Mitte bunte Blumengirlanden, deren Anfang und Ende miteinander verbunden waren. Wenn man erst einmal darauf gekommen war, so fiel auf, dass sich überall auf dem Festplatz die Form des Kreises wiederfinden lies. So war etwas das Brot in großen, runden Laiben gebacken worden und der Kuchen in verschlungenen, runden Zöpfen. Die Tische bogen sich unter den vielen guten Speisen. Es gab Töpfe voll sonnengelber Butter oder aufgetürmter, schneeweißer Sahne. Schalen bis zum Rand gefüllt mit süßem duftendem Honig oder angefüllt mit gedörrtem oder eingelegtem Obst. Auf großen Platten lag gedünstetes und ein gebackenes Gemüse. Neben den Trinkbechern aus Ton standen Krüge voll mit frischer Milch oder gepressten Obstsäften. Überall waren Holzhaufen aufgeschichtet worden. Ein besonders großer lag genau in der Mitte des Festes. Die Übrigen verliefen in einigem Abstand voneinander rings um den Außenrand des Platzes herum und bildeten damit ebenfalls einen großen Kreis. Und kaum war die Dunkelheit hereingebrochen, da wurde auch schon das Hauptfeuer in der Mitte entzündet. Seine blaugelben Flammen schossen empor und überfluteten den Platz mit einer Welle aus Licht und Wärme. In seinem lodernden, wilden Glanz, strahlte es selbst wie ein heller Stern. Und den Balinen galt dieses Feuer auch als eine Entsprechung der Himmelslichter. Als ein Symbol für die immerwährende Verbindung zwischen Himmel und erdigem Grund. Mit diesem Akt hatte das Fest begonnen. Die Balinen standen einzeln oder in kleinen Gruppen über den gesamten Platz verteilt. Überall hörte man angeregte Gespräche und fröhliches Lachen. Alle freuten sich über die Rückkehr des Frühlings, die sie heute feiern wollten. Seline stand unmittelbar neben dem Hauptfeuer, dass sie soeben entzündet hatte. Sie trug ein schlichtes, bodenlanges, weißes Leinenkleid und ihre Füße waren nackt, direkt verbunden mit dem taufrischen Gras und dem erdigen Grund. Ihr rotes Haar hatte sie mit einem dicken, weißen Band in vielen verschlungenen Knoten hoch gebunden. Um den Hals trug sie eine Kette aus in Baumharz kristallisierten bunten Frühlingsblumen. Ihre großen grünen Raubtieraugen glitzerten im Schein des Feuers. Die übergroße Aufregung, die sie bis eben noch gespürt hatte, weil dieses das erste große Fest war, das sie leitete, war völlig verflogen. Denn sie nahm die Freude der Anwesenden in sich auf. Sie atmete die kühle, klare Frühlingsluft, die der Abendwind zu ihr hinüberwehte, spürte die Wärme des Feuers auf ihrer Haut und roch den würzigen Geruch von brennendem Holz. Das alles gehörte zusammen, dachte sie. Alles war immer und zu jeder Zeit miteinander verbunden. Das Leben und der Tod. Der Baum, der als Sprössling geboren wurde und dessen Holz nun im Feuer brannte für das Leben anderer. Die Dunkelheit um sie her, überall durchwirkt vom Licht. Seline verspürte nun in sich tiefe Ruhe und Frieden. Damit war sie geistig frei, um den Allliebenden Muttervater um seinen Segen für das Volk bitten zu können. Seline gab mit der Hand das Zeichen, worauf einer der Umstehenden in ein sehr langes, mehrfach gewundenes Holzrohr blies. Der tiefe, dunkle, lang gezogene Ton trieb über den Festplatz hinweg und verlor sich erst irgendwo weit entfernt in der Nacht. Eine kraftvolle Stille breitete sich aus, wie ein Tuch aus Energie, als alle Anwesenden zugleich verstummten und ihren Blick auf das Hauptfeuer richteten. Ihre Gedanken vereinten sich und ihrer gespannten Sinne begannen im Gleichklang zu wirken, wie einer. „Die Balinen begrüßen den neuen Kreis des Lebens!