Die Kammer hinter dem Spiegel. Gerhard Gemke
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Читать онлайн книгу Die Kammer hinter dem Spiegel - Gerhard Gemke страница 9
Freddie hatte auf einmal einen Kloß im Hals. „Ich muss jetzt“, sagte er.
Jan nickte nur und sah Freddie hinterher, bis er rechts neben dem Rathaus verschwand. Zum Kommissariat.
Kommissar van der Velde war gerade damit beschäftigt, Kaugummireste von der Schreibtischplatte zu kratzen, als es schellte. Verärgert über seinen erfolglosen Kampf mit dem klebrigen Zeug, knallte er das Breselner Volksblatt darauf und stemmte sich aus dem Drehstuhl. Hinrich war schon gegangen. Typisch. Als Assistent konnte er auf die geregelte Wochenarbeitszeit pochen. Wenn er selbst das täte, was würde da alles liegen bleiben! Unerledigt! Nahm jemand darauf Rücksicht?
Van der Velde öffnete die milchige Glastür und durchquerte den Flur. Die Haustür klemmte, wie üblich bei heißem Wetter. Als ob an diesem Tag der Wurm nagte. Ein Glas Wasser war das einzige, was van der Velde Freddie anbieten konnte. Wie im Gefängnis, dachte der Kommissar und versuchte, sich auf das Verhör zu konzentrieren.
„Ist dir irgendwas Besonderes aufgefallen?“, begann er fantasielos.
„Was denn?“ Freddie stellte sich ein Stück trockenes Brot neben dem Wasserglas vor.
Der Kommissar zuckte mit den Achseln. „Irgendetwas Merkwürdiges. Abgesehen von der Pappfigur.“
„Nee“, sagte Freddie gedehnt.
Was eierte der Kommissar herum? Die Fragerei würde sowieso früher oder später bei der Kette enden. Wie gestern Abend, als der Kommissar ihn anrief und hierher bestellt hatte. Freddie hatte natürlich ganz richtig getippt.
„Vielleicht lag ja was auf dem Tisch. Oder in einer Schublade.“
„Sie meinen die Kette.“
„Zum Beispiel.“
„Herr Kommissar, ich habe doch gestern schon gesagt …“
„Freddie! Es ist wichtig!“ Van der Velde beugte sich weit über den Schreibtisch. „So eine Kette aus lauter Diamanten und einem feuerroten Herz in der Mitte. Die muss dir doch aufgefallen sein!“
Freddie starrte van der Velde mit offenem Mund an. „Ich dachte … Amethyst-Perlen sind doch violett.“
Van der Veldes Augen wurden schmal. „Wie kommst du auf Amethyst?“
Freddie schluckte. In was für eine Falle war er jetzt getappt?
„Sie haben doch selbst …“ Flüstern ist Mist, dachte Freddie. Also lauter. „Das haben Sie selbst gesagt. Gestern. Am Telefon.“
„So?“ Van der Velde lehnte sich wieder in seinem Stuhl zurück. Die Rückenlehne quietschte. „Hab ich das. Woher weißt du eigentlich, wie Amethyst aussieht?“
„Weiß ich halt“, sagte Freddie trotzig und hielt dem Blick des Kommissars stand.
Van der Velde drehte einen Bleistift zwischen den Fingern. „Freddie.“ Der Bleistift flog auf das Volksblatt. „Versteh mich nicht falsch.“ Was gab es daran falsch zu verstehen? „Wir müssen jedem Hinweis nachgehen. Und jeden Irrweg ausschließen.“
„Ich habe die Kette nicht geklaut. Ich habe gar nichts geklaut.“ Freddie war lauter geworden, als er beabsichtigt hatte.
„Schon gut.“ Der Kommissar erhob sich. „Trotzdem muss ich deine Fingerabdrücke nehmen.“
Freddie kam sich nun endgültig wie ein Verbrecher vor, als van der Velde ihn ins Nebenzimmer führte, und seine Fingerkuppen erst auf ein Stempelkissen, dann auf die nummerierten Felder einer Karteikarte drückte.
„Noch was, Freddie“, knurrte van der Velde, als er ihm ein Küchentuch zum Abwischen reichte. „Ihr vier steckt eure Nasen da nicht rein!“
Freddie wusste genau, von welchen vier die Rede war. Der Kommissar hatte ja schon häufiger mit Lisa, Jo, Freddie und Jan zu tun gehabt. Freddie sah stumm aus dem Fenster.
„Hast du mich verstanden?“ Van der Velde klang plötzlich unangenehm. Freddie drehte den Kopf und blickte ihm offen in die Augen.
„Herr Kommissar, Sie müssen mir glauben!“
Van der Velde nahm das schwarz beschmierte Papiertuch und ließ es in den Mülleimer fallen. Dann schob er Freddie wortlos zur Tür. Freddie spürte seine schwere Hand auf der Schulter.
„Ich gebe mir alle Mühe“, sagte er endlich. Dann drückte er dem Jungen seine Visitenkarte in die Hand. Freddie fand, der Kommissar sah müde aus. „Falls dir noch was einfällt.“ Mit langsamen Schritten begleitete er Freddie auf die Straße hinaus.
Drei Minuten später saß van der Velde wieder hinter seinem Schreibtisch. Er zerknüllte das Breselner Volksblatt. Ein Fetzen Zeitungspapier blieb an dem Kaugummirest kleben. Van der Velde warf den Ball und traf nicht mal annähernd den Papierkorb. Lange starrte er auf die Liste der Einbrüche. Auf die Namen. Kraans. Bublanski. Löwenstein. Dann begann er die Höhe seiner Rente auszurechnen.
Dienstag, 29. Juni.
„Heute Abend?“, fragte Lisa.
Jo nickte und sah aus dem Fenster. Der Bus kurvte gerade am Breselner Stadtpark vorbei auf das Theater zu. Die schwarzen Wolken darüber sahen aus wie eine gemalte Kulisse .
„Und wie lange sind deine Eltern weg?“
„Morgen früh fahren sie los. Ins Namloser Tal“, antwortete Jo. „Da wo Ritter Kunibald herkommt. Angeblich.“
„Bevor er im Schwabenland alles plattgemacht und eure Burg gebaut hat“, grinste Lisa, die die Knittelsteiner Geschichte halbwegs drauf hatte. „Ich weiß.“
Jo zuckte mit den Schultern. „Hab ich nichts mit zu tun. Ist tausend Jahre her.“
Über dem Theatereingang hing ein Banner. Der Kaukasische Kreidekreis stand darauf. Bertold Brecht.
„Soll klasse sein“, sagte Lisa.
Jo hatte ihr gar nicht zugehört. „Zehn Tage sind sie weg. Bis nächste Woche Samstag.“
„Und so lange wohnst du bei mir?“
„Wenn's geht?“
„Keine Frage.“
„Schau mal“, sagte Jo und deutete nach vorne. „Wenn jetzt der Bus bremst.“
Drei Bankreihen vor den Mädels drückte sich Jan die Nase an der Fensterscheibe platt. Freddies Gesicht daneben passte zum Wetter. So knapp vor Regen.
„Und dann regnet es jeden Morgen“, quengelte Jan.
„Quatsch!“ Freddie war genervt. Gestern die Verdächtigungen des Kommissars, heute Jans Rumgeeier. „Und wenn schon. Der Mensch an sich ist wasserdicht.“
„Wo hast'n den Spruch wieder her!“ Jan war nicht überzeugt. Bei weitem nicht.
In diesem Moment bremste der Bus so scharf,