Gottlos. Dietrich Novak

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Gottlos - Dietrich Novak Valerie Voss, LKA Berlin

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      »Nein, natürlich nicht. Die meisten sind auch noch in hohem Alter bei klarem Verstand. Nur wenn sie krank werden, ändert sich das manchmal. Aber damit man auch im Alter noch klug ist, muss man zuerst einmal viel lernen. Und deshalb solltest du nicht die Schule warten lassen, damit du nicht dumm bleibst.«

      »So dumm wie du denkst, bin ich gar nicht. Und ob ich in der Schule wirklich viel lernen werde …? Manchmal ist es ganz schön langweilig.«

      »Das ändert sich, mein Schatz. Warte mal, bis die Fächer schwieriger werden … Und das mit dem dumm bleiben sagt man nur so. Ich weiß doch, was für ein kluges Kerlchen du bist. Schließlich kommst du nach uns.«

      »Ja, aber eins weiß ich schon. Ich werde bestimmt keine Verbrecher jagen, wenn ich groß bin. Da hat man viel zu wenig Freizeit.«

      »Wo du Recht hast, hast du Recht. Jetzt mach dich aber schnell fertig. Mama muss nur noch mal telefonieren.«

      Ben stürmte in sein Zimmer, um seine Schultasche zu holen. Valerie sagte derweil im Präsidium Bescheid, dass sie später kommen würde. Dann machten sich Mutter und Sohn auf den Weg.

      Karen Voss begrüßte später im Heim Abendruh einige der Patienten mit freundlichem Nicken oder drückte ihnen kurz die Hand.

      »Du wirst es nicht glauben, aber es wird mir fehlen, hier jeden Tag herzukommen«, sagte sie zu Valerie.

      »Das kann nicht dein Ernst sein, Mama. Wenn es etwas auf der Welt gibt, das du entbehren kannst, dann sind es die täglichen Besuche in diesem Haus.«

      »Nein, nein, ich meine das durchaus so. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, und irgendwie gehörte es die letzten Jahre doch zu meinem Leben …«

      » … das du jetzt in vollen Zügen genießen solltest. Jetzt, wo die Belastung von dir abgefallen ist. Du hast das Glück so etwas wie einen Neuanfang machen zu können. Herbert wird dir schon dabei helfen. Warum ist er eigentlich nicht mitgekommen?«

      »Dumme Frage, weil er Cäsar nicht alleine lassen wollte. Außerdem ist es noch nicht so lange her, dass er das alles selber durchmachen musste.«

      »Verstehe, das habe ich nicht bedacht. Ein bisschen fürchte ich mich davor, Papa so zu sehen …«

      »Das sagst du? Wo du in deinem Beruf schon so viele Leichen sehen musstest?«

      »Es ist schließlich ein Unterschied, ob man einen Fremden oder seinen Vater … Mein einziger Trost ist, dass Papa friedlich eingeschlafen ist. Wenn ich bedenke, welcher Anblick mir üblicherweise geboten wird …«

      »Du wolltest es ja nicht anders. Dir hätte klar sein müssen, dass der Beruf kein Zuckerschlecken ist.«

      »Nicht schon wieder dieselbe Leier, Mama. Das haben wir wirklich oft genug erörtert.«

      Valerie und Karen meldeten sich in der Schwesternstation und wurden kurz darauf von Pfleger Robert, einem blassen, dunkelhaarigen jungen Mann mit schlaksiger Figur, zu Christophs Zimmer begleitet. Robert schloss auf und ließ den beiden Frauen den Vortritt.

      Valerie blieb mit einigem Abstand vom Bett ihres Vaters stehen und bemerkte, dass sie feuchte Augen bekam.

      »Er sieht aus, als würde er jeden Moment aufwachen«, sagte sie erstickt.

      Christoph Voss lag mit geschlossenen Augen und gefalteten Händen, in denen sich ein Kreuz befand, auf dem Rücken. Sein Gesicht wirkte entspannt, nicht gerade glücklich, wie es bei Toten mitunter vorkommen sollte, aber auch nicht angestrengt oder leidend. Neben seinem Bett standen auf großen Ständern Kerzen, die jetzt von Robert angezündet wurden.

      Karen ging auf ihren Mann zu, streichelte sein Gesicht und nahm ihm entschlossen das Kreuz aus den erstarrten Händen.

