Hau ab! Flüchtlingskind!. Birte Pröttel

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Hau ab! Flüchtlingskind! - Birte Pröttel

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Park?“

      „Am Marterpfahl!“

      Kleinlaut rannte Arne dann raus und befreite mich.

      „Zeig ja nicht die roten Striemen, an den Armen, sonst darfst du nie wieder mitspielen!“ drohte er und zog meine Ärmel bis zu den Fingerspitzen runter.

      Christian, der damals so zwischen zwei und drei Jahren gewesen sein muss, wird immer weggeschickt, wenn wir spielen. Brav trabt er dann zu den ukrainischen Zwangsarbeitern. Da wird er beschmust und verwöhnt. Sicher hatten sie Heimweh nach ihren eige­nen kleinen Kindern. Es gibt viele Zwangsarbeiter und im Haus, auch Zwangsarbeiterinnen. An eine, die dünne Annika, erinnere ich mich beson­ders, denn immer wenn sie mich sah, nahm sie mich in den Arm und weinte.

      „Warum weint Annika?“

      „Das verstehst du nicht, du bist noch zu klein!“ Erst viel später wurde mir klar, dass das moderne Sklaven waren, die als Kriegsbeute und kostenlose Arbeitskräfte aus ihrer Heimat verschleppt wurden.

      Für mich ist Eichenwalde das reinste Paradies. Fliegeralarm gibt es fast nie. Nur hin und wieder müssen wir in den Schatten der Scheunen oder des Hauses rennen, wenn Jagdbomber im Anflug sind. Ich finde das spaßig, wie Verstecken spielen, denn ich weiß ja nicht, dass die Piloten auf Menschen, die sich am Boden unter ihnen bewegen, schießen.

      Karl-Hans besitzt glitzernde, gläserne Murmeln, die in den Untiefen der Taschen seiner speckigen Lederhose klapperten. Nur Arne darf mit diesen Murmeln spielen. Eines Tages kommt Annika lächelnd zu mir, sie hat wohl gesehen, wie ich sehnsüchtig dem Murmelspiel zuschaute. Sie holt aus ihrer Schürzentasche eine Handvoll erdfarbener Murmeln und schenkt sie mir. Glücklich falle ich ihr um den Hals.

      „Musst spielen, musst spielen!“ fordert sie mich in ihrem gebrochenen Deutsch auf. Und ich spiele mit den Jungs, bis die Murmeln in eine Pfütze kullern und weg ist die Pracht. Die Murmeln zerfallen zu dem Lehm, aus dem Annika sie gemacht hatte. Aber eine ziemlich lange Zeit war ich ziemlich glücklich.

      Frohe Feste

      Tante Inge hat mehrere smarte, schlanke Offizie­re einquartiert und feiert mit ihnen jeden Abend lustige Feste. Mutter wird natürlich nie zu diesen Feiern eingeladen. Sie bleibt auch lieber in unserem kleinen Zimmer. Wenn sie auf dem Sessel beim Socken stopfen eingenickt ist, schleichen Arne und ich durch den langen gruseligen, dunklen Flur nach vorne. Der Salon, wo die Tante mit den Offizieren feiert, hatte große Flügeltüren mit Glasscheiben. Da spicken wir beide heimlich durch und finden es toll, wie Tante Inge als einzige Frau mit den Männern zu den Tönen des Grammofons tanzt.

      „Vor der Kaserne, vor dem großen Tor ...“ singen alle mit. Inge wackelt mit den Hüften im engen, seidenen Rock. Heimlich übe ich diesen Hüftschwung. Das Lied mit der „Lili Marlen“ kann ich auswendig und gebe es noch lange zum Besten. Die Erwachsenen wollen es immer wieder hören und ich träume davon, später einmal Halbweltdame, Soubrette, Schauspielerin oder Gutsbesitzerin zu werden.

      Die Glasscheiben haben am Rand einen besonderen Facettenschliff und die Szenen innen vervielfachen sich, wenn man schräg darüber in den Raum schaut. Inge raucht Zigaretten durch eine meterlange Zigarettenspitze und trinkt Prickelndes aus langen, hohen Gläsern. Dass das Champagner ist, weiß ich damals noch nicht. Ich finde das jedenfalls ganz toll und will später so werden wie Tante Inge: mondän und elegant und nicht so sorgenvoll wie Mutter in ihrer Kittelschürze.

