Marie, Putin und das fünfte Gebot. Maxi Hill
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In Marie kochte das Blut, denn sie hatte keine Chance, in das bundesweite CTS-System einzugreifen und Ferdinand Vissler ist samstags selten in Sicht.
Vielleicht hat sie Knackarsch zu unrecht angefaucht, vielleicht hätte sie lieber Kira vor der seltenen Kundschaft anfauchen sollen und nicht erst, als er bereits wieder gegangen war. Aber fauchen konnte sie. Kiras Worte über sie waren schließlich nicht sehr schmeichelhaft: »Lieber einen fünf vor zwölf als keinen nach sechs, wie unsere arme Pech-Marie«, flötete Kira von Platz drei herüber. Ihre Augen glubschten zum letzten Kunden des Tages. Der letzte Kunde ist zumeist ein verhasster Kunde – für jeden am Tresen – erst recht, wenn er nur Negativumsatz bringt.
Merkwürdigerweise rundeten sich Kiras Lippen und das Dekolleté rutschte mal wieder eine Etage tiefer. Lasziv nach vorn gebeugt gab sie Knackarsch zu verstehen, dass sie sich nur seinetwegen diese Mühe macht und dass er sich dafür baldigst revanchieren könnte.
»Ja, wenn es nicht so dringend wäre, hätte ich wirklich …«
Kira gab ihm ein Zeichen, lieber der Mund zu halten, griff zum Hörer und rief den Projektleiter an. Eine Minute vor zwölf stand Leo Gambel vor dem Tresen, versprach, einen Ersatzbesucher zu finden und Knackarsch könne sich in diesem Falle das Geld in bar demnächst hier abholen. Zu Marie herrschte er: »Im Zweifelsfall immer zugunsten des Kunden, liebe Kollegin Neumeyer!«
Für Marie gab es keinen Zweifelsfall, für Marie gab es feste Prinzipien und die waren durch die Dienstanweisung gedeckt. Aber da gab es noch ein Prinzip – das Prinzip Freundschaft, und Freundinnen stellen einander nicht bloß!
Sie weiß nicht, was mit ihr los war, sie konnte nicht anders, musste einmal aus sich heraus und das war ganz bestimmt nicht aus Scham vor ihrem Nachbarn, sondern aus Wut gegen Kira: »Sex ist nicht alles, auch wenn bei dir ohne Sex alles nichts ist! Aber wenn man wie du alles, was man hat, sofort ins Schaufenster stellt, ist es beinahe wie ein Geschäft, und das hat mit Liebe nichts zu tun.«
Es war nicht gut, sich mit Freunden zu streiten, aber es war wiederum gut, dass der Begriff Knackarsch nicht von ihr stammte. Der stammte von Kira, die gar nicht lange genug dem letzten Kunden an diesem vertrackten Samstag – besonders seinem knackigen Hinterteil - nachschmachten konnte.
Marie würde einen Teufel tun, Kira von ihrer Nachbarschaft mit Knackarsch zu erzählen. Wer weiß, was sie damit heraufbeschworen hätte.
Sie wälzt sich bei ihren wütenden Gedanken im Bett nach links und rechts, positiv konzentriert sich das Geschehen auf ihrem Laken nur auf den befreiten Zustand ihrer Nase, ihres Rachens und der gar nicht mehr juckenden Haut.
Ihr unfreiwilliger Wachzustand erfährt insofern eine Steigerung, dass sie ein Auto vorfahren hört. Türe schlagen zu und harte Absätze klacken über den Beton. Also, ihr Nachbar kann das nicht sein. Die letzte Szene schleicht sich in ihre Erinnerung, jene am Abend vor ihrer Tür, und wie sie ihm Putin entriss und wie entsetzt er sie anglotzte. Beinahe tat er ihr leid.
Warum hat er Putin zurückgebracht, wenn er doch schon als Luder für seinen Köter auserkoren war?
Marie, im Zweifelsfall immer für den Angeklagten, hört sie Leo Gambels Stimme mahnen. Das mochte wohl eine Option sein, nicht das Nonplusultra. Aber wenn sie schon auf ihrem Weg zur Genesung mit dem Urteil über den Mann, den sie nicht mehr Knackarsch nennen möchte, immer versöhnlicher wird, dann hat das nur den einen Grund: Man kann im Zweifelsfall milde urteilen, umso vernichtender darf das Strafmaß ausfallen, wenn alle Befürchtungen schließlich doch eintreten. Und sie werden eintreten, wie bei jedem anderen Mann. Es ist ja kein Zufall, dass es nur Schnee-Männer gibt, keine Schnee-Frauen. Beim ersten heißen Blick einer Frau schmelzen sie und dann sind sie hin. Bei den -Blicken einer gewissen Marie Neumeyer ist das freilich anders. Daran bleibt kein Mann lange kleben.
