Alltagsleben nach 1945 in Mecklenburg. Horst Lederer

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Alltagsleben nach 1945 in Mecklenburg - Horst Lederer gelbe Reihe bei Jürgen Ruszkowski

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An der Wand hatte Dr. Preuß die Reproduktion eines hübschen Kupferstichs zurückgelassen, der eine anmutige junge Frau an einem geöffneten Fenster darstellte und den französischen Titel „Soir d’été“ (Sommerabend) trug.

      So schön, kunst- und wertvoll das hier vorgefundene Mobiliar auch immer war, für die Einrichtung eines Zimmers für eine vorerst vierköpfige Familie reichte es nicht aus. Deshalb mussten die beiden Teile des ehemaligen Doppelstockbettes als Ehebetten an der Wand aufgestellt und mit Bretterböden und Strohsäcken versehen werden. Sie wirkten neben dem Gräflich von Bothmerschen Fideikommiss als absoluter Stilbruch. Daneben wurde ein cremeweißer Kleiderschrank aufgestellt, den wir vom Flur mit vereinten Kräften hereingeschoben hatten. An einer weiteren freien Wand fand ein dunkelbrauner Wäscheschrank seinen Platz. Hinzu kam noch eine Kommode. Beide passten gleichfalls überhaupt nicht zu dem gräflichen Mobiliar. Mit viel Mühe trieben wir zwei völlig ungleiche Stühle als Sitzgelegenheiten auf, die natürlich für uns vier Personen in keiner Weise ausreichten. Was tun? Mit einem raschen Blick aus dem Fenster gewahrte Tante Else im Gutsgarten eine lange grün gestrichene Bank. Sie wurde hereingeholt und stand nun etliche Jahre hinter dem wunderschönen Eichenholztisch.

      Wahrscheinlich aus der Amtszeit von Verwalter Boeck stammte ein transportabler Ofen, der für diesen großen Raum aber viel zu klein war. Es war November geworden, und uns verlangte bei der nasskalten Witterung, die wir in unserer Heimat nicht kannten, nach Wärme. Doch beim Anheizen mit dem nicht ausgetrockneten Holz bildete sich jedes Mal in unserem Zimmer eine blaue, zum Husten reizende Wolke.

      Meine Mutter bestimmte, dass unser einhalbjähriger Bruder Klaus in einem der Holzbetten schlief, während Wilfried und ich uns das „gräfliche“ Bett teilten.

      Das nächste Problem, das es zu lösen galt, war die Schaffung einer Kochstelle. In den ersten Tagen nach unserem Einzug ins Gutshaus hatte uns Frau Margarete Goerl gestattet, unsere Mahlzeiten auf ihrem Herd zu kochen. Doch das führte zu Schwierigkeiten. Meine Mutter hatte nicht so viel Muße, die ganze Zeit neben ihrem Kochtopf zu stehen. Wenn sie nachsehen wollte, ob ihre Kartoffeln nun endlich gar wären, musste sie feststellen, dass in ihrer Abwesenheit eine andere Köchin ihren Topf anstelle des unsrigen auf die Flamme gesetzt hatte, über der unsere Mahlzeit gebrodelt hatte, und sich auch mit dem von uns gelieferten Brennholz bedient hatte. Da musste eine andere Lösung gefunden werden.

      Meine Mutter hatte erfahren, dass unser Mitbewohner im Gutshaus, Otto Albrecht, von Beruf Maurer war, und sie bat ihn, auf dem Korridor vor unserem Zimmer einen Herd zu mauern. Nach langem Zureden war Albrecht einverstanden, forderte aber, dass wir die nötigen Mauersteine und den erforderlichen Lehm beschafften. Er ermittelte auch sofort, dass ein Schornstein an der Stelle des Flurs entlang führte, wo der Herd entstehen sollte. Durch diesen Abzug gelangte auch der Qualm aus unserem Ofen ins Freie.

      Aus der Zeit seiner Tätigkeit als Maurer auf Schloss Bothmer besaß Albrecht noch eine gut erhaltene Herdplatte, Ringe, Türen aus Gusseisen sowie die erforderlichen Schamottesteine. Einen ganzen Tag lang suchte die Familie auf dem Gutshof die nötigen Mauersteine zusammen, die auf dem Flur aufgestapelt wurden, und wir fanden in der Nähe des Gutshauses direkt an der Straße nach Goldbeck eine Stelle, an der fetter Lehm in ausreichender Menge vorhanden war.

      Albrecht arbeitete sehr zügig und war nach einem Tag mit seinem Werk fertig. Er war in Arpshagen der erste Einheimische, der uns hilfsbereit und entgegenkommend begegnete.

      Da der neue Herd am Ende des oberen Korridors stand, von dem ständig ein kaum merklicher Luftzug durch das Treppenhaus und die Flure bis zum Verandaeingang wehte, drangen auch alle Kochgerüche bis dorthin durch, sodass die Mitbewohner des Hauses an manchen Tagen genau wussten, was bei uns auf dem Speisezettel stand.

