Summer of 86. Anja Kuemski

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Summer of 86 - Anja Kuemski Kattenstroth und Schücking

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mit hängenden Schultern durch den Ausstellungsraum mit den Särgen nach hinten in den Wohnbereich des Hauses Kattenstroth.

      »Und so was nennt sich dann Sommerferien«, maulte er.

      »Was hast du gesagt?«

      Sein Vater kam mit hochgekrempelten Ärmeln aus dem Aufbahrungsraum und steckte sich eine Zigarette an.

      »Bist du schon vom Friedhof zurück? Wo ist der Anzug für Opa Böckmann?«

      Johannes richtete sich zu seiner vollen Größe auf und schaute seine Eltern vorwurfsvoll an.

      »Heute fangen die Sommerferien an. Ich hatte soeben meinen letzten Schultag. Für immer. Wäre es möglich, dass ich davon auch was habe?«

      Die Eltern tauschten einen erstaunten Blick.

      »Aber natürlich, Junge. Wieso denn nicht? Du sollst doch nur eben …«, begann die Mutter.

      »… den Anzug holen und zum Friedhof radeln. Genau. Und wenn ich damit fertig bin, fällt euch noch was Neues ein, was ich mal eben schnell erledigen könnte. Ich habe Ferien!«

      »Mit anderen Worten, du willst die ganzen sechs Wochen auf der faulen Haut liegen und bis mittags pennen?«, fragte der Vater kopfschüttelnd.

      »Ach, lass mal den Jungen, Alwin. Nach den Ferien fängt ja der Ernst des Lebens für ihn an. Obwohl ich es besser gefunden hätte, wenn er noch aufs Gymnasium gewechselt wäre. Mit dem Abitur kann man doch viel mehr anfangen.«

      »Wozu braucht der Junge denn Abitur? Der wird ab sofort Bestatter und übernimmt mal den Laden.«

      »Oh, Laden ist ein gutes Stichwort. Wenn du vom Friedhof kommst, könntest du da eben noch schnell in den Laden springen und …«, begann die Mutter, wurde dann aber von Säuglingsgeschrei unterbrochen. Seufzend legte sie die Kladde auf dem Tisch ab, in der sämtliche Termine vermerkt wurden, und begab sich hinauf ins Kinderzimmer.

      Johannes dankte seiner kleinen Schwester im Geiste für das gute Timing und warf sich seinen Rucksack wieder über die Schulter. »Anzug und Friedhof. Danach habe ich Ferien.«

      Er verschwand aus dem Haus, bevor dem Vater noch weitere Botengänge einfielen, die der Junge doch mal eben schnell erledigen konnte. Er hasste diese Formulierung. Alles war immer nur mal eben schnell zu erledigen. Dass in der Summe von ganz viel ‘nur mal eben schnell' gar nichts mehr mal eben und erst recht nicht schnell war, sahen sie natürlich nicht ein. Dann hieß es wieder, er sei einfach faul und würde sich noch umgucken, wenn er erst einmal erwachsen wäre und selber eines Tages das Bestattungsunternehmen führte.

      Johannes hatte nie einen einzigen Gedanken daran verschwendet, das nicht zu tun. Weder er selbst noch irgendjemand sonst hatte je angezweifelt, dass er die lange Familientradition fortsetzen würde. Wer sonst hätte es auch tun sollen? Aber nun hatte er eine Schwester bekommen. Sehr überraschend für die ganze Familie war Alma Kattenstroth mit 40 noch einmal Mutter geworden. Das hatte den Haushalt ziemlich auf den Kopf gestellt und Johannes hatte deutlich mehr Pflichten übernehmen müssen, als zuvor abgesprochen. Klein Kerstin war ein lautes Kind, daher war er nicht böse, wenn diese Pflichten ihn aus dem Haus führten. Aber Johannes war sechzehn. Und da hatte man nun mal andere Interessen, als unbezahlter Handlanger für einen Bestatter zu sein, erst recht, wenn es sich um den eigenen Vater handelte.

      Johannes radelte zuerst zum Sennefriedhof, um sich diesen dämlichen Kranz mit Schreibfehler auf der Schleife anzuschauen. Er malte sich aus, wie der teure Verblichene aus dem Grab stieg und vehement protestierte, dass das ja gar nicht sein korrekter Name sei und er von Rechts wegen also noch leben müsste. Solche schrägen Ideen würde er sich in Zukunft wohl besser verkneifen.

