MINUS. Jon Pan
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Er zog die Hand zurück, entschuldigte sich. Die Handtasche noch immer umklammernd, ging Frau Werenfels gleich vor. Mangold folgte ihr mit gesenktem Kopf, schloss dann die Tür hinter sich zu. »Es geht einfach nicht, dass während der Abwesenheit meines Mannes solche Vorfälle – «, drängte sich die krächzende Frauenstimme durch den Flur, bevor sie, durch das Schließen von Mangolds Bürotür, zu einem unverständlichen, dumpfen Geräusch wurde.
Kapitel 3
Violette fühlte sich wohl in ihrer kleinen Wohnung. Es gab viele Dinge, die sie pflichtbewusst erfüllte. Wenn sie auch nicht gerade eine makellose Sauberkeit anstrebte, so schätzte sie doch eine ordentliche Umgebung. Natürlich hatte dieses Alleinsein auch seine Schattenseiten. An manchen Abenden konnte es sie plötzlich überfallen, dieses Gefühl von Einsamkeit, Verlassenheit, ja, abgekapselter Isolation. In diesem Zustand zog sie sich erst recht zurück, wollte niemanden sehen, ausgenommen vielleicht ihre Mutter. Sonst gab es keine näheren Bekannten in ihrem Leben, zumindest seit einiger Zeit keine mehr, die sich die Mühe machten, Violettes Panzerung zu durchbrechen. Auch wenn sie selbst darunter litt, so schien es, dass sie sich verlassen fühlen wollte. Stundenlang konnte sie auf dem Bett liegen und sich selbst beweisen, wie stark sie im Kampf mit ihrer Tränen war, um schlussendlich in einem Schluchzen zu explodieren, das ihren ganzen Körper durchschüttelte.
Heute war es allerdings nicht so. Violette summte sogar leise vor sich hin, wie sie die letzten Aufräumarbeiten in der Küche verrichtete, um es sich dann im Wohnzimmer gemütlich zu machen. Vorher ging sie noch ins Bad, schlüpfte aus den Kleidern und zog sich den braunen Bademantel an, dessen Weichheit sie gerne auf ihrer Haut mochte. Sie schaute kurz in den Spiegel. Ihr dunkelbraunes, leicht gelocktes Haar hing ihr knapp auf die Schultern. Mit gespreizten Fingern strich sie es nach hinten und verließ das Bad.
Es klingelte.
Auf der Schwelle zum Wohnzimmer blieb Violette stehen. ihr Arm ging hoch, die andere Hand schob den Ärmel des Bademantels zurück, die Augen schauten auf die Uhr. Es war kurz vor zehn! Wer konnte das sein? Dass um diese Zeit noch jemand bei ihr klingelte, löste eine kleine Verzweiflung in ihr aus. Ihr Herz schlug schneller, sie fühlte sich für Sekunden vollkommen blockiert, als stünde sie vor einer großen, unumgänglichen Entscheidung, zu deren Lösung sie sich momentan nicht in der Lage befand. Dann durchstieß sie diese Starre, drehte sich ruckartig um und ging langsam auf die Wohnungstür zu.
Es klingelte wieder, nur kurz, ein Antippen des Knopfes.
»Ja, wer ist da?«, fragte sie. Ihre Stimme, aus der Wortlosigkeit ihres Alleinseins herausgehoben, klang belegt, zu leise, sie wollte die Worte wiederholen, aber die Klingel fuhr dazwischen, kurz, wie die anderen beiden Male.
Als könnte sie sich in der Zeit geirrt haben, schaute sie nochmals auf ihre Armbanduhr: es war zehn. Wer konnte das sein? Jemand aus dem Haus, ein anderer Mieter, eine Mieterin, vielleicht Frau Manz, die Frau des Hausmeisters.
Das lange Zögern verunsicherte Violette noch mehr. Warum nicht öffnen? Es musste jemand aus dem Haus sein, denn der Haupteingang unten war um diese Zeit abgeschlossen. Schon drehte sie den Schlüssel um und zog die Tür einen Spalt breit auf.
»Ja, wer ist – « Die Frage erstickte vor dem letzten Wort. Ihr leicht vornübergebeugter Oberkörper versteifte sich. »Sie?«, sagte sie in den hallenden Flur hinaus.
Es war Hardmeier, der Fahrer aus der Weinhandlung.
»Störe ich?«, fragte er in seiner lockeren Art und setzte ein Grinsen auf.
