutzend repräsentativer Klosteranlagen aus allen Teilen der buddhistischen Ökumene. Zusagen aus Japan, Korea, Sri Lanka und Thailand lagen bereits vor, und die inzwischen eingegangenen Gelder reichten offenbar aus, die Angestellten des Lumbini Development Trusts in ihren kleinen Büros gleich neben dem Gelände über gigantischen Plänen brüten und die arbeitsfähigen Männer der Umgebung bereits mit Grabungsarbeiten beschäftigen zu lassen.

      Mr. Sharma, der Inhaber der Lumbini Lodge schüttelte den Kopf über diese Pläne. Wann immer die Rupien auch rollen würden, ob schon in einem guten Jahrzehnt, wie es die Angestellten des Lumbini Development Trusts erhofften, oder wirklich erst im Jahre 2024, wenn sich Buddhas Todestag zum 2.500sten Male jährte - das heutige Lumbini würde auf Nimmerwiedersehen verschwinden. Und das wäre schade, denn der Umstand, dass es im Geburtsort des Erleuchteten über die Jahrtausende hinweg ohne die Glaubenskraft und die Fantasie der Pilger rein gar nichts zu erleben gab, repräsentierte die Religion des Nirwana wahrscheinlich viel treffender als das geplante Disneyland der buddhistischen Welt.

       VI Im Drahtkäfig

      

       Ayodhya. Indiens offene Wunde

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      Gestern gingen Bomben hoch in Hyderabad. 14 Tote. Kein guter Tag, um nach Ayodhya zu fahren. Aber wenn ich jetzt nicht fahren würde, käme ich niemals dorthin. Und einmal im Leben sollte jeder, der sich für Indien interessiert, in Ayodhya gewesen sein.

      Auf der Plattform 15 des Busbahnhofes in Lucknow wartete bereits der Bus nach Faizerbad. Der Fahrer trug einen Salafistenbart und war ein sympathischer Kerl, der mich gleich auf einen Sitz in der Fahrerkabine einlud. Von dort aus durfte ich zusehen, wie er anschließend die Frontscheibe seines Busses hingebungsvoll mit Zeitungspapier reinigte. Sauber wurde es nicht, aber immerhin wurde der Dreck auf diese Weise gut über die Fensterfläche verteilt. Fliegende Händler nutzten die Wartezeit, um im Minutenabstand zuzusteigen und ihre Waren anpriesen. Der erste war ein Textilverkäufer, der es sich nach einer kurzen Ansprache nicht nehmen ließ, seine Tischdecken im Eingangsbereich des Busses auszupacken und wild an ihnen wild herumzureißen, um zu demonstrieren, wie stabil sie waren. Als nächster erschien ein dürrer Mensch, der Zahnbürsten anpries und zur Demonstration mit ihnen in seinem eigenen Mund herumputzte. Leider wurden dabei sehr schadhafte Zähne sichtbar, was dem Verkauf wenig förderlich war, sodass er sich schließlich ohne Absatz trollte. Der dritte, der es noch in den Bus schaffte, ehe die Frontscheibe fertig geputzt war, entpuppte sich als ein Parfümhändler. Er öffnete eine grell bemalte Flasche, und sofort entströmte dem Gefäß ein regelrechter Freudenhausgeruch, so intensiv, dass die Gespräche in den ersten Reihen erstarben. Ein Inder mit verschwitztem Gesicht und einer fleckigen Jacke roch an der Flaschenöffnung und erwarb das Produkt.

      Dann ging es endlich los, doch es dauerte fast eine geschlagene Stunde, ehe der Bus den Großraum Lucknow verlassen hatte. Ich notierte: Wie groß eine indische Stadt ist, erkennt man immer erst, wenn man versucht, sie mit einem Bus zu verlassen. Straßenschlucht folgte auf Straßenschlucht, vor den Kreisverkehrsrondellen krachten die Fahrzeuge in karrengroße Schlaglöcher, und vor jedem Bahnübergang gab es einen Stau. Wenn es dann einmal auf einer Geraden etwas schneller voranging, schossen Mofas, Rikschas und Kleinwagen pfeilschnell links und rechts am Bus vorüber, behinderten, schnitten oder gefährdeten sich gegenseitig, als wäre die Gefahr eines Zusammenstoßes nur eine theoretische Eventualität, mit der man nicht wirklich rechnen müsste. Jahrelange Schnibbelpraxis beim Überholen und hemmungsloses Gottvertrauen ermöglichen in Indien im Vergleich zu europäischen Ländern das Doppelte bis das Dreifache des normalen Verkehrsaufkommens auf einer gegebenen Fläche. Wenn es aber doch einmal kracht, geht es oft nicht ohne Tote ab.

      Dann außerhalb von Lucknow die nächste Überraschung: ein Highway oder besser gesagt: eine zweispurige Schnellstraße auf dem Weg zur Autobahn, an deren Rändern zwar noch immer die Ziegen grasten, auf der aber immerhin Spitzengeschwindigkeiten von bis zu achtzig Stundenkilometern möglich waren. In einem so schnellen Gefährt sitzend hatte ich die Landschaft Uttar Pradeshs noch nie gesehen. Wie ein impressionistisches Gemälde, dessen Details an den Rändern verschwammen, huschte sie vorbei – eine flache Landschaft zwischen Verbuschung und Kultivierung, Heimat von insgesamt fast zweihundert Millionen Menschen im größten Bundesstaat der Indischen Union. Weite Felder, auf denen Menschen Salatköpfe zählten, überall Straßenarbeiten, aufgerissener Lehmboden, dann wieder lang gezogene Dörfer, die der Bus ohne anzuhalten durchraste – das war das ländliche Uttar Pradesh, das sich als eine flache Ebene über etwa 230.000 Quadratkilometer im indischen Norden erstreckte.

      Nach drei Fahrtstunden war die Busfahrt in Faizerbad zu Ende, und ich stieg in ein Tempo, um nach Ayodhya zu gelangen. Ein Tempo trägt seinen Namen natürlich nur als Euphemismus - in Wahrheit handelt es sich um die Kollektivvariante einer Rikscha, die mit der doppelten Sitzfläche ein vierfaches Passagieraufkommen bewältigt. In dem Tempo, das mich von Faizerbad in das nur neun Kilometer entfernte Ayodhya bringen sollte, saßen bereits zehn Personen und ein Huhn. Zuunterst hockten

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