neukunst oder der Maulwurf. Dr. Wolfgang Mehringer

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neukunst oder der Maulwurf - Dr. Wolfgang Mehringer

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eine derartige Ausdauer eines Kindes, das eckenfüllend, wohlgemerkt, aus eigenem Antrieb mehrere Quadratmeter einer Leinwand mit Farbe bepinselt, wird im Allgemeinen nur in Märchen berichtet. Diesbezüglich existieren Videos eines solchen Prozesses auch nur von irgendwelchen Ausschnitten, die sich jeglicher Kontrolle und Nachprüfung entziehen. Fachleute haben in diesem Zusammenhang von Merkmalen gesprochen, die eindeutig auf eine Mitwirkung erwachsener Personen schließen lassen, Dabei denke ich unter anderem an eine Beobachtung der Journalistin, wobei im Rahmen eines Interviews das Kind einem Kaninchen einen Busen malte. Der springende Punkt dabei ist, das dieses Kaninchen auf einer im Raum befindlichen Tafel bereits vorgefertigt war. Wenn der Produktionsprozess nun, dabei besonders in Anbetracht eines erzielbaren Sensationsrausches dank einer Internetcampagne für hunderttausende von Eltern derart durchgeführt, und mit dem Markenzeichen von überragender Genialität gekennzeichnet wurde, stehen wir unmittelbar vor der Frage eines Kunstfälscher – Betrugs! - - - Berthold war über das von ihm erzeugte Gelächter in der Runde nicht besonders glücklich. Es kam aber noch schlimmer. Kerstin, die Betreuerin in einem Behindertenwohnheim war, fand seinen Beitrag sogar außerordentlich enttäuschend. Es ist leider klar, meinte sie, dass Dein berufliches Ego wieder mal das erste Wort hat. Und möglicherweise ist auch für manche Leute hier der ökonomische Aspekt der wichtigste. Was sagte doch der Vater der Kleinen - lass mich`s noch mal lesen, Eva. Kerstin zitierte die Stelle: „Der Papa gibt zu, dass er enttäuscht wäre, wenn Änn`s kostbares“ - man bemerke das „kostbare“!, fügte Kerstin hinzu und blickte dabei ironisch in die Runde - „wenn Änn`s kostbares Talent verschwände oder wenn sie ihren Geist auf weltliche Dinge richten sollte“. Jetzt sollte doch Mireille erst mal was dazu sagen! Mireille lächelte. Ihr denkt dabei vielleicht an die Kindheit und Jugend von mir - dafür danke ich Euch! Natürlich geht es in erster Linie um die Lebenssituation des Kindes - und damit auch um seine Zukunft. Für mich gibt es da die Frage: Wann wird aus der Unterstützung von den Neigungen und Interessen eines Kindes ein Zwang? Besonders gefährdet erscheint mir da ein Kind, bei dem, wie es hier der Fall ist, die Eltern in hohem Maße Gewinn daraus beziehen. Neben der Belastung des Kindes - die Frage ist dabei auch, was die große Aufmerksamkeit für Folgen haben kann, die das Kind erfährt - neben dieser Belastung ist dann auch die Gefahr einer möglichen Einschränkung kindlicher Erfahrungswelten zu bedenken.

      Die Debatte war damit angeheizt, angereichert mit vielen Erzählungen über eigene Erfahrungen, mit Diskussionen über verschiedene Erziehungsrichtungen, von Beispielen dazu aus dem Bekanntenkreis. Auch Gotthilf kam endlich zu Wort. Er war Schwabe und hatte einige Jahrzehnte der Kernenergienutzung in Frankreich gedient. In stets bühnenreifen „Vorträgen“ hatte er im „Pfännle“ regelmäßig die unabdingbare Notwendigkeit dieser Energieform beschworen. Erst heute hatte man ihm im Französischkurs „unter die Nase gerieben“ (wie er sagte, und er empfände das wirklich schon an der Grenze zum Zynismus), dass Frankreich sich im vergangenen eiskalten Winter nicht selbst aus seinen „zig Kernmeilern“, sprich mittels Elektroöfchen, erwärmen konnte. Ausgerechnet Frankreich, das doch die „Stromautonomie“ als politisches Credo „an die Wand gemalt“ hätte. Was ja wohl auch schon eine gewisse Möglichkeit in sich zu bergen schien, im Hinblick auf die Zukunft als Menetekel zu erscheinen. Immerhin hatte die entstandene Debatte dazu beigetragen, seine Kümmernisse für den Augenblick ein wenig zu vergessen. Und er begann von den äußerst bescheidenen Mitteln zu erzählen, die im Nachkriegsdeutschland verfügbar waren, insbesondere eben auch zur Förderung der Kinder, worüber man sich übrigens zu dieser Zeit auch noch kaum Gedanken machte und machen konnte. Eine kleine Schiefertafel, jawohl!! - noch die von seinem „Vatter“ . Und Farben? Ein Stück weißer Kreide hatte er, zufällig! - von irgendwoher. Und - damit! - hatten sie gemalt, alles mögliche! Kein Mensch wäre da je auf die Idee gekommen, von so was zu sprechen wie Genialität! Und wichtiger sei dabei ja auch gewesen, dass sie das „praktische Leben in den Griff bekommen“ hätten. Sie hätten gerechnet - wie die Teufel! - er und sein Freund Fritz. Und damit also schon den Grundstein gelegt - - (Ein Einwurf war an dieser Stelle fällig:) - - also doch auch schon Genialität! Alle lachten. Eva musste sich zurückhalten. Sie hatte Gotthilf noch „ein bisschen necken“ wollen, ob er nicht auch schon - traumhaft gedankenverloren - auf der Schiefertafel die ersten Umrisse eines Kernmeilers habe entstehen lassen. Stattdessen sagte sie dann lieber „etwas positives“: Der Kunst bist Du dann aber doch auch noch mit dem Klavier - äh - sehr nahe gekommen. Womit Gotthilf dann doch wieder einigermaßen befriedet erschien.

