Das Haus der Luftblumen. Nancy Salchow
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Nein, nur der tägliche Kontrollanruf meiner Mutter.
„Hallo Mama.
Ja, gerade eben. Es ist sehr schön.
Nein, da schaue ich vielleicht morgen vorbei. Heute will ich erst einmal in Ruhe mein Pensum feststecken.
Pensum.
Nein, PENSUM, Mama.
Ja, genau.
Hör mal, ich muss noch meine Sachen auspacken. Kann ich dich später zurückrufen?
Ich dich auch.“
Ich schob das Handy zurück in meine Jacke, während ich mich seufzend gegen die Lehne der Bank fallen ließ. Noch immer kreisten meine Gedanken um das Gespräch mit Piet. Dreimal hatte ich seine Bitte, mich zu treffen, abgelehnt. Beim vierten Mal, zwei Wochen war das inzwischen her, hatte ich ihm schließlich nachgegeben. Das kleine Café, das nur wenige Meter von dem Probenraum entfernt lag, in dem damals alles angefangen hatte, war hingegen mein Vorschlag gewesen.
Wehmütig rief ich mir seine Worte ins Gedächtnis.
„Ich weiß, dass die Sache damals sehr unglücklich ausgegangen ist. Aber du hast mir nie die Chance gegeben, dir alles in Ruhe zu erklären.“
„Weil es nichts zu erklären gab, Piet. Du hast deine Entscheidung getroffen, und daran gab es nichts mehr zu rütteln. Du warst mir keine Rechenschaft schuldig.“
„Doch, das war ich.“ Ja, das war er. Es war die Art von Rechenschaft, die verbindlicher ist als alle anderen. Das stillschweigende Erwarten als Reaktion auf stillschweigende Emotionen, die von stillschweigenden Menschen gelebt werden. Ein Stillschweigen, das nicht lauter sein könnte. Und eine Rechenschaft, die so unumgänglich ist wie der Drang, sie zu erwarten. Auch wenn das Stillschweigen kurz vorher zum ersten Mal durchbrochen worden war. Doch das war eine andere Geschichte.
„Alles, was die Band heute ist, ist sie nur durch dich, Tina. Du weißt, dass wir es nicht so mit Worten haben.“
„Ihr seid an dem Punkt, an dem ihr euch locker auch einen anderen Texter leisten könntet. Einen mit wesentlich mehr Erfahrung.“
„Wie können wir erwarten, dass uns jemand aus der Seele spricht, der uns nicht kennt? Du kennst uns, Tina. Du kennst mich. Vermutlich besser als jeder andere.“
Vermutlich besser als jeder andere. Diese Worte hatten sich wie ein Anker in meinem Bewusstsein verkeilt. Wo in seinem Kopf befand sich der Gedanke an Jessica, als er diese Worte aussprach? Vermutlich besser als jeder andere. War es möglich, dass es noch immer eine Bindung zwischen uns gab, die selbst sie – der Grund für die offensichtliche Unterbrechung ebendieser Bindung – niemals restlos zerstören konnte?
Je öfter ich mir das Gespräch ins Gedächtnis rief, desto sicherer wurde ich, dass er mit solchen Kommentaren lediglich versucht hatte, mir zu schmeicheln, um mich erneut ins Boot zu holen.
„Ich glaube nicht, dass ich euch, dass ich dich noch wirklich kenne, Piet. Es ist so viel geschehen, und das letzte Album ist fast anderthalb Jahre alt.“
„Genau darum geht es. Anderthalb Jahre sind eine lange Zeit für eine Pause, zumindest wenn man vorher zwei erfolgreiche Alben herausgebracht hat. Wir müssen es wieder wagen, wir müssen wieder auf Tour gehen, neue Songs liefern. Und ohne dich sind wir eben nicht die Band, die die Fans lieben. Wir brauchen deine Worte, Tina. Mehr als jemals zuvor.“ Er umkreiste den Rand seiner Kaffeetasse mit dem Zeigefinger, eine schmerzlich vertraute Geste. „Wenn es eine Frage des Geldes ist …“
„Es geht nicht ums Geld, Piet. So gut solltest du mich inzwischen kennen.“
„Siehst du, damit gibst du es selbst zu: Ich kenne dich. Genau wie du mich kennst.“
„Ich bin mir einfach nicht sicher, ob ich das schaffe. Mit euch in einem Raum, so wie früher. Es ist einfach nicht mehr dasselbe seit …“
Ich unterdrückte den Drang, ihren Namen auszusprechen.
