Marie, Putin und das fünfte Gebot. Maxi Hill

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Marie, Putin und das fünfte Gebot - Maxi Hill

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Luft vor der Tür roch nach Frühling und frischem Grün. Sie hob ihren Kopf und ließ ihn erhoben. Zögerlich, als wollte sie von irgendwem aufgehalten werden, ging sie nach Südwest. Sie lief den ganzen Weg allein, bog in jene Straße ein, an deren Ende sie wohnte, exakt dort, wo er bisweilen seinen Touareg wendet, wenn er Ben abholt. Mit einem Klick öffnete sie die Haustür und schlüpfte hindurch. Das Türschloss klickte zweimal, eine Tugend, die man selten findet.

      Sie wohnt in also in dieser ruhigen Straße, die ins Nichts führt. Sackgasse nennt man den Typ. Zu dieser Zeit waren die Fenster im Parterre und auch oben noch schwach erleuchtet. Nur in der Zwischenetage war alles dunkel. Er stand und wartete und wusste nicht worauf. Links ging das Licht hinter einem der Fenster an. Rechts blieb es duster. Er trat näher und schaute auf das Klingelschild, auf dessen Logik er vertrauen konnte. Die zweite Reihe von unten zeigte den Namen M. Neumeyer. Heute weiß er, das M steht für Marie. Daneben ein Klingelschild ohne Namen.

      Ist die Wohnung neben ihr unbewohnt? Schließt sie die Haustür ab, weil sie sich unsicher fühlt so allein auf der Etage? Dann sollte sie Nachbarschaft bekommen …

      Marie * Nachbarschaft

      Eigentlich müsste sie raus. Nicht nur raus, weg müsste sie. Am besten weit weg. Das kann sie nicht, wegen Putin. Sie hat ihm das Leben gerettet und jetzt soll sie ihn verlassen, einfach so, nur weil dieser Barack ständig Terror macht?

      Wahrscheinlich ist sie der einzige Mensch auf der Welt, der Putin liebt. Sie liebt ihn nur zwangsläufig, hat ihn ja gar nicht haben wollen. Und ein Mitspracherecht, ihn zu nehmen oder nicht, hatte sie nicht. Das hätte auch kein anderer Mensch bekommen. Keiner.

      Nein, sie hat Mitleid mit jedem Wesen, das fremdbestimmt ist und dem alle Welt ans Leben will. Sie will es nicht. Sie kann es nicht. Sie hat das Abschlachten miterlebt und mit eigenen Kinderaugen gesehen, wie die Opfer breitbeinig und kopfüber am eiligst zusammengezimmerten Galgen hingen, wie das Blut aus Mund und Augen troff, wie ihnen das Fell über die Ohren gezogen wurde. Und das ist nicht bildhaft gemeint. Es ist die wahre, niederträchtige, bestialische Realität, die noch heute den bitteren Würgereiz in ihrer Kehle erzeugt, wenn sie nur daran denkt. Jede Erinnerung an das Niederträchtigste überhaupt, was Marie Neumeyer in ihrem ganzen Leben auf dem Hof des Großvaters miterleben musste, kräuselt ihre Haut, stellt die Scheitelhaare senkrecht und drückt einen Felsblock in ihre Magengegend. Vor allem nachts, wenn es keine Bilder gibt, die sich zur Ablenkung eignen, wenn die Geräusche aus der Nachbarwohnung, wenn das Scharren und Knurren, das Trappeln und Raunen, ihre Ohnmacht ins Unermessliche verstärken. Dann kommen die Bilder der Kindheit zurück: Der Großvater schlurft mit dem blanken Messer in der Hand über den Hof und verrichtet schon bald sein blutiges Werk.

      Dabei war sie gerne bei ihrem Großvater, bis sie merkte, dass er ein Massenmörder war. Keine Spezies ließ er aus. Keine. Sogar jene, die er mit eigenen Händen gehegt und gepflegt hatte, die er mit Silberworten in der Goldkehle zu dem Einzigen gemacht hat, das sie später wurden … Kanonenfutter!

      Einer dieser alten Kanonenöfen stand in Großvaters Küche, schwarz, rund und gefährlich.

      Daran darf sie heute als vernunftbegabte Frau Ende zwanzig gar nicht denken. Vater sagt, in einer Familie hat man loyal zu sein. Jeder Mensch hat eine andere Haltung zur Schöpfung, egal welche Kreatur geschöpft wurde und egal woraus.

      Für Marie gilt seit dieser Erfahrung das fünfte Gebot und das hat Großvater gebrochen.

      Opa Hermann lebt schon lange nicht mehr, und sie hatte an seinem Grab bittere Tränen geweint. Zwar wusste sie nicht, ob die Tränen der großväterlichen Liebe galten, die sie immerhin bekommen hatte. Oder weil dieser Spruch, den ihm seine Weggefährten auf den Grabstein geschrieben hatten, zum Heulen war.