      Die beiden Frauen setzen sich durch

      Ende 1946 bemühten sich Else und Irmgard Lederer verstärkt darum zu erfahren, wo ihre immer noch nicht aus dem Krieg zurückgekehrten Ehemänner verblieben waren. Sie schrieben an Luise Hermann geb. Lederer, die Schwester ihres verstorbenen Schwiegervaters, die noch in deren Geburtsort Neckarwestheim lebte. Heinrich und Gottlob Lederer hatten mit ihren Frauen vor ihrer letzten Begegnung während des Krieges abgesprochen, dass sie alle vier im Falle ihres Überlebens ihren Verbleib der genannten Tante Luise mitteilen würden. Auf diese Weise erfuhren Else und Irmgard Lederer aus Neckarwestheim zu ihrer Freude, dass ihre Männer das Inferno des 2. Weltkrieges als Kriegsgefangene überlebt hatten, Gottlob zuerst in Leningrad, dann in einem Lager am Swir in Russland, Heinrich in dem Dorf Ennezat in Frankreich. Sooft es möglich war, korrespondierten sie miteinander. Gottlob hatte aus Leningrad sogar noch nach Ebenau geschrieben. Seine Briefkarte kam aber nach einem abenteuerlichen Irrweg erst mit unglaublicher Verspätung bei der Empfängerin in Arpshagen an. Darüber ist an anderer Stelle noch zu berichten. Vorerst ließen die beiden Ehefrauen ihre Kinder ablichten, als ein Fotograf in Arpshagen erschien, und sandten ihren kriegsgefangenen Männern je ein Foto. Die Hoffnung, ihre Männer eines Tages für immer an ihrer Seite und in der Familie zu haben, war für beide eine weitere Motivation, sich mit ihrer ganzen Kraft auf der Siedlung zu engagieren.

      1946 traf als erster Heimkehrer Max Kapanusch aus der Kriegsgefangenschaft in Arpshagen ein. Kurze Zeit später übernahm die Familie Glass (Vater Karl, Mutter Martha, Sohn Walter, „Walli“, Tochter Maria) die Siedlung Nr.3, zog in die Gutshausküche und -speisekammer ein und erhielt im alten Viehhaus einen Stellplatz für seine schwarze Kaltblutstute mit auffallendem Hängebauch und die anderen Tiere. Als nächster Siedler traf Philipp Müller jun. mit seiner Frau und seinem Sohn Klaus in Arpshagen ein. Er war in Potsdam Polizist gewesen, musste sich aber nun nach Beendigung des Krieges beruflich völlig neu orientieren. Das Zimmer über der Waschküche war für die Großfamilie Müller viel zu klein geworden, sodass sie im Erdgeschoss des Gutshauses in zwei Räume einzog.

      Zimmerleute aus Klütz gestalteten den ehemaligen Speisesaal der Gutspächterfamilie Boeck um, sodass durch das Einziehen von zwei Wänden daraus drei Wohnräume für die Familie Klopp entstanden, in die Anna Klopp mit ihren Kindern Werner, Dieter und Rosemarie aus Tarnewitz einzog. Offensichtlich war der Speisesaal für Klopps Einzug blockiert worden. Karl Klopp folgte seiner Familie kurze Zeit danach und wurde trotz seiner Verwundung als Soldat und seiner irreparablen Beinbehinderung Siedler. Aus Kühlenstein traf als vorletzter Neubauer Otto Bischoff mit Frau und den erwachsenen Kindern Waltraud („Traudchen“) und Eberhard („Hardi“) im Gutshaus ein und bezog das von Familie Müller frei gezogene Zimmer über der Waschküche.

      Nachdem Hildegard Dreyer mit ihren Töchtern eine Wohnung in Klütz erhalten hatte, folgte als schließlich letzte die Familie Wohlfeil (Vater Friedrich, „Fritz“, Mutter Emma mit den erwachsenen Kindern Edith und Felix), die in die von Dreyers geräumten Zimmer einzogen.

      Die Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe unterhielt im Gutshaus Arpshagen ein Büro mit dem damals einzigen Telefonanschluss im Gutsdorf. Hier waren die Herren Teut und Kröpelin tätig, die jeden Morgen von Klütz hierher zur Arbeit kamen und sich dabei speziell auf dem Gutshof den Weg durch den Schlamm bahnen mussten. Was sie da eigentlich im Büro aufschrieben und berechneten, was sie in Vordrucke und Listen eintrugen, ist mir unbekannt geblieben. Herr Teut, der mit der Flüchtlingswitwe Brauner zusammenlebte und sie später auch heiratete, empfand wohl für die Bewohner des Gutshauses Sympathie und Verständnis, vielleicht sogar Mitleid. Möglicherweise regte sich gar sein Gerechtigkeitssinn, als er eines Tages meine Mutter beiseite nahm und ihr zuflüsterte: „Frau Lederer, heute Nachmittag findet im Schweinestall die Verlosung der Schweine statt. Aber Heinrich Frederich hat sie ganz allein in die Hand genommen und davon nur die einheimischen Siedler informiert. Bitte verraten Sie niemand, dass ich Ihnen das verraten habe!“

      Nun war meine Mutter zeit ihres Lebens nie autoritätsgläubig, und wenn sie spürte, dass ihre Grundsätze von Gerechtigkeit verletzt wurden oder gegen ihr rechtlich zugesicherte Interessen verstoßen wurde, nahm sie ihr Herz in beide Hände und forderte freimütig und entschlossen ihre Rechte ein, so auch diesmal. Kurzfristig informierte

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