Im Moment steckt bei ihr sowieso der Teufel im Detail. Was macht sie nur immer falsch? Sie hatte das ganze Wochenende frei, sie hatte eine vortreffliche Minestrone gekocht mit viel Tomaten und zartem Kohl, ganz ohne eine Faser Fleisch. Sie hat für Putin Löwenzahnblätter gerupft, sich von der weißen Milch die gute weiße Hose beschmutzt. Nach ihrer bisherigen Meinung quillt das klebrige Zeug nur aus den hohlen Blütenstängeln, aber die hat sie bewusst nicht angerührt. Trotzdem ist die Hose hin. (Wieso macht weiße Milch so hässlich braune Flecken?) Sie hat die Wohnung geputzt und den Balkon entrümpelt, für Putin neue Streu in den Stall gegeben und sie hat ihrem treuen Gefährten mehr Zuwendung geschenkt als je einem Zweibeiner. Er wird sie nie enttäuschen, das ist nach Adam Riese jedenfalls nicht zu erwarten. (Adam Riese gebraucht sie aus Vorliebe, um gegen Evas Philosophen-Manie einen greifbaren Gegenpart zu liefern. Immerhin kennt sie sich in Philosophie nicht aus und immerhin sind die Naturwissenschaften - und die Mathematik im Besonderen – schulische Pflichtfächer, was man von der Philosophie glücklicherweise nicht sagen kann.)
Sie hat also an diesem elternabstinenten Wochenende alles richtig gemacht, warum ging es ihr dann so verdammt schlecht? Die Einsamkeit ist es, da hilft auch der strapazierte Selbstbetrug a la Wilhelm Busch nicht: Wer einsam ist, der hat es gut, weil keiner da, der ihm was tut.
Die Einsamkeit wäre für sich genommen ideal, wenn man nur die Macht darüber behielte, von wem man sie beenden lässt.
Jetzt schlägt die Haustür zu und es ist, als hört sie ein Kichern auf der Treppe. Auf nackten Füßen schleicht sie durch den Flur, ohne eine Lampe anzuknipsen. Geräuschlos schiebt sie die kleine Klappe von dem Guck-Dings beiseite. Im Treppenhaus ist es hell – dank Bewegungsmelder. Das Bild ist sehr verzerrt, erkennen kann sie dennoch, was sich da tut.
Die Schritte auf dem Beton vor dem Haus stammten von jenen High Heels, die neben Jonas einher stöckeln. Das Kichern kommt aus kirschroten Lippen, die vermutlich die ganze Nacht an ihm herumknabbern werden. Kann ein Mann neben einer solchen Frau auch nur ein Auge zumachen? Hallo. Morgen ist Montag …!
Die Frau hat einen Koffer dabei! Einen Koffer! Den trägt ganz selbstverständlich Jonas. Ein Stich geht durch ihre Brust. Jonas stellt den Koffer auf den Abtreter, legt seinen Arm um die Frau, schaut verstohlen zu ihrer Tür herüber, dann schiebt er dieses Flittchen über seine Schwelle und verhindert wohl auf diese Weise, dass die Fremde nicht schon auf dem Flur über ihn herfällt. Kira ist es zum Glück nicht, aber weil es Kira nicht ist, hat Marie für Montagmorgen einen Trumpf im Ärmel. Bei bester Gelegenheit wird sie einen Spruch ablassen, welchen, das steht noch nicht fest. Wahrscheinlich aber in der Richtung wie: Dein Knackarsch will immer nur das Eine, aber jeden Tag von einer anderen Frau.
Sie liegt wach. Hellwach. Hinter ihrem Kopfende befindet sich die Wand, hinter der wiederum sein Schlafzimmer liegt … Erst jetzt fällt es ihr ein: Wo ist diese Dobermann-Rottweiler-Boxer-Töle? Hat er seinen Hund verstoßen, damit er eine ungestörte Nacht verbringen kann? Armes Tier! Ein rechter Tierfreund ist das. Womöglich hat er Barack im Tierheim abgegeben und holt ihn erst wieder ab, wenn …
Sie sieht die Bilder hinter der Wand ganz deutlich vor sich und ihre Erregung wird stärker, als es ihr lieb ist. Nein, sie ist ihr ja lieb, sehr sogar. Nur die wellenförmige Hitze in ihrem Leib passt gar nicht zur schwülen Nacht nach dem Regen am Tag. In ihrer inneren Not stellt sie sich vor wie es wäre, wenn er sie so über die Schwelle geleitet hätte. Wenn sie jetzt in seinen Armen läge … Das Wort schwellen löst etwas in ihr aus, was sie erschreckt und zugleich die ganze Wut vergessen lässt, die sie auf Jonas hatte. Sie stellt sich ausgerechnet ihren ärgsten Widersacher vor, wie er eindeutige Blicke auf ihren Körper wirft, wie er die Knöpfe an ihrer Bluse öffnet und sie ihm das Signal der Bereitschaft sendet, es auch zu wollen. Unbedingt und unverzüglich.