      Die Wahrheit war, dass Johannes sich noch nicht bereit dafür fühlte, ab sofort Bestatter zu werden. Er hatte seit ein paar Tagen ernsthaft erwogen, doch noch auf das Gymnasium zu wechseln und Abitur zu machen, einfach, um Zeit zu schinden. Das Erwachsenwerden kam auf einmal sehr plötzlich. Dabei hatte er sich doch noch gar nicht richtig ausgetobt. Offenbar gingen seine Eltern davon aus, dass er in den nächsten Wochen von einem kiffenden Teenager zu einem seriösen Bestatter mutierte. Johannes sah das nicht so.

      Er parkte sein Fahrrad am Eingang des Friedhofs und schloss es ab. Eilig bewegte er sich durch die Reihen der Gräber bis zu einer frisch ausgehobenen Grabstätte, um die herum bereits zahlreiche Kränze ausgelegt waren. Er ging einen nach dem anderen durch und las die kurzen Grußworte auf den Schleifen. Kein einziger Schreibfehler. Was auch immer seine Mutter da zu sehen geglaubt hatte, hier war kein Fehler zu entdecken. Na toll. Den Weg hätte er sich sparen können.

      Ein lautes Rascheln und Fiepen ließ ihn herumfahren. Auf jedem Friedhof gab es eine Menge Getier, aber er konnte sich einfach nicht daran gewöhnen, seinen zukünftigen Arbeitsplatz mit Ratten teilen zu müssen.

      Wieder raschelte es. Das Fiepen ging in ein leises Wimmern oder Jaulen über. Definitiv keine Ratte. Zögernd machte Johannes ein paar Schritte in die Richtung, aus der er die Geräusche vernommen hatte, und blickte sich nach allen Seiten um. Aber es war niemand zu sehen außer ihm und einem Jungen im dunklen Anzug, der ungefähr in seinem Alter war und vollkommen unbeweglich vor einem Grab ganz in der Nähe stand.

      Da, schon wieder das Rascheln. Johannes schaute schnell zu dem Jungen hin, aber der hatte sich nicht bewegt. Aus dem Augenwinkel sah er einen Schatten zwischen den Büschen verschwinden, die um eines der großen Familiengräber gepflanzt waren. Johannes umrundete den Grabstein. Vor kurzem hatte offenbar jemand frische Blumen abgelegt, die nun zertrampelt waren. In der aufgewühlten Erde konnte Johannes Abdrücke von Tierpfoten erkennen. Er vermutete, ein Hund habe das angerichtet, was immerhin zum Jaulen und Fiepen passte. Obwohl die Abdrücke eher wie Hufe und nicht wie Pfoten aussahen. Ziegen? Wohl kaum.

      Er warf einen letzten Blick zu dem anderen Jungen hinüber und stellte fest, dass dieser ihn anstarrte. Allerdings war sich Johannes nicht sicher, ob auf dem Gesicht des Jungen eher Ablehnung oder Sorge zu erkennen war. Merkwürdig. Sollte er ihn ansprechen? Aber dann fiel ihm wieder ein, dass er noch den Anzug abholen musste und anschließend verabredet war. Immerhin waren doch Ferien! Er würde möglichst viel Zeit mit Mareike verbringen. Die Aussicht, sechs Wochen lang mit seiner Freundin Freizeitaktivitäten unternehmen zu können, ließ ihn breit grinsen. Das würden großartige Ferien werden. Er zwinkerte dem anderen Jungen fröhlich zu und machte sich auf dem Weg zu seinem Fahrrad.

      *

      »Wie war der letzte Schultag?«

      Annette Schücking blickte ihren Bruder skeptisch an, als er seine Ledermappe sorgfältig auf dem Küchenstuhl abstellte und sich dann daran machte, Kaffee zu kochen.

      »Wie immer. Musst du nicht arbeiten?«

      »Oh, was für eine nette Begrüßung. Es ist doch immer wieder schön zu sehen, wie sehr man vom eigenen Bruder geschätzt wird.«

      Clemens stellte die Dose mit dem Kaffeepulver unnötig geräuschvoll auf der Anrichte ab und drehte sich zu seiner Schwester um.

      »Führt dieses Geschwafel noch zu irgendetwas? Willst du etwas von mir?«

      »Warst du auf dem Friedhof?«

      »Wieso fragst du?«

      Annette seufzte, wie es nur ältere Schwestern konnten, bevor sie ihren jüngeren Brüdern einen Vortrag hielten, um den diese nicht gebeten hatten.

      »Schau, Clemens, ich verstehe

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