Die Kammer hinter dem Spiegel. Gerhard Gemke

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Die Kammer hinter dem Spiegel - Gerhard Gemke

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Leben.“

      „Danke“, sagte van der Velde.

      Als Lisa schon die Straße überquert hatte, rief er: „Lisa!“ Das Mädchen drehte sich nochmal um. „Ich bin froh, dass du das sagst.“

      Lisa nickte stumm. Der Weg die Schulstraße entlang bis zur Eisdiele kam ihr heute viel länger vor als sonst.

      Baron Eduard war auf die Minute pünktlich. Exakt um halb Acht lieferte er seine Tochter vor der Eisdiele Favretti ab. Ausführlich verabschiedete er sich von Jo, mitsamt dem ganzen Paket guter Wünsche und Ermahnungen, die Eltern nicht lassen können, wenn ihre Kinder zehn Tage ihrer Aufsicht entzogen sind.

      Jo nickte freundlich, umarmte ihren Vater und wünschte ihm gute Erholung in Österreichs Bergen. Endlich verließ der Knittelsteiner Volvo die Schulstraße. Jo wusste, die Gute-Wünsche-Poesie von Eltern musste einfach mit Geduld ertragen werden, sonst wurden sie im Urlaub unruhig und riefen jeden Tag zweimal an. Ansonsten war Jo ein durchaus vernunftbegabtes Wesen und schließlich schon dreizehn.

      Als die beiden Mädels in Lisas Zimmer saßen und das Thema Eltern abgehakt hatten, machten sie es sich gemütlich. Mit Kerzenschein und Lisas Wohlfühl-Vorrat. Und da Lisa das Gespräch mit Kommissar van der Velde noch im Magen lag, waren sie bald bei Freddie und Jan. Und bei ihrer alten Viererbande, die sich in der letzten Zeit aufzulösen begann. Jedenfalls hatte Lisa den Eindruck. Doch Jo meinte, das wäre ganz normal. In ihrem Alter. Da interessierten sich die meisten Mädchen für ältere Jungs.

      „Echt?“, fragte Lisa und sah amüsiert, dass Jo rot wurde.

      „Nicht was du jetzt denkst“, sagte Jo schnell.

      Eine Stunde später wusste Jo alles über den Einbruch bei Frau Regenbrecht. Zumindest alles, was Lisa bekannt war – außer der Kette. Da hatte Lisa ja Stillschweigen versprochen. Gegen 23 Uhr ging eine SMS an Freddie und eine an Jan raus. Treffen morgen, 15 Uhr, bei Favretti.

      Kette

      Mittwoch, 30. Juni, 15.15 Uhr.

      Freddie kam eine Viertelstunde zu spät. Das hatte auch niemand anders erwartet.

      „Schön, dass du gekommen bist“, sagte Lisa nur. Die anderen hatten es sich schon in der hintersten Ecke der Eisdiele gemütlich gemacht. Giacomo Favretti gab eine Runde Milchshakes aus.

      „Was iss'n los?“, fragte Freddie, als alle vier das wohltuend kalte Getränk vor der Nase hatten. Und Lisa hatte schon wieder das Gefühl, dass etwas fehlte. Diese Selbstverständlichkeit, die es mal gab. Ohne große Worte, ohne ein Was iss'n los?

      „Nur so“, antwortete Lisa und sah auf Freddies Finger, die nach Jos Milchshake angelten. Der Kommissar kann doch nicht ernsthaft glauben, dass diese Finger eine Perlenkette geklaut haben. Freddie zuckte mit den Schultern und probierte einen Schluck aus Jos Becher. Jo sah ihm gleichmütig dabei zu. Als Freddie das Glas wieder abstellte, fragte sie: „Warum hast du uns eigentlich nichts erzählt?“

      Freddie grinste schief. „Ach, daher weht der Wind. Ich hab mich schon gewundert, warum diese Versammlung einberufen wurde.“

      Lisa versuchte, ein möglichst entspanntes Gesicht zu behalten. „Du bist schließlich mitten in einen Einbruch rein geraten.“

      „Na und?“, sagte Freddie. „War nicht meine Schuld.“

      „Und die alte Regenbrecht hat dich niedergeschlagen?“

      „Woher weißt du denn das schon wieder?“ Freddie sah Lisa misstrauisch an.