“ Diese kurzen, schlichten Worte waren alles, was Seline mit ruhiger Stimme sprach. Doch sofort empfing sie als Antwort darauf eine deutlich spürbare Schwingung von den Anwesenden, als würde eine unsichtbare Woge auf sie zubranden und über ihr und dem Hauptfeuer zusammenschlagen. Sie schloss die Augen und machte ihren Geist völlig leer, um dieser Energiewoge keinerlei Widerstand entgegenzusetzen. Sie hob ihr Gesicht dem Himmel entgegen und breitete, so als wolle sie diese Kraft willkommen heißen und umfangen, weit ihre Arme aus. Alles um sie war nun friedlich und ruhig. So ruhig, als wäre sie alleine, aber auch so ruhig, dass man den Atem der Anwesenden hören konnte. Seline glaubte sogar, das pochende Schlagen ihrer Herzen fühlen zu können! Mit ihren geöffneten Armen umfing Seline alles um sich herum, weit über den Horizont hinaus, bis hinein in die geheimnisvolle, grenzenlose Weite des dunklen Sternenhimmels hinein, mit tiefer, reiner Liebe. Und plötzlich konnte sie fühlen, als würde sie ein Echo empfangen, wie etwas die Liebe von weit her zu ihr zurücksandte. Und da waren mit einem Mal Worte, die sich in ihrem Geist formten und sie konnte nicht sagen, ob diese schon immer in ihr geschlummert hatten oder ihr eingegeben wurden. Seline öffnete die Augen. Blickte mit noch immer erhobenen Armen auf einen fernen Punkt am dunklen Horizont. Und mit klarer, fester und volltönender Stimme, die weit über den Festplatz reichte, sprach sie aus, was sie nun in sich fühlte. „Öffnet die Herzen, ihr Kinder, dem Licht! Öffnet die Herzen und fürchtet euch nicht! Öffnet die Herzen und glaubet daran, der Allliebende führt euch an eurer Hand!“ Ein leises Raunen und Flüstern ging durch die Menge. Selbst wer sehr weit vom Hauptfeuer entfernt stand, hatte, wenn auch womöglich nicht die genauen Wortlaute, so doch die Botschaft dieses Augenblicks verstanden. Seline schloss wieder die Augen, atmete tief ein und lies beim Ausatmen ihre Arme sinken, zum Zeichen, dass der Segen nun herniedergegangen war. Einen wundervollen Moment lang einte ein vollkommenes Wohlempfinden die Anwesenden und sie fühlten sich geborgen in dem großen Geheimnis des Lebens, dass sie überall und jeder Zeit und so auch hier und jetzt und in diesem Moment, umgab. Dann öffnete Seline wieder die Augen und ergriff erneut das Wort. Und mit einer Stimme die nun viel natürlicher, aber auch weniger machtvoll klang als zuvor, sprach sie nun die ewig alten überlieferten Worte des Frühlingsfestes. „Die Erde erwacht zu neuem Leben. Alles was lebt, vom kleinsten Grashalm bis zum prachtvollsten Tier, gehört ihr. Ebenso, wie sie allem gehört, was lebt. Denn so ist es der Wille des allliebenden Muttervaters. Darum ehrt alles Lebendige, denn damit ehrt ihr das Leben und nur dann ehrt ihr auch den allmächtigen Einen!“ Seline konnte hören, wie viele, die diese Worte schon seit Kindertagen kannten, leise mitflüsterten. Dann rief sie laut: „Entzündet nun den Kreis!“ Kaum hatte sie das gesagt, da wurde auch schon der erste der äußeren kleinen Holzhaufen angezündet. Und von ihm aus, folgten in einer Richtung entlang die übrigen. Ganz so, als würde sich das Rund von selbst immer weiter entzünden, bis ein Feuerkreis das gesamte Fest umgab. Die Feiernden eingehüllt und geborgen, in einem leuchtenden Kreis aus Licht! Damit war der rituelle Teil des Festes beendet. Seline lächelte zufrieden und sagte: „Und nun lasst uns essen, trinken, tanzen und fröhlich sein, denn das Leben gehört den Lebenden!“ Freudig zustimmende Rufe würden überall laut. Die ersten Musiker begannen auf ihren Flöten, Trommeln und Blasrohren zu spielen. Die Feiernden wandten sich begeistert den dargebotenen Speisen zu. Dabei unterhielten sie sich angeregt miteinander und die ersten wagten auch schon ein Tänzchen. Nur Seline stand noch neben dem großen Hauptfeuer. Unbeweglich. Still und zufrieden lächelte sie in sich hinein, denn sie fühlte eine neue Kraftwoge aufbranden. Gespeist von der gelebten Freude aller Anwesenden. Und diese aktive, rührige Energie war es, die sie nun brauchte! Erneut schloss sie die Augen und senkte den Kopf. Dann, nur wenige der Umstehenden sahen noch, was sie tat, griff sie mit den Händen nach unten und stemmte dann die Arme langsam immer weiter nach oben. So als wolle sie etwas sehr schweres heben. Schließlich öffnete sie ihre Hände und streckte ihre Arme schwungvoll nach oben. Und schleuderte die lichte Kraft weit hinauf in den Nachthimmel, den Boten hinterher auf ihrer wichtigen, gefahrvollen Reise. Eine Träne floss an ihrem Gesicht hinab als sie den Segen flüsterte: „Schutz und Geleit!“
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