In Berlin wird noch geschossen e-book. Alana Maria Molnár
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Die mutige Tat findet im Mädchengymnasium schnell Nachahmerinnen. Unsere Jungs haben eine Woche später Gelegenheit, auch die Form der Knie der Grazien zu begutachten, die immer noch jeden morgen auf der anderen Straßenseite vorbeispazieren.
László
Vera ist schwer verliebt. Das Objekt ihrer Anbetung ist ein Junge, der vor einem Jahr schon das Abitur bei uns gemacht hat. Sie zerrt mich zum Tableau mit den Fotos seines Jahrgangs und zeigt auf einen mit blonden Haaren. Der Name kommt dort zweimal vor, denn auch sein Zwillingsbruder, der ihm kein bißchen ähnlich sieht, ist dabei. Vera schwärmt morgens und besonders abends, wenn wir eng aneinander gequetscht und flüsternd in ihrem oder meinem Bett liegen, ausführlich von ihm. Vielleicht kommt er zur Abitursfeier im Mai, seufzt sie. Und László kommt.
Es gehört zur Tradition der Schule, daß Absolventen früherer Jahrgänge zu den Abschlußfesten erscheinen. Offensichtlich waren viele gern hier. Veras Angebeteter ist auch unter den Besuchern, sie hat vor Aufregung hektische Flecken im Gesicht. Ihre großen Rehaugen glänzen mit den Lichtern in der Aula um die Wette, ihr Blick saugt sich an der Gestalt eines sehr großen blonden jungen Mannes fest.
Unsere Klasse hat noch Unterricht, eine Stunde Biologie ist auch dabei. Der Platz neben mir ist an diesem Vormittag leer, aber das ändert sich nach der großen Pause. Der große blonde junge Mann kommt mit dem Biologielehrer in den Raum. Herr Dávid stellt ihn vor und zeigt auf den freien Platz neben mir. Unser Klassenlehrer will offensichtlich mit seiner Musterschülerin angeben, weil er mich zur Tafel holt. Die Vorstellung hat ihm gefallen, ich bekomme dafür die beste Note. László, der Blonde, applaudiert lautlos dazu und ich denke, was für ein Blödmann.
Diese Meinung ändere ich im Laufe des Tages gründlich. Nach der Biologiestunde müssen wir den Klassenraum aufräumen und für die Feier schmücken. László will helfen, steht aber immer nur im Weg. Dann habe ich eine Idee. Obwohl er sich reichlich ziert, schleppe ich ihn zum Klassenraum von Vera. Meine Wahlschwester hantiert gerade mit einem großen Besen. Ich finde eine Kehrschaufel, drücke sie László in die Hand und verschwinde. Nach der feierlichen Ansprache des Direktors und anderer Leute in der Aula kann jeder machen, was er will, ich gehe zurück in meinen Klassenraum. Auf meinem Platz sitzt der große Blonde und blättert in meinen Büchern und Heften.
»Nicht schlecht für ein Mädchen in deinem Alter.«
»Was ist nicht schlecht?«
»Na, dein Versuch, mich mit deiner Freundin zu verkuppeln.«
»Wieso verkuppeln? Ihr kennt euch doch schon. Außerdem ist Vera...« Ich kann gerade noch stoppen.
»Ich weiß. Aber ich nicht.« László hält den Kopf schief, während er mich ansieht. Die Geste erinnert mich an meine Mutter, und weil sie bei ihm so komisch aussieht, muß ich darüber lachen.
»Kommst du mit in die Stadt? Ich kenne ein nettes kleines Café, wo nicht jeder Interner hingeht.«
Im Gewühl der Gäste in der Schule fallen wir nicht auf. Heute herrscht unkontrolliertes Kommen und Gehen, so merkt es niemand, daß wir gemeinsam das Schulgebäude verlassen.
Das Café ist wirklich nett, winzig und liegt in einer Straße, die ich nicht kenne. Einer der beiden Tische ist noch frei. László bestellt Espresso für uns beide, ohne zu fragen, ob ich mag. Mein Referat in der Biologiestunde habe ihm gefallen. Überhaupt möge er kluge Mädchen gern, sagt er und sieht mich an, wie mich noch kein Junge angesehen hat. Er ist allerdings kein Junge mehr, sondern zwanzig Jahre alt und Student der Hochschule für Gartenbau in Budapest. Seine Eltern wohnen in Eger, siebzehn Kilometer von meinem Heimatort entfernt. Ein Nachbar sozusagen.
