FUKUSHIMA - IM SCHATTEN. Juergen Oberbaeumer

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FUKUSHIMA - IM SCHATTEN - Juergen Oberbaeumer

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anders empfunden werden: man laeuft entweder weg vor dem Tsunami oder wird von ihm ueberrollt; Angst ist vielleicht dabei – vielleicht auch nicht. Grosse Gefuehle sicher nicht.Der Mensch reagiert reflexhaft wenn’s erforderlich ist: erst wenn man Zeit zum Nachdenken hat, erst wenn die Gedanken kommen entsteht das Beduerfnis nach Verstaendnis, nach Deutung, nach Ordnung. Was so ploetzlich und so unbegreiflich wild geschah, muss irgendwie in das eigene Leben integriert werden, wenn man gesund bleiben will. Die Wildnis muss urbar gemacht werden, fruchtbar wenn moeglich. Das ist muehsame Arbeit und nur bedingt emotional.

      Ob’s fuer die geneigte Leserin, den geneigten Leser profitabel ist ein paar Stunden Zeit des eigenen Lebens zu opfern um mir beim Ackern zuzuschauen? Hoffen wir es! Ueber manche Dinge kann man zwar nicht sprechen, vielleicht steigt hinter den Worten aber hier und da etwas Beredteres auf, eine Art Schweigen.

      Ein Innehalten, das etwas von der Anstrengung kommunizieren wuerde Mensch zu bleiben, wenn sich die Maechte ungnaedig zeigen. Mensch zu werden! Nicht Spielball der „Maechte“.

      Und warum ich dies hier fuer alle Oeffentlichkeit schreibe? Mich selber bloss stelle?

      „Also, wenn Du dermassen krass gegen die japanische Politik schreibst – kannst Du danach hier nicht mehr arbeiten…“ sagte Ruth. Ob sie Recht hat? Ob ich es je herausfinden werde…?

      Ich schreibe jedenfalls. Um anzuklagen! Je laenger die Ereignisse von 2011 zurueckbleiben desto bitterer werde ich. Es muss sich etwas aendern. Ich schreibe um zu warnen – und um den Mut und die Kraft der kleinen Leute von Fukushima zu feiern! So dumm sie – wir – auch waren und sicher immer noch sind. Wir sind staerker als das Unheil. Wir wurden niedergetreten wie Gras und richten uns auch genauso wieder auf. Wir halten zusammen.

       Hoffe ich.

      1 Wir bleiben!

      Seit ueber 27 Jahren lebe ich in Fukushima.

      Sollte ich jetzt etwa weggehen? „Wir bleiben!“ sagte ich neulich in einem Interview das deutschlandweit ueber die Schirme flimmerte. Wir bleiben – schreibe ich das jetzt etwa mit dem heimlichen Wunsch gerade diese trotzigen Worte koennten vielleicht irgendein Wunder bewirken, uns einen Weg oeffnen raus aus dieser Situation hier? „We have a situation…” in der Tat, mon general. We have a situation.

      „Warum wollt ihr denn nur zurueckgehen?“ wurden wir in Deutschland so oft gefragt, im April 2011, als es klar war, dass wir genau das wagen wollten. „WARUM?!“ was sollten wir denn anderes tun, ihr geliebten Deppen? Wovon leben – mit wem – wo die halbe Familie hier ist; die japanische Seite der Familie, und auf Hilfe der Tochter, meiner Frau Mariko, angewiesen. Wo meine Arbeit ist. Unser Lebensunterhalt. Unser Leben! In Deutschland als 57-jaehriger, nach fast 30 Jahren, im Grunde seit ueber 30 Jahren im Ausland, versuchen einen Job zu finden?

       Ein guter Witz, ha ha.

      2 Wurzeln

      Nach 27 Jahren gibt es Wurzeln, es gibt Verflechtungen, die nicht aus eigener Kraft zu kappen sind. Hatte Heike recht als sie meinte es sei vielleicht besser gewesen, wenn unser Haus vom Tsunami weggespuelt worden waere? Fuenfzig Meter vor uns lief sich die Welle aus. Hier im Ort war sie mit knapp fuenf Metern extrem niedrig... etwas hoeher, Normalhoehe, und wir waeren alle unsere Sorgen los. Der Strand von Yotsukura ist kaum 500 Meter von unserem Haus weit weg; man kann im Sommer in Badelatschen und Handtuch zum Baden gehen. Wenn Seegang ist und der Wind kraeftig von Osten kommt hoeren wir die Brandung maechtig rauschen. Vor Jahren einmal so extrem dass ich nachts rausgelaufen bin, weil es so laut war, dass ich dachte: „Das Meer kommt!“ aber es war nur ganz normale Brandung. Der Huegel hinter dem Haus, der, auf den ich jetzt fluechtete, warf das Rauschen verstaerkt punktgenau auf uns: wie ich dann mit einem flauen Gefuehl im Bauch in Richtung Strand ging wurde das Rauschen schwaecher und schwaecher und ich wunderte mich….

