Rapsgezeiten. Katrin Maren Schulz
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Das Büro, mein Job, so weit weg. Verpflichtungen, Termine, was ist das? Nicht existent, der städtische Alltag, wenn ich in der Nordsee bade. Lasse mich auf dem Rücken treiben in den Wellen, strample mit den Beinen, knackiger blauer Himmel über mir, funkelndes salziges Wasser überall.
Mir fällt ein, dass ich mit Fragen im Gepäck hier ankam. Die eine hat sich beantwortet, wie von selbst: St. Peter-Ording ist er, der Ort an der Nordsee, aus dem ein Stück Heimat werden kann, und soll. Eine zweite Heimat, für mein Nordleben, das ich erweitern mag.
Da gab es noch etwas, oder? Die Zweifel am Lebensentwurf. Die Frage, ob alles so bleiben soll, wie es ist - oder ob mir das nicht zu wenig ist. Das Leben kann so viele Möglichkeiten bieten. Welche schöpfe ich aus, welche nicht? Will ich etwas verändern?
Ich weiß nicht, ob es wirklich einen Antwort ist, was sich da in meinem Kopf zusammenreimt, hier, im Wasser, am für mich schönsten Strand des Nordens. Aber es ist etwas, was mich erst einmal beruhigt, und was ich mitnehmen kann in mein Leben in Berlin:
mein Umfeld, mein Dasein, das ist alles so sehr gut so, wie es ist. Es braucht keinen Ortswechsel, und keinen Berufswechsel, nur weil das, was ist, schon lange so ist. Wenn ein Wechsel in mein Leben eintreten mag, dann soll er anklopfen. Dafür aber, dass ich ihn krampfhaft suchen sollte, dafür ist das, was ich habe, zu schön. Vielleicht ist es manchmal einfach schwer, zu genießen, was ich habe. Zu ruhen in und mit dem, was um mich ist. Dann sollte ich aber eher meine Einstellung verändern, als mein Umfeld.
Veränderung kommt, wenn sie kommen soll. Die einzige Veränderung, zu der ich mich hier und jetzt tatsächlich entscheide, ist: ab nächstem Jahr mehrmals im Jahr in den Norden zu reisen. Um mir etwas aufzubauen, was mein Nordleben werden könnte. Ich weiß zwar noch nicht genau, wie das finanziell umsetzbar sein wird, aber der Entschluss, der fühlt sich gut an. Ansonsten soll die Unruhe in mir bitte schweigen. Silencio. Ich will mein Leben genießen, und nicht darüber grübeln.
Eine innere Ausgeglichenheit macht sich in mir breit, die der städtische Alltag nicht zulässt. Der stellt nur Fragen, ohne zu antworten. Umzingelt mich mit Fragezeichen, treibt mich in die Enge. Hier, in der Weite, am Wasser: tauchen Antworten auf wie das Treibgut aus der Flut. Ob sie Bestand haben werden, fern der Küste, fern der Urlaubslaune? Vielleicht dann, wenn ich lerne, dem Lebensfluss zu vertrauen. Dem Lebensfluss zu vertrauen wie den Strömungen der See, die mich am Meeressaum entlang tragen.
Ich bin von der Sonne durchtränkt, und vom Glück. Die Haut prickelt von Salzwasser und Sandkörnchen. Der Wind streichelt darüber auf dem Heimweg, mit dem Rad am Deich entlang.
Die Vermieter fallen mir wieder ein. Ja, jetzt werde ich sie besuchen, Herrn und Frau Hansen.
Treffe sie an in ihrem großen Garten hinterm Reetdachhaus, wo sie sitzen und plaudern mit anderen Gästen. Der Garten, ein Biotop aus hohem satten Grün und farbenprächtigen Blüten, gespickt mit vielen Sitzgelegenheiten. Ein Stuhl wird mir hingeschoben, und ich darauf.
„Auch ein Bier?“
„Ja, gerne.“
Ich war ihm anfangs suspekt, vermute ich, dem Herrn Hansen. Habe es an seinen taxierenden friesisch-herben Blicken gesehen, als er mich am Bahnhof abgeholt hatte: ‚Großstadttussi’ muss er gedacht haben, jedenfalls sah er so aus, als ob er das dächte. ‚Denk Du nur’, habe ich gedacht. Soweit kenne ich mich nun doch schon, mich, und mich an der Küste, dass ich mich in diese Schublade nicht stecken lasse. Heute nun bestehe ich wohl seinen Test. Er beobachtet mich, versucht-heimlich aus dem Augenwinkel, ich merke es genau, auch wenn er wohl will, dass ich es nicht bemerke: er beobachtet mich beim Flens-Flasche-Öffnen. Ich bekomme den Plopp meines Lebens hin (was mich zugegebenermaßen selbst überrascht, aber was ich mir selbstverständlich nicht anmerken lasse). Ab diesem Moment, ab diesem Bilderbuch-Plopp, scheint Herr Hansen mich ins Herz zu schließen. Herzlich, väterlich, vertraut.