»Heute ist mein Geburtstag«, sage ich. In der Aufregung des Tages habe ich es fast selbst vergessen.
»Ich möchte dir schreiben«, sagt László. »Dann kann ich dir einen nachträglichen Geburtstagsgruß schicken. Aber jetzt möchte ich ein Foto von dir machen. Darf ich?«
»Nicht in dieser häßlichen Schuluniform. Ich schicke dir eines.«
»Also willst du mir auch schreiben.« Seine Augen lächeln mich an, er rückt seinen Stuhl näher an meinen.
Eine warme Hand auf meiner Hand, dann zwei. Dann die flüchtige Berührung seiner Lippen in der Handfläche. Eine der Hände schließt meine mit dem Kuß darin und verweilt ein paar Sekunden am Handgelenk. »Sehen wir uns morgen? Am frühen Abend geht mein Zug.«
In den hellblauen Augen sehe ich ein kleines Stück Himmel, das mir geschenkt wurde an diesem Nachmittag.
Jeden Tag ein Liebesbrief
Vera spricht nicht mit mir, als ich zurückkomme, und ich kann und will ihr auch nichts erklären. Niemandem will ich was erzählen von dem, was mir passiert ist, oder besser gesagt, gerade passiert. Wir sehen uns wieder, László und ich, danach kommt er nicht mehr in die Schule zurück. Um vier Uhr am Nachmittag muß ich im Internat sein. Es ist Sonntag, und Mai, ich bin gestern fünfzehn geworden. Plötzlich ist alles anders. Ganz anders.
Zwei Tage später werde ich ins Lehrerzimmer bestellt, der Drachen hat Sehnsucht nach mir. Mir scheint, ihre Haare stehen zu Berge, als ich das Zimmer betrete, unsere Aufpasserin kommt gleich zur Sache. Ob ich nicht wisse, daß es verboten sei, Briefe von Männern zu bekommen. Sie sei schließlich dafür da, darüber zu wachen, daß Mädchen und Jungs keine Dummheiten machten. Das sei sie unseren Eltern schuldig. Sie hält mir einen Briefumschlag mit komplizierter Handschrift und einer auffallend schönen Marke unter die Nase.
Ob ich die Schrift kenne.
»Nein«, sage ich, und das stimmt.
Aber sie, sagt der Drachen, sie kennt diese Schrift sehr gut. Sie stammt von einem gewissen großen blonden jungen Mann, der ...
Ohgottogott. Wie kann ich bloß den kostbaren Brief diesem Raubtier entreißen? Ich habe keinen blassen Schimmer. Mein Herz hämmert vor Aufregung, ich mime aber die Unaufgeregte.
»Sie können den Brief ruhig öffnen, Frau Veres. Da steht nichts drin, was Sie nicht lesen könnten« und schaue den Drachen treuherzig an.
Was Frau Veres veranlaßt hat, mir den Brief ungeöffnet auszuhändigen, weiß ich bis heute nicht. Ich darf ab jetzt sogar einen Brief pro Woche von diesem jungen Mann erhalten, vorausgesetzt, ich besorge die Einwilligung meiner Eltern dazu.
Das Schreiben meiner Eltern liegt in einer Woche dem Drachen vor und ich bekomme von ihr Lászlós Briefe persönlich ausgehändigt. Die anderen, denn jeden Tag kommt mindestens einer, bringt mir eine Schulkameradin mit, die in der Stadt wohnt. Judit wedelt jeden Morgen grinsend mit einem dicken Umschlag mit schöner Briefmarke darauf, wir müssen allerdings darauf achten, daß es niemand mitbekommt.
In den Sommerferien kommt László oft mit einem kleinen knatternden Mofa, in unserer Gegend Gänseschreck genannt, zu Besuch, vorher aber plündert er jedesmal den Rosengarten seines Vaters. Vater ist entzückt, der junge Mann ist nach seinem Geschmack. Großmutter ist geradezu bezaubert von ihm, nur Mutter verhält sich abwartend, sie sagt vorsichtshalber wenig. Dafür stellt sie ein paar Nachforschungen an. Sie findet heraus, daß