MINUS. Jon Pan
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Violette ging an der Tür des Buchhalters vorbei. Hermann Mangold hieß der Mann, der schon seit bald dreißig Jahren für die Weinhandlung arbeitete. Er hatte sogar seine Lehrzeit bei Werenfels absolviert und war der Firma seitdem treu geblieben. Mangold war als sehr korrekt bekannt.
Mit einem Blick durchs Fenster am Ende des Gangs vergewisserte sich Violette, ob der Lieferwagen schon an der Rampe stand. Doch nur die Regentropfen tanzten auf der Plattform aus Beton herum, die etwas Unverbrauchtes an sich hatte und vermutlich vor noch nicht so langer Zeit neu angebaut worden sein musste.
Ein leichtes Frösteln durchfuhr Violette, sie rieb sich beidseitig mit den Handinnenflächen die Oberarme, was etwas Wärme erzeugte. Dann drehte sie sich um und ging mit schnellen Schritten in ihr Büro zurück, das sich vorne neben dem Haupteingang des Hauses befand.
Das Telefon klingelte, und sie nahm noch eine Bestellung entgegen, die sie zu den anderen des Nachmittags legte. Ihre Aufgabe war es dann, die Lieferscheine zu tippen und diese zweimal täglich ins Lager zu geben, wo Herr Brenner, der dort arbeitete, die entsprechende Ware bereit stellte.
Die Tür ging ruckartig auf, und Hardmeier, der Fahrer, kam herein. Er steuerte auf die Ablage zu, wo sich die Briefpost befand, und nahm den Stapel Umschläge in seine große Hand.
»Sie sollen sich noch beim Chef melden«, sagte Violette Girold.
»Scheißregen!«, fluchte Hardmeier, ohne auf Violettes Worte einzugehen. »Ist das alles«?, fragte er stattdessen und hielt die Umschläge hoch
»Ja«, kam die Antwort.
Hardmeier hatte die Gewohnheit, die Tür hinter sich offen zu lassen. Violette ärgerte sich jedes Mal darüber. Gerade bei diesem Wetter musste die Wärme in den Räumen bleiben, denn Werenfels heizte nur, wenn es unbedingt nötig war – also an besonders kalten Wintertagen
»Schließen Sie doch bitte die Tür, Herr Hardmeier!«, verlangte Violette. »Sie wissen doch, wie schnell die Räume hier kalt werden!«
Hardmeier war etwa dreißig, ein breitschultriger, großer Mann. Sein Blick musterte Violette manchmal von oben bis unten, was sie jedes Mal peinlich berührte. Auch nun schaute er wieder so, was er noch mit den Worten »Dabei sind Sie doch immer bis obenhin zugeknöpft!« unterstrich. Er benahm sich ihr gegenüber seltsam. Schon wenige Tage, nachdem Violette in der Weinhandlung neu angefangen hatte, startete er seinen ersten, plumpen Annäherungsversuch. Ob sie nicht mal Zeit hätte, am Abend, er wolle ihr mal die Stadt zeigen. Natürlich ließ sie ihn abblitzen. Er war absolut nicht ihr Typ, dazu kam, dass sie sich schon seit Jahren nicht mehr mit einem Mann eingelassen hatte. Und sie konnte sich auch nicht vorstellen, dass eine Frau wie sie in Hardmeiers Beuteschema passte! Wie sie nur wenig später erfuhr, lebte er mit einer Frau zusammen. Aber Hardmeier gab nicht auf, nutze jede Gelegenheit, um einen anzüglichen Spruch zu platzieren.
»Gehen Sie jetzt auf die Post«, sagte Violette mit abgewandtem Gesicht.
Hardmeier zog demonstrativ die Tür zu.
Nein, sie mochte ihn nicht. Da war ihr Herr Mangold, der Buchhalter, schon angenehmer. Sie begriff manchmal nicht, warum sie in dieser Firma arbeitete. Hatte es mit ihrem schwachen Selbstbewusstsein zu tun? Sie ertappte sich manchmal dabei, wie ihr die Atmosphäre hier gefiel, wie sie ihr so etwas wie Schutz verlieh. Es gab nicht diesen Neid und dieses Geschwätz wie in anderen Firmen.
Draußen kündete sich nächtliche Dunkelheit an. Und noch immer Regen, also wieder ein unangenehmer Nachhauseweg. Einen Wagen besaß sie nicht. Werenfels und Hardmeier waren die einzigen in der Weinhandlung, die ein solches Fahrzeug hatten.
