Einmal im Jahr die Sintflut ebook. Alana Maria Molnár
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Читать онлайн книгу Einmal im Jahr die Sintflut ebook - Alana Maria Molnár страница 10
Das Strohgemisch von unten und die reichliche Sonne im März von oben erwärmen die Beete, die Temperaturen sind wie im Treibhaus. Große Wassertropfen sammeln sich auf der Innenseite der Glasscheiben, und wenn sie schwer genug sind, rollen sie langsam hinunter. Der Boden ist immer feucht in den kleinen Wärmebetten, und nach ein paar Tagen schieben die ersten Keimlinge die Erde hoch und schauen sich in der Welt um. Es dauert nicht lange, und es grünt unter den Scheiben. Mit zunehmender Wärme werden die Scheiben immer öfter hochgeschoben oder mal ein ganzer Rahmen abgenommen. Bald sind die Pflanzen so groß, daß sie die Scheiben erreichen, also müssen sie auseinandergepflanzt werden.
Pikieren nennt man das, sagt Vater und bringt kleine Erdwürfel an, die er aus der Wiese hinter dem Haus gestochen hat. In jeden Würfel setzt er eine Pflanze und die Würfel dicht nebeneinander in eine Kiste. Wir dürfen ihm dabei helfen, im Garten die Beete anzulegen. Den Rest bringt er auf die Felder, und was übrigbleibt verkauft meine Mutter auf dem Markt oder gleich von zu Hause aus. Nicht jeder im Dorf macht sich die Mühe mit den Glashäusern.
Großmutter kündigt den Frühjahrsputz an. Mutter und Vater sind längst schon auf den Feldern, also muß Großmutter alles alleine machen. Was sie bei jeder Gelegenheit laut beklagt. Die Betten aus der guten Stube, die fast nie benutzt werden, hängen zum Lüften über der Wäscheleine. Die Dielen in Stube und Wohnküche werden wieder weißgescheuert.
Überflüssig, kommentiert Mutter unsere Mühe, die gute Stube würde Großmutter sowieso nur zum Abstellen der Möbel nutzen.
Nach den Wohnräumen kommen Korn- und Speisekammer an die Reihe. Großmutter inspiziert die Vorräte an Korn, gemahlenem Mehl und zählt die noch vollen Einmachgläser und Tontöpfe mit Fett und Rippchenfleisch. Wurst, Schinken und ein paar kleinere Speckseiten hängen noch in der kleineren Kammer, in der eigentlichen Speisekammer, von der großen Kornkammer mit einer Gittertür abgeteilt.
Die Katze wird für die Nacht in der Kammer eingesperrt, weil die Mäuse sich über Winter vermehrt haben. Großmutter mag keine Haustiere, sie duldet sie nur, wenn sie von Nutzen sind. Wenn also der Fall eintritt, daß die Mäuse in der Kammer oder auf dem Dachboden fröhliche Hochzeiten feiern und für unzähligen Nachwuchs sorgen, ist die Katze für Großmutter ein liebes Tierchen. Das hält sie aber nicht davon ab, den Nachwuchs der Katze, wenn diese ihn vor Großmutter nicht gut genug versteckt hat, im Hanfdeich zu ertränken. Mit viel Betteln und Bitten kann ich erreichen, daß Großmutter in diesem Jahr der Katze ein Junges läßt. Dieses Junge ist ein Kater und weil die Mutter im kommenden Sommer von einem Jagdausflug nicht mehr heimkommt, haben wir einen Kater zum Mäusefangen und müssen den Tod von Katzenbabies nicht mehr befürchten.
Jetzt ist aber erst März, der kleine Kater noch nicht geboren und die Mutterkatze mit dem dicken Bauch Nacht für Nacht in der Kornkammer fleißig. Morgens präsentiert sie Großmutter die erlegten Mäuse, sie legt sie in eine Reihe und wartet auf Belohnung. Großmutter hat angesichts des Jagderfolgs ein Einsehen und gibt der Katze außergewöhnlich gute Sachen zu fressen.
»Immer nur Mäuse ist auch nichts«, rechtfertigt sie ihre Entgleisung.