       Geachtet als Heger - Gestorben als Jäger

       Eingegangen in die ewigen Jagdgründe im Juno anno 1992

      Jedenfalls hatte etwas ihre traurigen Gedanken um den einst geliebten Menschen hinter jenen Bildern verwässerten, die für ein Mädchen ihres Alters unerträglich waren: Diese nackten, rosigen Körper. Diese leeren Augen. Die hervorstehenden Zähne! Das alles war zuviel für ein zartes Kind. Und dann kam Opa auch noch scherzend mit den abgetrennten Pfoten auf sie zu, an denen er das Fell belassen hatte.

      Nein. Sie brachte bei Tisch keinen Bissen herunter, auch wenn es schon Stunden zuvor lecker von der Kanone her roch. Vielleicht ging ihr das alles zu sehr ans Herz, weil sie jeden der Namen kannte, den Großvater seinen Karnickeln gegeben hatte. Mummel, Schnurz, Putz, Murks, Schrums.

      Am meisten liebte sie Purzel. Der hatte ebenso weißes, weiches Fell wie Putin, mit rosa Spitzen an den Ohren, mit kleinen rosa Flecken an den Backen, die unaufhörlich mummelten, als wären Kaninchen Wiederkäuer. Was mag aus Purzel und den anderen geworden sein?

      Genau daran musste sie denken, als sie bei der Tombola ihren Preis entgegenzunehmen aufgefordert worden war.

      »Ein weißer Rammler«, sagte der Mann, »jung und zart wie seine Gewinnerin!«

      Er zog das Tier aus einem hölzernen Käfig, an dem ein Schild mit dem Namenszug Putin klebte. Kraftvoll hob er das weiße Bündel an den Ohren in die Höhe, wartete bis der Beifall abebbte und schob es unvermittelt in ihre Arme, die sie eigentlich zur Abwehr vor dem Körper verschränkt hielt. Wie sie so dastand, irritiert von der Härte der Gedanken und geschmeichelt vom weichen Fell eines Wesens, das den Namen eines Möchtegern-Weltbeherrschers trug, ging das Gejohle der Kollegen beinahe im Wechselspiel ihrer Gefühle unter.

      »A’ Rammler, der hoad hinten mehr a Hirn ois wia im Kopf!«, grölte Ferdinand Vissler, der Bayernschönling, der schon mehrfach mit plumpen Versuchen bei ihr aufgeschlagen war, um sie zu einem One-Night-Stand zu überrumpeln: »Oiso Marie, pack ma′s, wiar beide?»

      Kein übles Bild von Mann, aber wenn sie seine Stimme hört, geht gar nichts mehr.

      Sie ist kein Mensch mit Vorurteilen. Beileibe nicht. Sie hasst Intoleranz wie der Teufel das Weihwasser. Aber diese selbstgerechten Bayern kann sie nicht ausstehen! Diese gamsbartbehüteten, krachledernen Seppelhosenmachos mit der Edelweißgemme am Hosenträgerschild, mit dem bairischen Slang und dem stapfenden Gang, mit der Maß aus dem Keller und der Weißwurscht im Teller, mit dem Häusl aus Holz und dem Arsch voller Stolz …

      Oh, wie kann sie hassen.

      Aber sie kann ebenso leidenschaftlich lieben. Sie ist bereit und sehr befähigt, sich einem Mann ganz hinzugeben. Bisher kamen leider entweder bornierte Machos oder langweilige Niestüten. Nein, da bleibt sie schon lieber solo, wozu hat man Freundinnen.

      Kira, Eva und Renate hatten mit Putin zwar auch nichts Freundliches im Sinn. Eva zitierte frohlockend Sokrates: »Ein gutes Essen bringt gute Leute zusammen.«

      Ein Festessen sollte es also werden. Zum Glück konnte Marie mit dem einzigen philosophischen Satz antworten, den sie je beherrschte: »Das Leben gibt und das Leben nimmt«. Und dabei blieb sie, auch wenn Kiras Schwärmerei noch so sehr die körperlichen Vorzüge des drallen Hasen pries, die ein opulentes Mahl ergäben. Und dann lachte sie laut und meinte: Es wäre nicht der einzige Putin, der am eigenen Leib erfahren müsste, wohin es führt, wenn man seine Sixpacks vor jedermann herausstellt (Kira ist immer und überall auf das Körperliche fixiert).

      Ob Muskelprotz oder Rammler, ob mit oder ohne Hirn, ob ganz oder in Teilen, ob von den Knochen befreit, gewickelt und gefüllt als Rollbraten – bei Marie setzte der Würgereiz just in dem Moment ein, als der Mann mit dem

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