Ich spürte, dass er nach einer passenden Antwort suchte. Eine Antwort, die mich überzeugte und dennoch gewisse Anhaltspunkte umging, die mich verletzen könnten.
„Und wenn du einfach allein schreibst? Ohne uns? Du hast früher oft die Texte zu Hause ausgearbeitet. Was, wenn du es diesmal ausschließlich allein machst? Wir geben dir die Demos, und du gibst ihnen mit deinen Worten ein Gesicht.“
Dieser Vorschlag war es schließlich, der mich überzeugte, auch wenn es noch eine ganze Weile dauern sollte, bis ich imstande war, es auch zuzugeben. Im Grunde hatte mich bereits der erste Blick von ihm überzeugt, der mich traf, als ich das Café betrat. Der erste Blick seit siebzehn endlosen Monaten, der in Bruchteilen von Sekunden alle mühsam unter den Teppich gekehrten Emotionen wieder an die Oberfläche geholt hatte.
„Ich weiß nicht, ob das funktionieren wird.“
„Natürlich wird es das“, antwortete er mit einer Stimme, die noch immer jedes Eis in mir zum Schmelzen brachte. „Du bist ein Profi, Tina.“
„Ja“, antwortete ich leise. „Ein Profi.“
*
Die braunen Reste von krümeligem Rührei auf meinem Teller erinnerten mich daran, mir die Telefonnummern ansässiger Pizzalieferanten zu besorgen. Vier Wochen waren eine lange Zeit, vor allem, wenn man nicht kochen konnte.
Mit dem Laptop auf dem Schoß saß ich mit ausgestreckten Beinen auf dem Sofa des fremden Wohnzimmers. An diesem ersten einsamen Abend konnte ich noch kein Vertrauen in die neue Umgebung fassen. Ich fühlte mich seltsam deplatziert und weit weg von allem. Weit weg von Hamburg. Und irgendwie auch weit weg von mir selbst.
Seit mittlerweile zwei Stunden durchforstete ich mein Archiv von Textbausteinen, die ich im Laufe der letzten Jahre in besonders hellen Momenten zusammengetragen und für die spätere Verwendung abgespeichert hatte. Den eigentlich ersten Schritt, mir die Demos anzuhören und nach der jeweiligen Stimmung des Songs über eine erste Richtung des Themas nachzudenken, zögerte ich instinktiv hinaus. Stattdessen starrte ich auf eines der Bilder, das auf der Collage meines Laptophintergrundes zu sehen war. Das Foto zeigte die Band und mich auf der Aftershow-Party der Verleihung eines Musikpreises, den sie für ihr Debütalbum erhalten hatten. Zacharias und Anton standen links von mir, Lars ganz rechts, während Piet direkt neben mir seine Hand auf meine Schulter legte.
Jedes Mal, wenn ich das Bild betrachtete, fiel mir das mädchenhafte Rosa meiner Wangen auf, das eindeutig auf zu hohen Martinikonsum zurückzuführen war. Das lange dunkelblonde Haar, das auf den olivgrün schimmernden Stoff eines Blazers fiel, der selbst heute noch in meinem Kleiderschrank hing. Piet, der sein dunkles Haar damals wie heute millimeterkurz trug, in einem schwarzen Shirt mit dem Schriftzug Qreuzwort, dem Namen der Band.
Wie alt war ich auf dem Foto? 25? 26? Dann war Piet höchstens 27. Drei Jahre war das inzwischen her, und noch immer erinnerte ich mich genau an die ausgelassene Stimmung. Er hatte an jenem Abend darauf bestanden, dass ich den Preis mit nach Hause nehme, denn seiner Meinung nach hatte die Band ihn zum Großteil meinen Texten zu verdanken. Ich hatte mit dem Argument abgelehnt, dass keine von Tausend verliebten Teenies auf den