»Was wollen Sie?« Violette spürte, wie sie in eine Hilflosigkeit hinein glitt.
»Ich habe ein Problem«, erklärte Hardmeier. »Es geht um den Lieferwagen der Firma. Wie Sie ja wissen, darf ich den – laut Anweisungen von Werenfels – privat nicht benutzen. Ich musste Möbel transportieren. Als ich den Wagen vorhin zurück bringen wollte, war das Tor zum Hinterhof abgeschlossen. Das ist sonst ja nie der Fall.«
»Und warum kommen Sie zu mir?«, fragte Violette, und es war ihr äußerst unangenehm, dass dieser Mann vor ihrer Wohnungstür stand und dazu noch so laut sprach.
»Sie haben sicher einen Schlüssel zu dem Tor«, sagte Hardmeier. »Ich meine, im Büro muss irgendwo einer sein.«
»Bringen Sie den Wagen einfach morgen zurück, wenn Sie zur Arbeit kommen«, schlug sie vor.
»Geht doch nicht«, antwortete er. »Das wird Mangold mitbekommen und es dem Chef erzählen. Ich vermute sogar, dass der Buchhalter das Tor abgeschlossen hat, vielleicht weil er dachte, ich könnte den Lieferwagen mitnehmen.«
»Wie sind Sie überhaupt hier ins Haus gekommen?« Sie musste diese Frage stellen. Und sie musste etwas unternehmen, denn Hardmeier sprach zu laut und weckte damit noch das halbe Haus auf! Auf keinen Fall wollte sie ihn in ihre Wohnung lassen. Aber als er näher kam, wich sie zurück. Sie hatte keine Wahl. Schon stand er halb in der Diele. Violette zitterte leicht am ganzen Körper. Und dann fiel die Tür hinter ihnen ins Schloss. Nun war er also doch in ihrer Wohnung!
»Ich habe nie einen Schlüssel für das Tor gesehen«, sprach sie leise. »Ebenso habe ich keinen Schlüssel für die Firma. Ich kann ihnen nicht weiter helfen.«
Er hob ein wenig die Hände hoch, wohl als Schlichtung oder Entschuldigung gedacht.
»Gehen Sie jetzt«, bat sie ihn. »Sie sehen ja, dass ich nicht richtig angezogen bin und schlafen gehen will.«
»So früh schon ins Bett!«
»Bitte, gehen Sie,« wiederholte Violette. »Ich kann ihnen nicht weiterhelfen und es ist auch nicht meine Sache, wenn Sie unerlaubterweise den Firmenwagen benutzen!« Es kam ihr eigenartig vor, warum sich ausgerechnet Hardmeier so benahm. Er war doch ein Typ, der sich nicht so leicht einschüchtern ließ. Was hatte er schon zu erwarten, sollte Werenfels das mit dem Lieferwagen erfahren! Wollte er etwas von ihr? War die Sache mit dem Lieferwagen nur ein Vorwand, um hier vorbei kommen zu können? Aber warum sollte ausgerechnet ein Typ wie Hardmeier etwas von ihr wollen! Sie fühlte sich unwohl, in die Enge gedrängt – und das in ihrer eigenen Wohnung! Bewegungslos stand sie in der schwach beleuchteten Diele, spürte die Wand im Rücken.
Etwas Gewalttätiges haftete Hardmeier an, auch wenn er hier freundlich wirkte. Er durchschritt die kurze Distanz bis zur Wohnzimmertür, beugte seinen Oberkörper vor, schaute ins Zimmer und meinte: »Gemütlich haben Sie's hier.« Dann wandte er sich wieder Violette zu und fragte: »Macht es ihnen denn nichts aus, immer allein zu sein?«
»Ich bin nicht allein«, antwortete sie. »Ganz im Gegenteil, denn ich erwarte noch Besuch.«
Hardmeier stieß einen kurzen Lacher aus, mit dem er gleichzeitig eine aufrechtere Körperhaltung einnahm. »Wirklich?«, fragte er, und sein Gesicht verriet, dass er das nicht glaubte. »Ich dachte, Sie wollten soeben schlafen gehen. Haben Sie mir doch gerade gesagt! Und dann erwarten Sie noch Besuch!« Er machte eine kurze Pause, zwinkerte mit dem einen Auge. »Ach so!«, fuhr er fort. »Ich verstehe! Das hätte ich ihnen nicht zugetraut!«
»Hören Sie, Herr Hardmeier«, sagte sie möglichst sachlich. »Was wollen Sie von mir?«
Er stand