Es ist sehr lecker, dieses ganz besondere Eisbrecher-Flens. Ganz schnell bin ich mittendrin in der fröhlichen Runde, im Geplauder und Gelächter, im Erzählen und Austauschen. Mit offenen Armen willkommen geheißen zu werden ist etwas Wunderbares. Fühle mich von seltener, unglaublich offenherziger Gastfreundschaft umhüllt.
Auf dem Heimweg fällt mir ein, dass ich vergessen habe, Herrn Hansen nach der Vagabundin zu fragen. Was soll’s. Es ist egal. Sie ist mir sympathisch, auch wenn ich nichts über sie weiß. Vielleicht sogar dann umso mehr.
Die Nächte, in denen ich das Alleinsein, und die Abwesenheit anderer Menschen, besonders wahrnehme, sind ein wunderbares Training des Vertrauens. Des Vertrauens in den Schutz, der über mir liegt. Anfangs hatte ich ein wenig Angst. So ungewohnt, sich dem Schlaf hinzugeben, wissend keinen einzigen Menschen in der nächsten Umgebung zu haben, den ich um Hilfe rufen könnte, wenn was wäre. Aber was sollte sein? Die Nachtgeräusche des Häuschens, des Gartens, sind mir noch jetzt manchmal fremd. Was ist natürliches Knacken, was ein durch Fremde hervorgerufenes? Streunt die Vagabundin am Haus vorbei, nachts?
Vertrauen ist da das einzige, was hilft. Vertrauen ist der Gegenspieler der Angst. Wenn die Situation, die ich herbeiführe, sich richtig anfühlt – dann ist das die Grundlage für das Vertrauen. Vertrauen darauf, dass alles gut geht, weil ich weiß, dass ich das Richtige tue. Und meine Zeit an diesem Ort, in diesem Haus zu verbringen, ist das Richtigste, was ich mir nur vorstellen kann, zu tun.
Das Häuschen steht hier nicht wie die anderen: aufrecht auf ebenem Boden. Der Boden auf dem es steht, mutet eher an wie eine Mulde. Und in diese erdige Mulde schmiegt sich das ebenerdige Häuschen, als würde es kuscheln mit der Landschaft.
Dieses Bild sehe ich beim Einschlafen. Das Häuschen kuschelt sich vertrauensvoll in die Erde. Ich kuschele mich vertrauensvoll in das Häuschen. Doppelter Kokon. Geborgenheit.
Es ist erdend, allein zu verreisen. Erdend, als würde das Selbst Wurzeln bekommen und sie eingraben, weil es weiß, wer es ist: das Selbst, verwurzelt in sich. Das ist beruhigend, und stärkend. Als würde ich das zum ersten Mal erleben.
Vielleicht macht es das auch nur an ganz besonderen Orten? Besondere Orte, wie dieser einer ist?
Ich liebe es inzwischen, dieses Land.
Tag 9
Dies ist mein letzter Urlaubstag auf Eiderstedt. Trotz regenverkündender Wolken will ich noch mal raus heute, auf dem Deich entlang, Richtung Eidersperrwerk. Da sollen die Schafe sein, hat Herr Hansen mir Auskunft gegeben. Die habe ich nämlich bislang vermisst. Nordsee ohne Schafe auf dem Deich - eigentlich geht das doch gar nicht. Hier schon, denn der Deich zwischen Böhl und Ording ist geteert. Relativ selten ist das wohl an der Küste, aber die St. Peteraner wollten das so: einen geteerten Deich, überzogen mit weißem Kies. Der ‚weiße Deich‘ wird er genannt. Und auf ihm würden sich Schafe nicht nur nicht wohl fühlen, er braucht auch keine. Auf einem Grasdeich mähen die Schafe das Gras, und trampeln zugleich den Boden beständig fest, damit er nicht abgetragen wird im Sturm, oder beschädigt bei einer Sturmflut. Auf dem weißen Deich macht das der Asphalt.
Den will ich heute aber nicht sehen. Radle also zum grünen Grasdeich, mit weißen Schafen darauf wie Wollknäuel. Ewig und ewig schlängelt der Radweg sich am Wasser entlang. Links das Grün, rechts die Nordsee. Grau heute, ohne Sonne. In der Ferne höhere Wellen und Gischt.
Die Wolken werden dunkler und dichter. Fordern mich auf, umzukehren. Aber ich mag nicht auf sie hören. Mag mich vielmehr hingeben, dem ganzen Tag, und mit jeder Zelle meines Körpers diesem