      Der Gänsebraten

      „Liebe Hanna“, säuselt eines Tages Tante Inge, „darf ich dich und die Kinder heute Abend zum Gänsebraten einladen?“

      Es fällt Hanna schwer zu antworten, aber einem Gänsebraten kann sie nicht widerstehen. „Gerne liebe Inge, ich freue mich sehr. Aber die Kinder lasse ich wohl drüben.“

      „Nein, nein, bring sie ruhig mit, sie können ja in der Küche essen.“

      Es war im Herbst und wir treffen uns zu dem köstlichen, seltenen Schmaus in der Gutsküche. Alle stehen erwartungsvoll vor dem schwarzen gusseisernen Herd, um die fette, knusprige Gans zu bewun­dern. Tante Inge lässt es sich nicht nehmen, die Gans selbst zu begie­ßen. Elegant taucht sie die silberne Kelle in die blaue Emaille Pfanne und da geschieht das Unglück. Sie schüttet sich das heiße Fett über die schlanken seidenbestrumpften Beine. Gellende Schreie. Meine Ohren tun weh.

      Da ist es dann aus mit Gänsebraten. Ich weiß nicht, ob ein Doktor kam oder wie Tante Inge behandelt wurde. Wir Kinder müssen di­rekt ins Bett. Ich hab doch gar nichts getan! Gänsebraten wird nicht mein Lieblingsessen.

      Vaters Autobahn

      Später werden sie sagen: „Der Hitler hat ja auch was Gutes gemacht. Autobahnen zum Beispiel.“ Aber das weiß ich besser, die Autobahn hat mein Vater gemacht, nicht Herr Hitler. Und Vater war auch mächtig eingebildet auf die neue Autobahn, die von Stettin nach Danzig führte. Einmal, als Vater Urlaub vom Krieg hat, holt er uns in Eichenwalde mit seinem Dienstauto ab und fährt zu seiner Autobahn. Der weiße Beton in gleißender Sonne blendet mich. Weiß wie platt gewalzter Schnee. Wir stehen mitten darauf. Auf der Autobahn.

      Ich drehe mich um die eigene Achse, kreisele, bis mir schwindlig wird. Vater lacht. Gut sieht er aus. Blitzende himmelblaue Augen spiegeln sich in meinen ebenfalls himmelblauen Augen, strohblonde Haare fallen ihm in die Stirn, auch um mein Gesicht kräuseln sich hellblonde Haare und sein Kinn hat ein Grübchen, mei­nes nicht. Der lange Uniformmantel sitzt wie angegossen. Ich vergöttere mei­nen Vater, und wenn ich groß bin, heirate ich ihn.

      „Er hat sie gemacht, sagt Mutter, diese Autobahn nach Danzig, da werden meine Freundinnen neidisch sein.“ Er hat sie gemacht, mein Vater. Und Mutter lächelt ihr süßes Lächeln mit den niedlichen Grübchen. Noch glaubt sie, hofft sie, dass alles gut wird.

      „Und dann haben wir auch wieder eine schöne eigene Wohnung!“ strahlt sie meinen Vater an. Der wird verlegen und möchte, dass wir die Autobahn be­wundern.

      Wo sind die Autos?

      Jetzt sind wir drauf. Vater, Mutter, Arne und ich. Mutter schaut ihn nach­denklich an, sie weiß, warum sie so oft allein sein muss. Eines Tages werden hier die tollen Autos fahren, wie das von Onkel Kurt. Adler Triumph. Sagt er.

      Mir ist schwindlig. Arne wünscht sich Rollschuhe für die Autobahn. Mir ist heiß. Es gibt keinen Schatten. Rechts und links der Betonpiste ist kein Baum, kein Strauch. Aber ich muss mal.

      „Setz dich in den Graben.“

      Ich kullere die steinige Böschung runter. Es riecht nach Brennnesseln und Minze. Ich will nach Hause. Und dann steigen wir in den Dienstwagen und ich soll stolz auf Vater sein. Aber der muss wieder in den Krieg. Der Urlaub vom Krieg ist vorbei. Komisch eigentlich. Wie kann man bloß Urlaub vom Krieg haben? Wenn Krieg ist, ist doch Krieg. Und sonst nichts. Und später, wenn der zu Ende ist, fahren wir hier mit dem eigenen Auto nach Königsberg verspricht Vater.

      Aus dem Versprechen wurde leider nichts, wie aus vielen anderen Träumen, die meine Eltern geträumt haben.

      Vater beim Vermessen der Welt in Norwegen

      Er hatte zunächst im Frankreich Feldzug gedient.

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