      »Wer hat das angeordnet?«, fragte sie leicht gereizt.

      »Das ist in unserem Haus so üblich, Verblichenen ein …«

      »Mein Mann war nie fromm«, unterbrach Karen den Pfleger. »Das soll nicht heißen, dass er gottlos war, doch dieses Ritual wäre ihm bestimmt zu viel gewesen. Er war kein gläubiger Katholik im herkömmlichen Sinne. Also nehmen Sie das bitte wieder mit.«

      »Ja, wenn Sie es wünschen.« Robert ging etwas pikiert zur Tür. »Ich lasse Sie dann mal allein. Bitte melden Sie sich doch nachher in der Verwaltung wegen der Formalitäten.«

      Karen nickte und man sah ihr an, dass sie den Pfleger in diesem Moment lieber von hinten sah.

      Valerie ging jetzt nahe an Christoph Voss heran und küsste seinen eiskalten Mund. Dann hielt sie eine Weile stumme Zwiesprache mit ihm. Er war ein guter Vater gewesen und hatte sie nie geschlagen. In jüngeren Jahren war er etwas aufbrausend, um nicht zu sagen cholerisch gewesen. Seine Zornausbrüche hatten Valerie oft erschreckt, doch er war nie handgreiflich geworden. Karen hatte die Hand schon lockerer gesessen, eine gelegentliche Ohrfeige war immer mal drin gewesen. Christophs häufige erotischen Eskapaden hatten das Vater-Tochter Verhältnis nie getrübt, bis er kurz vor seiner Erkrankung zu seiner jüngeren Geliebten gezogen war.

      Valeries strikte Weigerung, die neue Frau an seiner Seite kennenzulernen, hatte ihr Vater ziemlich übel genommen. Niemand hätte zu diesem Zeitpunkt geahnt, dass Valerie diese Frau einmal mögen würde, denn bei einem Essen hatten sie sich auf Anhieb blendend verstanden. Fortan konnte sie nachvollziehen, was Christoph an ihr fand. Sie war so ganz anders als Karen, weniger bürgerlich und nicht so besitzergreifend. Nicole Jakobs Tochter und Christophs beginnende Krankheitssymptome waren letztendlich die Gründe für das Scheitern der Beziehung gewesen. Er war nicht zu seiner Frau zurückgekehrt, sondern hatte sich eine eigene Wohnung genommen. Valerie dachte mit Schrecken an ihren Besuch in der Behausung. An allen Ecken und Enden hatte man wahrnehmen können, wie weit fortgeschritten Christophs Krankheit schon gewesen war.

      Dann war Karen über ihren Schatten gesprungen, indem sie ihren Mann wieder bei sich aufnahm. Bis sie einsehen musste, dass er besser in einem Pflegeheim aufgehoben war.

      »Komm, Mädelchen, lassen wir deinem Vater jetzt seine Ruhe. Als Nächstes werde ich mich um die Beisetzung kümmern«, holte die Stimme ihrer Mutter Valerie in die Gegenwart zurück.

      Karen Voss pustete die Kerzen aus, strich noch einmal über die Hände von Christoph und verließ dann entschlossen das Zimmer. Valerie folgte ihr schweigend.

      Draußen auf dem Flur wurde schräg gegenüber eine Tür geöffnet. Eine ältere Dame im Morgenrock mit ungekämmten Haaren winkte Valerie mit dem Zeigefinger heran.

      »Sie sind doch von der Kripo, nicht?«, fragte sie mit einer etwas schnarrenden Stimme.

      Valerie nickte.

      »Dann kommen Sie doch bitte einen Moment herein.«

      »Geh schon mal vor zum Verwaltungsbüro«, sagte Valerie zu ihrer Mutter. »Ich komme dann nach.«

      Karen blickte etwas irritiert, ging aber schließlich widerspruchslos den Gang entlang.

      Im Zimmer der alten Frau schlug Valerie eine Wolke verbrauchter Luft entgegen. »Können wir einen Moment das Fenster öffnen?«, fragte sie direkt.

      »Ja, ja machen Sie nur. Ich habe ja meinen wärmenden Morgenmantel an. Bei alten Menschen riecht es manchmal nicht so gut. Aber das werden

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