Während Großmutter die gute Stube lüftet, die Schranktüren öffnet und die Mottenkugeln erneuert, darf ich den Inhalt der beiden großen Schubladen ihrer Kleider- und Wäscheschränke inspizieren. In einer finde ich zusammengerollte Schnittmuster, die Ränder durch Mäusezähne ausgezackt. Ich zeige sie Großmutter und sie schimpft gleich los. Sie nimmt die Schublade heraus und schüttet voller Abscheu den gesamten Inhalt auf die Dielen, die sie eben blankgescheuert hat. Das ärgert sie zusätzlich, weil außer den angenagten Papierrollen Kleinstschnipsel und die Hinterlassenschaft der fleißigen Nager in Form von kleinen schwarzen Krümeln aus der Schublade rieseln. Während Großmutter die Bescherung wegfegt und dabei weiterschimpft, untersuche ich die andere Schublade. Sie enthält Postkarten und Briefe meines älteren Onkels aus dem Krieg und aus der russischen Kriegsgefangenschaft. Auch diese Bündel sind von den Mäusen nicht unverschont geblieben. Großmutter trauert über die eigens für sie geschriebenen und nun für immer verlorenen Wörter ihres Lieblingssohnes, Gábor.
Das schwarze Schaf
Onkel Gábor, von allen Gabi genannt, ist das schwarze Schaf der Familie, das hat mir Vater gesagt. Warum nur er das schwarze Schaf sein soll, kann ich mir nicht erklären, denn die anderen beiden Brüder, mein Vater und auch mein jüngerer Onkel, haben auch schwarze Haare. Onkel Gabi ist aber der Liebling der Kinder, seine Besuche sind für uns besondere Feste. Er wohnt mit seiner verrückten Frau, die von der Familie nur die Gräfin genannt wird, und mit seiner Tochter Scarlett in der Hauptstadt. Schon allein die Tatsache, daß er in Budapest wohnt, flößt uns Respekt ein.
Meine Cousine ist nur wenige Wochen älter als ich, sieht aber, im Gegensatz zu mir, wie ein Engel aus. Sie hat honigblonde Locken, trägt immer schwarze Lackschuhe mit Riemchen, mit fünf Jahren modische Kleider, nicht das, was wir Dorfkinder kennen. Mit meiner Mutter war ich schon mehrere Male in Budapest, habe mir dort an vielen Schaufensterscheiben in der Innenstadt die Nase plattgedrückt, so kann ich beurteilen, daß meine Cousine einfach anders aussieht als wir in unserem Dorf und auch ganz anders als die Kinder in der nächstgelegenen größeren Stadt Eger. Die Fotografie, die Onkel Gabi überall ungefragt hervorholt, zeigt ihn, meine angeheiratete Tante Serena und die Tochter Scarlett.
Wenn in der Familie jemand den Namen der Tochter so ausspricht wie er geschrieben wird, korrigiert Onkel Gabi sofort:
»Das ist falsch, es ist ein amerikanischer Name. Meine Tochter heißt Skaaahlett. Das a spricht man ganz lang aus.«
Für die Dorfbewohner, die Onkel Gábor samt seiner Familie für reichlich spleenig halten, heißt die Tochter einfach Schkarlett. Onkel Gábor gibt es auf, den ungebildeten Bauern ein Minimum an Amerikanisch beizubringen. Trotzdem sitzt er abends mit ihnen in der Eckkneipe und spielt Karten, trinkt Bier, diskutiert über Gott und die Welt und kommt erst nach Hause, wenn mein Vater und die Großmutter schon zum Viehfüttern aufstehen.
»Der Herr Graf ist auch schon aufgestanden«, sagt Vater zu Großmutter, denn direkt spricht er seinen Bruder nicht an.
»Gönn ihm das doch, schließlich arbeitet der Ärmste während der ganzen Woche in der Fabrik«, entschuldigt Großmutter ihr schwarzes Schaf vor dem ältesten Sohn.
»Und wer gönnt mir mal eine Ruhepause am Sonntag?« Vater ist ungehalten über das milde Licht, das Großmutter für den zweitältesten Sohn anknipst. »Wer bedauert mich, daß ich sieben Tage die Woche von früh bis spät auf den Beinen bin? Ist denn meine Arbeit weniger wert als die von diesem Angeber?«
Vater ist nicht gut auf Onkel Gabi zu sprechen, weil der es versäumte, sich von Großvater noch zu Lebzeiten zu verabschieden. Obwohl Vater ihm viele Briefe schrieb, kam er nicht und stellte seine Tochter dem Großvater nicht vor. Er, der Onkel, hätte sich der Schwägerin gegenüber durchsetzen und mit der Enkeltochter den Großvater besuchen müssen, sagt Vater. Nach Großvaters Beerdigung, als alle sich frierend in der guten Stube einfanden, entbrannte zwischen den