Rapsgezeiten. Katrin Maren Schulz
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Wir gehen noch auf die Modersohn-Brücke. Das ist Kult hier, in unserem Kiez. Die Brücke führt über die S-Bahngleise, und von ihr aus ist abends der Sonnenuntergang hinter dem Fernsehturm zu beobachten. Wenn die Abende so lau sind, wie heute, ist viel los. Dann versammeln sich die Kiezbewohner auf der Brücke, trinken ihr mitgebrachtes Bier. Einer sitzt mit seiner Gitarre da, und spielt und singt selbstkomponierte Lieder. Von der Liebe, und vom Fernweh. Für mich?
Zu Beginn des Sommers war ich hier gerne. Jetzt aber kann ich diesem Kult nichts mehr abgewinnen: zu viele Menschen, zu viel Stimmengewirr, und hinter unseren Rücken brausen Autos vorbei. Ich kenne das nicht mehr, den Sonnenuntergang zu teilen. Und ich weiß nicht, ob ich es wieder lernen mag.
Ich mag zurück nach Hause. Gestern noch war das mein Haus im Norden.
Das ganze Wochenende liegt noch vor mir, bevor der Büroalltag wieder beginnt. Bekomme Besuch von einem Freund. Wir hatten uns lange Zeit nicht mehr gesehen. Sitzen im Straßencafé über hitzeflirrendem Asphalt und erzählen uns unsere Leben.
„Du wirkst so unglaublich authentisch“, sagt er.
Ja, er bringt es auf den Punkt, so fühle ich mich auch. So echt, so normal, so selbst. Noch habe ich sie bei mir, die Authentizität, die ich im Norden entwickelt habe. Mag sie auch nicht loslassen. Aber verliere sie trotzdem, mit jedem Tag mehr in der Stadt.
Schon in der ersten Arbeitswoche wieder wird mir die Stadt zu viel, und zu anstrengend. Die langen Wege, um von einem Ort zum anderen zu gelangen, machen mich irre. Wege voller Menschen, Lärm, Werbeplakaten. Reizüberflutung, in den Augen, in den Ohren, im Gehirn. Stinkende, lärmende Stadt auf jedem Weg ins Büro, und zurück. Und ich mittendrin. Freiwillig.
Die Menschen rennen so viel. Sie rennen der U-Bahn hinterher, obwohl die doch im Berufsverkehr alle fünf Minuten kommt. Sie rennen über rote Ampeln, um den Bus zu erwischen. Sie rennen und hetzen - wofür? Um am Ende zehn Minuten früher im Büro zu sitzen? Was haben sie davon, außer dafür ihr Leben riskiert zu haben?
Ich beobachte sie, während ich still auf die nächste Bahn warte. Und frage mich, warum ich eigentlich so lebe, wie ich lebe? In einem anstrengenden Moloch, in dem ich das Geld verdiene, mit dem ich mir zehn Tage schöne Welt pro Jahr kaufe?
Zwischen Berlin und mir existiert schon immer etwas wie eine Hassliebe. An manchen Tagen kann ich Berlin einfach nur umarmen und lieben. Und an anderen Tagen nervt sie mich an, diese Stadt - mit ihren Hässlichkeiten aus Beton, und ihren Miniatur-Grünflächen, die Natur vorgaukeln wollen. Mit ihrem rauen Ton, der menschengemacht ist.
Seit meiner Rückkehr schweigen wir uns an, Berlin und ich. Wissen nicht mehr, was wir voneinander halten sollen.
Im Büro ist alles wie immer. Hatte ich etwa etwas anderes erwartet? Wie viel Zeit müsste vergehen, dass sich in einem Büroalltag Veränderung zeigt? Geht es anderen auch so - dass es ihnen manchmal auf die Füße fällt, das ewige das-Gleiche-tun?
Einer Kollegin vielleicht: sie hat gekündigt, und wechselt in eine andere Agentur. Sie verändert ihr Tätigkeitsumfeld, nicht aber ihre Tätigkeit. Ob das ausreicht, um Veränderung empfinden zu können? Ich glaube es nicht. Lasse mir das aber nicht anmerken, als sie euphorisch von ihrem zukünftigen Arbeitsplatz erzählt. Sehe ihr zu, wie sie strahlt, voller Erwartung auf etwas völlig Neues. Gedanklich prognostiziere ich ihr Enttäuschung.
Sie hatte ihren neuen Job gesucht, auf dem Stellenmarkt. Mein Weg wäre das nicht. Nicht, wenn ich eigentlich zufrieden bin mit dem was ich habe, und einfach nur ein bisschen Langeweile empfinde. Dann will ich nicht aktiv die Veränderung suchen. Weil ich glaube, dass sie kommt, wenn sie kommen soll. Ich will dann nur eines: wach und aufmerksam sein. Um ihr die Tür öffnen zu können, wenn sie anklopft, die Veränderung. Solange sie das nicht tut, will ich schätzen, was ich habe. So habe ich es mir jedenfalls vorgenommen, letzte Woche, im Bad in der Nordsee.