Herr Brenner, der Lagerist, musste um die fünfzig Jahre alt sein. Auch er arbeitete schon lange für Werenfels, und Violette hatte das Gefühl, als würde ihn das schlechte Klima des Lagerraums – insbesondere während des Winters – eines Tages zum Invaliden machen. Oft hustete er laut und bronchial, oder er ging gebückt, als trüge er unter Schmerzen eine Last. Er sprach selten, nur bei Unklarheiten wegen den Bestellungen. Mit Hardmeier schien er sich nicht gut zu verstehen, da dieser ihn dauernd herum kommandierte.
Noch zehn Minuten bis Feierabend. Es konnte gut möglich sein, dass Werenfels Violette wegen irgendeiner Arbeit noch zu sich rief. Er selbst saß jeden Abend länger in der Firma und achtet deshalb oft nicht darauf, wie spät es überhaupt war. Einmal hatte sich Violette deswegen eine Bemerkung erlaubt, aber keinerlei Reaktion oder gar Entschuldigung darauf erhalten
Die letzten Minuten wartete sie geradezu ab. Sie saß untätig am Schreibtisch und hoffte, dass das Telefon nun nicht mehr klingeln würde. Hardmeiers polternde Schritte waren zu hören. Er kam von der Post zurück.
Noch drei Minuten!
Die Tür schnellte auf. »Was ist mit dem Chef?«, fragte die tiefe Stimme des Fahrens. »Was will er noch von mir? Es ist Feierabend!«
Hatte sie es ihm nicht ausdrücklich gesagt! Da strömte wieder kühle Luft durch die offenstehende Tür! Violette Girold drehte sich auf dem Stuhl um. Schon traf sie Hardmeiers Blick. Was wollte er?
»Zum Chef soll ich gehen, was?«
»Ja! Und nun verschwinden Sie schon!«, reagierte Violette leicht verärgert.
Er lachte mit breitem Mund und zog sich die Tür vor dem Gesicht langsam zu, wobei er bis zum Schluss durch den immer schmäler werdenden Spalt schaute.
Violette erhob sich, holte die Handtasche aus der untersten Schublade, den Mantel vom Wandhaken. Dann überprüfte sie die Ordnung im ganzen Raum, befand sie als gut, ging zur Tür, drehte sich dort nochmals um, bevor sie das Licht löschte und auf den Gang hinaus trat. Sofort fixierte sie die Tür des Chefs, Das tat sie jeden Abend, als befürchte sie, er könnte sie doch noch plötzlich zu sich rufen.
Gleich neben den Ausgang gab es einen blechernen Kübel, der als Schirmständer diente. Violette Girold griff nach ihrem dunkelroten Damenschirm, der zwischen zwei schwarzen, alten Dingern stand, die hellbraune, groß geschwungene Holzgriffe hatten. Dann trat sie hinaus unter das Vordach.
Links plätscherte ein dicker Wasserstrahl hinunter, der für Violettes Ohren ein fast unanständiges Geräusch machte. Sie schaute in die vom Himmel stürzenden Wasserdrähte, die das Bild der schon bald nächtlichen Straße schraffierten. Ein Windstoß fuhr dazwischen und brachte die Gleichmäßigkeit des Regens durcheinander. Violette machte wieder einen Schritt näher an die Tür heran, die hinter ihrem Rücken schon ins Schloss geschnappt war. Kein Mensch war sonst zu sehen. Weiter vorne gab es noch eine Firma, eine kleine Fabrik, die Lampen herstellte.
Sie hatte gerade den Entschluss gefasst, nun den Schirm aufzuspannen und loszugehen, als sie das Geräusch der sich öffnenden Tür hinter sich vernahm. Sie trat ein wenig zur Seite.
»Was ist, sind Sie wasserscheu!« Es war unverkennbar Hardmeier, der, ohne eine Sekunde zu zögern, in seiner braunen Manchesterjacke hinaus in den strömenden Regen sprang und zu seinem Wagen rannte, der auf der gegenüberliegenden Straßenseite parkiert war. Dort angekommen, rief er ihr zu: »Ich nehm Sie mit. Im Wagen ist es trocken und warm!«
Nein, sie würde nie zu ihm in den Wagen steigen! Er hatte es ihr ja schon einige Male angeboten, doch sie wollte nicht.
»Kommen Sie schon«, ließ Hardmeier nicht locker.
»Nein«, rief sie zurück.
Er lachte, wobei sein gekraustes, dunkles Haar schon ganz verregnet war. »Dann eben nicht.«