Die Kammer hinter dem Spiegel. Gerhard Gemke

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Die Kammer hinter dem Spiegel - Gerhard Gemke

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Schatten bewegte sich keinen Millimeter. Wie Eis durchfuhr Freddie der Gedanke: Vielleicht ist sie ja … um Himmels willen! Freddie tastete nach einem Lichtschalter. Er fand keinen. Mit drei Schritten war der Flur durchquert. Ah, hier. Das Licht blendete ihn für Sekunden. Dann verließ Freddies Kehle eine Art Gurgeln. Hinter dem Wohnzimmertisch saß nicht Frau Regenbrecht. Da saß – eine Pappfigur! Eine Pappfigur mit einem Foto als Gesicht. Und quer über der Brust ein Name.

      Löwenstein

      In diesem Augenblick bekam Freddie einen Schlag auf den Hinterkopf. Nicht sehr stark, aber für eine Beule würde es reichen. Freddie fuhr herum. Frau Regenbrecht stand da, leibhaftig, mit einem Wanderstock in der Hand, und holte erneut aus. Freddie duckte sich, der Schlag sauste über seinen Kopf hinweg. Mit wirren verschwitzten Haaren und weit aufgerissenen Augen starrte die Alte an ihm vorbei.

      „Verschwindet!“, schrie sie. Meinte sie tatsächlich die Pappfigur? „Verschwindet!“

      Freddie reagierte blitzschnell, als sie zusammensackte. Er konnte die schwere bewusstlose Frau nicht halten, aber immerhin verhindern, dass ihr Kopf auf den Boden schlug. Jetzt erst bekam Freddie Panik. Frau Regenbrechts Augen waren so verdreht. Und Freddie wurde das Gefühl nicht los, dass die Pappfigur alles scharf beobachtete.

      Freddie angelte ein Kissen von einem Stuhl und legte Frau Regenbrechts Kopf darauf. Und rannte. Nahm drei Stufen auf einmal bis in den dritten Stock und schellte Sturm.

      Kommissar van der Velde gähnte und rieb sich mit dem rechten Handrücken die Augen. Die linke Hand umfasste das Lenkrad. Als er die schlafverklebten Augen wieder öffnete, stieg er mit aller Kraft auf die Bremse. Die Reifen des Polizeiautos quietschten, ein Pfleger sprang zur Seite. Wenige Zentimeter hinter dem Krankenwagen kam van der Velde zum Stehen.

      Hör auf zu meckern, dachte der Kommissar und würdigte den Pfleger keines weiteren Blickes. Wehe, wenn es hier nichts Wichtiges gab, für das man ihn aus dem Bett geholt hatte! Mitten in der Nacht. Van der Velde dachte an Hinrich, seinen Assistenten. Hinrich schnarchte vermutlich glücklich in seine Kissen. Van der Velde nahm sich vor, dem Rettungsdienst eine andere Telefonnummer zuzustecken. Die von einem gewissen schnarchenden Assistenten …

      Als er die Wohnung von Frau Regenbrecht betrat, schleppten gerade zwei Sanitäter die Frau auf einer Trage nach draußen. Der begleitende Arzt teilte ihm mit, dass Frau Regenbrecht die restliche Nacht lieber im Vincenzkrankenhaus verbringen solle. Sie stehe offensichtlich unter Schock und brauche fachkundige Betreuung.

      Franz van der Velde nickte müde, unterdrückte ein Gähnen und wandte sich an Gerlinde Haustenbeck. Freddies Mutter hatte sich in einen Sessel fallen lassen und betrachtete fassungslos die Pappfigur, die immer noch hinter dem Wohnzimmertisch saß. Freddie stand mit dunkel geränderten Augen neben ihr.

      „Was …“, setzte Gerlinde Haustenbeck an. „Was soll das?“

      Van der Velde zuckte mit den Schultern. „Wenn wir das bloß wüssten“, brummte er schließlich und ergänzte: „Bereits der dritte Fall dieser Sorte.“

      „Der dritte?“

      Kommissar van der Velde nickte wieder und umrundete langsam den Tisch. Er beugte sich zu der Pappe hinab, um besser lesen zu können.