Für einen kurzen Moment sehe ich die Wasserperlen auf meiner Haut glitzern. Aber es ist nur eine Illusion.
Zufriedenheit, in meinem Urlaub noch war sie so nah. Jetzt entzieht sie sich mir, als sei sie beleidigt. Als sei sie nicht einverstanden mit diesem Umfeld, das ich ihr hier biete. Hier, in meinem Stadtleben, entschwindet sie. Wohin?
Es ist Arbeitsgruppentreffen. Mein Ehrenamt, dem ich nebenbei nachgehe, weil das Thema mich so sehr interessiert. Und weil ein bisschen Ehrenamt ruhig jeder leisten kann, finde ich, zumindest bislang. Um nachhaltige Lebensstile geht es da, und die Rolle der Arbeit darin. Ihre Verteilung, die nicht gerecht ist: auf der einen Seite die Vollzeitstellen inklusive Überstunden, auf der anderen Seite die Arbeitslosen, die schon über eine Teilzeitstelle glücklich wären. Wir diskutieren politische Modelle, mit deren Hilfe die vorhandene Erwerbsarbeit umverteilt werden könnte, damit alle etwas davon haben.
Es ist ein spannendes Thema, und auch genau meins. Ich arbeite in Teilzeit, bewusst. Aus der Überzeugung heraus, dass Erwerbsarbeit allein nicht das Zentrum meines Lebens ist, und es noch ein Leben darüber hinaus gibt: täglich, wöchentlich, monatlich. Nicht nur, oder erst, mit der Rente. So habe ich mehr Freizeit als andere, aber auch weniger Geld.
Warum lassen sich nicht mehr Menschen von der Teilzeitarbeit begeistern, fragen wir uns. Und bleiben immer wieder an diesen finanziellen Aspekten stecken: weniger zu arbeiten kann sich sicherlich jeder gut vorstellen. Weniger Gehalt zu erhalten jedoch nicht. Selbst den Besserverdienenden scheint dies schwer zu fallen. Zu sehr lockt die Warenwelt, mit ihren Angeboten und Verheißungen eines noch prächtigeren Lebens.
Mir graut es. Vor dieser Vorstellung, wie viele Menschen an fünf Tagen einer Woche, die doch nur sieben Tage hat, Dinge tun, die sie nicht wirklich für sich tun, sondern für einen Arbeitgeber. Wie viel das an Lebenszeit ist. Lebenszeit, die auch mit liebgewonnenen Menschen, oder selbstgewählten Tätigkeiten bereichert werden könnte. Ich verstehe die, die fünf Siebtel ihrer Lebenszeit einem Arbeitgeber zur Verfügung stellen, genauso wenig wie die, die auf dem Weg zur Arbeit hetzen. Ich verstehe die Vergötterung von Erwerbsarbeit nicht. Sie ist ein Hilfsmittel für das Leben für mich, nicht Lebensmittelpunkt.
Auf dem Heimweg von der Arbeitsgruppe fühle ich mich öde und leer. Was bringt es, mein Engagement? Niemals werden wir etwas ändern, an den festgefahrenen, über Jahrzehnte etablierten Strukturen im Erwerbsleben und in der Arbeitsmarktpolitik. Wir haben schöne Ideen - aber wer will sie hören? Wir haben schöne Ideen - aber wir bekommen sie nicht gebündelt. Das ist das Verhängnis, oft, an politischer Arbeit: die Fakten bündeln zu können, um sie zu transportieren, nach außen.
In dieser Arbeitsgruppe gelingt das selten. Kein Ende oder Ergebnis in Sicht. Erst heute wird mir das wirklich bewusst.
Ob sich über so etwas wie die Zukunft der Arbeit, im politischen Sinne, jemand Gedanken macht, der am Watt lebt? Der täglich diese Weite und Stille um sich hat? Der dort womöglich selbständig arbeitet? Denkt der über das Politische in der Arbeit nach?
Ich glaube nicht. Glaube vielmehr, das ist ein Großstädterding. Vielleicht, weil sich in der Großstadt eher die atypischen Lebens- und Arbeitsstile ansiedeln, die Patchwork-Lebensstile. Über meinen Schreibtisch im Büro gehen viele Lebensläufe, und Lebensgeschichten, weil ich für die Personalverwaltung verantwortlich bin. Einige sind da dabei, die früher vielleicht noch als ‚Job-Hopper‘ bezeichnet worden wären. Früher, als es noch normal war, sein Leben lang in einer Firma, in einem Berufsbild, zu bleiben. Heute ist es normaler geworden, mal dies und mal jenes zu tun, mal hier und mal dort gearbeitet zu haben. Der Wechsel ist Standard geworden.
Was steckt dahinter? Sind es die Unsicherheiten des Arbeitsmarktes - oder die persönlichen Unzufriedenheiten und Suchen nach mehr?