      „Hat deine Mutter meiner Mutter erzählt.“

      „Soso“, sagte Freddie. „Ein bisschen Klatsch hier, ein bisschen Tratsch da, schon weiß jeder ein bisschen Bescheid.“

      Jan hatte bisher schweigend an seinem Trinkhalm gekaut. Jetzt sah er Freddie an. „Kannst du dir denn jemanden vorstellen, der bei Frau Regenbrecht eingebrochen hat? Hast du wen gesehen?“

      Freddie holte tief Luft. „Wie ich dem Kommissar bereits berichtete, ich hab niemanden gesehen, Herr Detektiv. Die Tür war einfach offen und ich bin rein. Weil da wer saß. Also diese Pappe. Sonst war echt nichts.“ Er sah von einem zum anderen. „Im Übrigen braucht euch das gar nicht zu interessieren. Wir sollen unsere Nasen da nämlich nicht reinstecken, hat der Kommissar befohlen.“ Und mit einem Grinsen zu Jan: „Besonders du nicht mit deiner empfindlichen …“

      Kleine Balgerei zwischendurch.

      „Gibt's denn da irgendwas für unsere Nasen?“, fragte Jo.

      Freddie hatte Jans Würgegriff abgeschüttelt und grölte: „Ja klar! Die Geister der Schulstraße!“ Grinsend steckte er den Zeigefinger in Lisas Milchshake und leckte ihn ab. „SIE werden kommen, sagt die alte Regenbrecht doch immer. Eines Tages kommen SIE und holen mich.“

      „Dich?“

      Jans Nase entging Freddies Zeigefinger nur knapp. Jan nieste.

      „Aufwischen!“ Freddie.

      „Und wer sind SIE?“ Lisa reichte Jan ein Taschentuch.

      Freddie hob die Schultern. „Die Rächer ihrer verfluchte Seele, nehme ich an. Die Regenbrecht hat sich extra 'ne monsterdicke Sicherheitstür einbauen lassen. Wenn ihr mich fragt …“ Freddies rechte Hand wanderte wie ein Scheibenwischer vor seinem Gesicht hin und her.

      „Auf der Pappfigur klebte ein Foto“, nahm Jo den Faden wieder auf. „Von einem früheren Bewohner des Hauses.“

      „Wer sagt das jetzt? Auch meine Mutter zu Lisas Mutter?“

      „Oma Sievers.“ Jo zog ihren Milchshake aus Freddies Reichweite. „Vielleicht hat Frau Regenbrecht ja vor denen Angst.“

      „Oh Mädels.“ Freddie, der Coole wieder. „Die beiden, die Sievers und die Regenbrecht, die gehören doch auf dem direkten Weg in die Klapse.“

      „Vielleicht“, sagte Lisa.

      „Die früheren Bewohner“, jetzt wurde Freddie so laut, dass schon andere Eisdielengäste herüberschauten, „sind sämtlichst seit hundert Jahren tot. Gespenster, wie ich bereits ausführte.“

      „Nein.“ Lisa sah ihn ruhig an. „Erst seit zirca siebzig Jahren. Und bloß verschwunden, nicht tot.“

      „Kennst du sie persönlich?“

      „Ich nicht.“ Lisa riss sich zusammen. „Sondern Oma Sievers.“

      „Und wer waren diese früheren Bewohner, was ist so besonderes an denen?“, fragte Jan.

      „Oma Sievers sagt“, Lisa behielt eisern die Ruhe, „die wurden erpresst. Damit sie ihre Häuser verkauften.“

      „Wie denn?“ Freddie witterte einfach unter jedem Satz eine Falle. „Ich meine, wer erpresst wird, muss auch was liefern, mit dem er erpresst werden kann.“

      „Das weiß ich nicht“, musste Lisa zugeben, „das hat Oma Sievers nicht gesagt.“ Und leise fügte sie hinzu: „Vielleicht

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