      „Löwenstein“, murmelte er. „Im März war es Bublanski, im November … ist mir grad entfallen. Und nun Löwenstein.“

      „Wer … ist Löwenstein?“ Frau Haustenbeck sah ihn entsetzt an.

      Kommissar van der Velde gab keine Antwort. Stattdessen gähnte er wieder und legte seine rechte Hand schwer auf Freddies Schulter. „Nun zu dir.“

      Freddie schluckte. Auf einmal kam er sich wieder richtig klein vor. Die nächste Frage brauchte der Kommissar gar nicht zu stellen.

      „Die Tür war offen“, flüsterte Freddie und wünschte, der Kommissar nähme seine Hand wieder fort.

      „Offen?“

      „N-nein“, stotterte Freddie, „ich hab halt so probiert, und dann …“

      „Und dann?“

      „War sie offen.“

      „Und du bist rein.“

      Freddie nickte. Als er merkte, dass van der Velde ihn weiterhin erwartungsvoll anschaute, ergänzte er. „Weil sie doch da so saß. So wie … tot.“

      „Freddie …“, murmelte Gerlinde Haustenbeck.

      „Und da hab ich Licht gemacht und …“

      „Da war sie das gar nicht.“

      Freddie schüttelte den Kopf. „Da hat sie mir den Stock auf den Kopf gehauen.“

      „Ach, nee“, grinste van der Velde. „Aber sonst hast du hier nichts angefasst?“

      Freddie verneinte wieder, und seine Mutter beeilte sich zu sagen: „Nein, nichts, Herr Kommissar.“

      „Gut“, sagte van der Velde und kämpfte mit dem nächsten Gähnen. Und verlor. „Das werden wir ja anhand der Fingerabdrücke feststellen. Danke soweit.“

      Er machte eine Handbewegung zur Tür. Frau Haustenbeck und Freddie folgten ihm aus der Wohnung. Draußen schloss van der Velde sorgfältig ab und klebte ein amtliches Siegel auf die Ritze zwischen Rahmen und Tür.

      „Morgen früh kommt die Spurensicherung“, erklärte er, und dass er eventuell noch einige Fragen an Freddie habe. „Aber jetzt“, van der Velde schüttelte sich, „Gute Nacht.“

      „Gute Nacht“, wünschte auch Gerlinde Haustenbeck und schob Freddie die Treppe hinauf.

      „Hab ich nicht gesagt, du sollst spätestens um zwölf zuhause sein?“, hörte van der Velde noch, als er das Haus verließ. Er stieg in sein Auto.

      „Kraans“, murmelte er, als ihm der Name wieder einfiel. Vergangenes Jahr, am neunten November, stand auf der ersten Pappfigur der Name Kraans. Dann im März beim zweiten Einbruch dieser seltsamen Sorte Bublanski. Und jetzt Löwenstein. Und bei keinem dieser nächtlichen Besuche war etwas gestohlen worden. Nicht ein Staubkorn. Und noch viel merkwürdiger war, dass es eigentlich gar keine Einbrüche waren. Zumindest waren weder ein Fenster, noch eine Tür aufgebrochen worden. Neu war jetzt nur, dass die Wohnungstür unabgeschlossen war. Jedenfalls nach dem, was Freddie Haustenbeck behauptete. Bei den beiden vorherigen war auch die fest verschlossen gewesen.

      Van der Velde riss seine Kiefern weit auseinander. Elfriede Sievers, die gerade wie ein Geist vorbei wackelte, schüttelte missbilligend den Kopf. Van der Velde zog eine Grimasse und startete den Motor.

      Beichte

      Sonntag, 27. Juni.

      Die Leute von der Spurensicherung fluchten, wie nicht anders zu erwarten war. Van der Velde tat kräftig mit. Was Besseres fiel ihm auch nicht ein, um sich am Sonntagmorgen bei Laune zu halten. Sie hatten sich um neun in der Regenbrechtschen Wohnung getroffen. Hinrich kam zehn Minuten zu spät und war zu allem Überfluss ausgeschlafen und glänzend aufgelegt, was ihm der Kommissar wochenlang nicht verzeihen würde, das nahm er sich fest vor.

      Erst

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