      Wir wohnen etwa 33 Kilometer suedlich von Fukushima Dai-ichi. Acht Zeitzonen oestlich Deutschlands, auf der Hoehe von Almeria in Spanien oder Naxos in Griechenland, am Stillen Ozean.

      Unser Haus. Gemietet, aber doch: unser Haus seit Herbst 1986; der erste Oktober war Einzugstag. Ich hatte zwei Wochen darauf verwandt die Staender und Balken mit Leinoelfirnis zu streichen und die Waende mit weisser Abdeckfarbe aufzuhellen: so zogen wir mit Kind und Kegel ein. ‘Kind’ meint die kleine May… wegen derer Liebe zum Treppensteigen wir eigentlich aus der alten Wohnung rausgewollt hatten; die Treppe da war allzu steil; fast eine Leiter! ‘Kegel’ – die Sachen die sich in jenem einem knappen Jahr schon angesammelt hatten. Nichts im Vergleich zu dem was uns heute umgibt… aber doch mehr als beim ersten Umzug: per Rucksack auf der kleinen Honda. Der beste Umzug den ich je gemacht habe.

      Leon, der mich gestern so direkt und fast brutal auffordert: „Schreib ein Buch!“ war noch nicht geboren. „Schreib solange Fukushima noch nicht vergessen ist!“ forderte er und so sitze ich jetzt am PC.

      Neujahrsabend 2012: das Jahr des Drachen ist nicht mehr weit weg, ist ganz nah wie ein rettendes Ufer… noch drei Wochen, noch einen Vollmond und dann vierzehn Tage bis der Hase zur Ruhe gehen kann, der verdammte Nager. Hat mich schon frueher gequaelt, durch meine eigene Schuld natuerlich; Charakter ist Schicksal, und ein schwacher Charakter selbstverschuldetes Leiden. Und dies Buch jetzt – auch May hatte das ja schon einen Tag vor Sylvester drauf: Schreib doch ein Buch darueber! – eine etwas andere Zielrichtung, mehr in Richtung „Beauty and the Beast“, aber das ist eine andere Geschichte.Wie auch die Frage die mir so oft gestellt wurde, warum ich nach Japan gekommen sei.

       Eine ganz andere Geschichte; lassen wir die jetzt mal ruhen.

      3 Haben wir’s geahnt?

      Lassen wir diesmal anfangen im Maerz 2011… einem anfangs ueberaus schoenen Monat! Mariko hat normalerweise im Maerz immer den Blues: letztes Jahr war’s anders! Wir freuten uns auf den heranziehenden Fruehling. Der Himmel war so blau. Nach dem langen Winter mit seinen Sorgen freuten wir uns so sehr auf den Fruehling! Alles begann zu spriessen und zu bluehen, das kleine wunderschoen hellblau bluehende Zeugs, in Deutschland wuerde man’s Lungenkraut nennen, breitete sich ueber die winterkahlen Beete unseres kleinen Gemuesegaertchens aus wie jedes Jahr, die kalten Winde des Februar wehten schwaecher, die Frostnaechte wurden seltener und die hart funkelnden Sterne des Orion begannen im Westen zu verschwinden. An manchen Tagen konnte man regelrecht das kommende Fruehjahr mit seinen Versprechungen riechen. Wir leben zwar imVerhaeltnis zu Europa relativ weit suedlich hier, in unserem Garten waechst eine strubbelige Palme – die genauso alt ist wie unsere Kinder, sagt Mariko immer, aber die Winter sind lang und kalt. Es gibt keine gute Heizung und keine gemuetlich warmen Stuben. Nachts sind es im Schlafzimmer nur drei, vier Grad ueber Null und im Grunde ist das ganze Haus von Dezember bis Maerz ein einziger, grosser Kuehlschrank.

      Unser Haus ist alt, es ist ein „richtiges“ japanisches Haus wie es inzwischen nicht mehr allzuviele gibt, einstoeckig mit Tatamimatten in allen Raeumen ausser der Kueche, die einen einfachen, guten Holzfussboden aus Kiefernbrettern hat. Wir leben wie die Fuersten: so wie wir wollen. Freunde die uns besuchen sind immer ueberrascht: Das ist ja wie zu Hause bei den Grosseltern…

      Freunde der Nacht: ihr seid vom Land und wisst nicht, dass dies inzwischen wieder hochmodern ist, „retro“, und in den Zeitschriften der Grossstaedte auf sorgfaeltig inszenierten Fotos einem schmachtenden Publikum teuer verkauft wird. Wir aber haben das noch in echt, und wir wissen, dass dieser Lebensstil bedroht ist in einem Land das hundertfuenfzig Jahre immer nur blind nach vorwaerts gerannt ist ohne sich umzuschauen.

      Gerade deshalb ist

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