      Als die Diskussion schließlich etwas mühsam wurde, schaltete sich Mathias ein. Auch Philip war bis jetzt lediglich ein aufmerksamer Zuhörer geblieben. Von Ausnahmen abgesehen war Mathias nicht besonders redselig, man schätzte ihn aber sehr aufgrund seiner Denkfähigkeit. Er war Manager - noch im Mittelfeld, aber bereits im Aufstieg begriffen - in einer größeren Bank. Rein „menschlich“ gesehen gab es bei ihm gewisse „autistische“ Verhaltensformen. Eine Folge davon war wohl auch irgend so etwas wie eine von ihm, zu seinem späten Bedauern, verpasste Jugendliebe. Von seinem Charme, ganz abgesehen von seinem enormen Wissen, wurde man immer wieder überrascht, wenn man den Mut fand, auf ihn zuzugehen. Auch wohl im Hinblick auf seine menschliche Isolierung war die Begegnung am „Stammtisch“, wie es schien, für ihn außerordentlich wichtig. Aus sozio - psychologischer Sicht, meinte Mathias, sei in so einem Fall vermutlich eine quasi normale Eltern - Kind - Beziehung nur selten vorzufinden. „Das heißt aber nicht, da0 man eine solche den Medien nicht auch vorspielen kann. Die Realität könnte in diesem Fall eine ökonomisch ausgerichtete, zwanghaft kooperative Beziehung zwischen den Eltern und ihrem Töchterlein sein, derart, dass diese Beziehung so geschickt eingerichtet ist, dass das Mädchen nichts oder wenig - was weiß man schon davon?! - von einer solchen „Zwangsjacke“ spürt. Die Rechnung dafür, alles folgende, kommt dann erst später ins Haus. Zunächst mal wird die Kleine mit „süßem Brei“, dem ganzen Zirkus a` la Medien, Ausstellungen und Internet vollgestopft. Eine gewisse Genialität, besser wohl „Scharfsinn“, ist sicherlich in der Fähigkeit zu sehen, eine noch offene Nische im heutigen Kunstbetrieb zu besetzen. Mit höchstens mittelprächtigen Kunstleistungen, sag ich mal, und zweitens mittels eines Kleinkinds, dem man so was ja gar nicht zutraut. Lies doch noch mal vor, Eva, wie die kritische Beurteilung zur Qualität dieser angeblich von Änn gemalten Bilder ausgefallen war.“ Ziemlich ernüchternde Aussagen waren das. Dass es sich da um so etwas wie „Standardqualität“ handele, die einem heute überall begegnete, und überdies deutlich verschiedene Elemente einer Ästhetik der Erwachsenenwelt erkennbar wären. Demgegenüber stand dann die Meinung einer Galerie, wonach es sich bei Änn um die superbegabteste und bereits jetzt schon professionellste Künstlerin aller Zeiten handele. Über ein Interesse am Verkauf dieser Bilder müsse man bei dieser Galerie ganz sicher nicht diskutieren, meinte Eva. Besonders spannend, auch unter diesem Blickwinkel, ergänzte Mathias, sei ja doch, was sich da jetzt alles im Internet tummelte, wie viele da plötzlich auf den fahrenden Zug aufspringen wollten, und (er lachte sogar) - aus welchen Gründen auch immer - dann wieder abspringen. Die eine Stelle, Eva! Eva fand sie schnell: „Man höre und staune: Unser Kind hat schon mit 23 Monaten die gleiche Begabung gezeigt und Bilder in einer bekannten Galerie ausgestellt. Wir Eltern sind uns allerdings unserer Verantwortung bewusst und werden weder die Fähigkeiten unseres Kindes ökonomisch ausbeuten, noch dessen ganz normalen Spieltrieb - mit Farben zu malen - in irgendeiner übertriebenen Weise zu ``fördern`` versuchen“.

      Mireille lachte. Klingt beinahe gut! Die Kehrseite der Medaille ist aber möglicherweise die, dass im Wettlauf um einen Platz in der kindlich - göttlichen Genialität, die Gewinnchancen wegen des zu beobachtenden Massenstarts gegen Null gehen. Übrigens frage ich mich auch, wie man die Ergebnisse dieser sogenannten Kindergenialität, bei der offensichtlich auch die Kunstfertigkeit von Erwachsenen mit einfließt, im Sinne von Kunstbewertung denn überhaupt einordnen kann.

      Philip hatte in diesem Augenblick das Gefühl, direkt angesprochen zu sein. Und dabei - aufgrund seiner sich allmählich klärenden Überlegungen - auch dazu befähigt, eine Antwort auf Mireilles Frage (sicherlich etwas vorsichtig noch) zu versuchen. So sagte er: Ich denke, es ist nicht allzu schwierig, eine Antwort zur Frage von Mireille zu finden. Philip hörte sich sprechen als er dies sagte - sein Bewusstsein blitzte in ihm auf. Er hatte mit diesem Satz eine gesellschaftliche Tabuzone betreten, eine rote Linie überschritten. Er war auf dem Weg, die

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