Anna Q und das Erbe der Elfe. Norbert Wibben
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Anna schaut aus ihrem Fenster auf das verzauberte Parkgelände. Dicke Schneemützen bedecken die meisten Bäume, aber ebenso Säulen, Pfosten und sogar die Spitzen der Stäbe im Eisengitter, das das Schulgelände umschließt. In der Schneedecke sind Spuren unterschiedlicher Tiere zu erkennen. Sie stammen vornehmlich von kleineren Vögeln, aber auch von Mäusen, die sich auf der Suche nach Nahrung der Gefahr aussetzen, von Greifvögeln geschnappt zu werden. Annas Blick sucht den Haselbusch, unter dem sie im Sommer erstmalig mit Ainoa ins Andersland gereist ist. Dort laufen sternförmig viele Spuren zusammen.
»Es ist kaum zu glauben, aber das war bereits im letzten Jahr!« Sie erinnert sich noch gut an die aufregenden Ereignisse, als sie dort zusammen nach der Tochter der Elfenkönigin suchten und sie schließlich aus dem Nebelwald befreien konnten. Sofort denkt sie auch an das zweite Mal, als sie im Herbst in diesem verzauberten Wald nach Iain Raven, den Schulleiter, suchten. Sie verpassten ihn und wären beinahe von einem Bergtroll gefressen oder von Wölfen geschnappt worden. »Ich bin sicher, die grauen Raubtiere wurden von Siegfried Back geschickt, um Elfen zu fangen, die in den Nebelwald verschlagen werden.« Zu diesem Schluss sind nicht nur Anna und Ainoa gekommen, sondern ebenfalls der Schulleiter, Morwenna Mulham und die Elfenkönigin Katherin. »Zum Glück sind wir entkommen, bevor Seid Greif, wie sich Siegfried Back dort nennt, uns erwischen konnte.« Das Mädchen schüttelt sich. Ein eisiger Schauer rieselt ihr den Rücken hinunter. Allein der Gedanke an den Cythraul führt dazu, dass sich ihre Nackenhaare aufstellen. Sie schüttelt sich noch einmal und versucht energisch, sich auf etwas anderes zu konzentrieren.
Als sie an den Besuch ihres Vaters denkt, ändert sich ihr Gesichtsausdruck. Die düsteren Wolken werden von hellen Sonnenstrahlen vertrieben. Aedan Qwentiz war zu Weihnachten überraschend im Internat aufgetaucht. Er hatte bis zum Jahresanfang Urlaub und sich in einem Gasthof im nahen Ort eingemietet. Die gemeinsame Woche verging wie im Flug. Der Vater zeigte viele Bilder vom Nordlicht, die atemberaubend schön und mystisch wirkten. Er berichtete aber auch vom Schmelzen des polaren Eises und dem Rückgang vieler Gletscher.
»Wenn sich der Umgang des Menschen mit Natur und Umwelt nicht ändert, wird es nur noch wenige Jahrzehnte dauern, bis Grönland eisfrei sein wird. Am Südpol gibt es ebenso Hinweise auf den Rückgang des Eises. Das globale Wetter wird sich gravierend ändern, stärker als bisher schon. Abgesehen vom Steigen des Meeresspiegels mit seinen Folgen für alle Küstenregionen, wird die Änderung des Klimas die schlimmsten Auswirkungen haben. Beides wird zu Hungersnöten und Massenfluchten, mit daraus resultierenden Kämpfen um die zur Verfügung stehenden Ressourcen führen.« Trotz dieser verheerenden Prognose reiste Aedan mit Zuversicht zu den Forschungen zurück. Er ist davon überzeugt, nicht nur die eigene Regierung, sondern die Herrscher aller Länder mit seinen Ergebnissen von der Notwendigkeit überzeugen zu können, endlich gemeinsam wirksame Maßnahmen zu ergreifen. Anna lächelt ob dieses kindlichen Vertrauens, das ihr Vater in den logischen Menschenverstand aller Staatenlenker setzt. Sie hofft, nicht zuletzt für sich, dass er recht behält.
Annas Gedanken wandern zu Robin. Sie weiß noch genau, mit welch sorgenvoller Miene er sich für die Weihnachtsferien von ihr verabschiedete.
»Nutze die Ferien nicht wie im Herbst, um mit Ainoa Abenteuer zu bestehen. Halt, das ist Quatsch. Ich wollte sagen: Gerate nicht wieder in Gefahren. Wenn es doch dazu kommen sollte, überwindest du sie hoffentlich. – Irgendwie ist das völlig verdreht. – Ich mache mir einfach Sorgen! Pass gut auf dich auf.« Den folgenden Satz: »Und halte dich von der Elfe fern!«, hat sie fast überhört, da er nur geflüstert worden war. Sofort protestierte sie:
»Ainoa ist meine beste Freundin! Sie würde mich nie bewusst in Gefahr bringen.« Sie wollte sich bereits empört abwenden, als Robin sie verlegen lächelnd festhielt.
»Entschuldige, das wollte ich damit nicht sagen. Ich glaube, wenn du in Ruhe nachdenkst, weißt du, was ich meine. – Auch wenn du während der Feiertage fast allein hier sein wirst, wünsche ich dir schöne Weihnachtstage.« Dann umarmte der Junge das Mädchen. Obwohl das nur wenige Augenblicke dauerte, und der einfahrende Zug viele Blicke auf sich zog, war es in der Menschenmenge am Bahnhof für alle sichtbar. Eine verräterische Röte stieg an Robins Hals hoch. Anna bewunderte ihn in diesem Augenblick für den Mut, das in der Öffentlichkeit zu tun. Versöhnt und ein wenig verschämt lächelte sie zurück.
»Ich wünsche dir auch schöne Weihnachten!« Dann stieg der Junge in den Wagen. Das Mädchen winkte kurz darauf dem fortfahrenden Zug hinterher.
Fast das erste, nach dem sich Robin nach seiner Rückkehr aus den Ferien erkundigte, war, welche neuen Abenteuer Anna und Ainoa bestanden hätten. Obwohl die Frage flapsig klingen sollte, konnte das Mädchen die Angst erkennen, die ganz hinten, tief in den Augen des Jungen lauerte.
»Er macht sich wirklich Sorgen um mich!«, schoss es Anna durch den Kopf, als sie schon auffahren wollte. Ihre Antwort fiel wegen dieser Erkenntnis anders als ursprünglich beabsichtigt aus.
»Ich freue mich auch, dich gesund vor mir zu sehen!« Sie lacht über sein verdutztes Gesicht kurz auf. »Mein Vater hat mich besucht. Da hatte ich keine Zeit für Abenteuer! Und auch danach bin ich brav gewesen. Ainoa hat mich nicht verführt.« Es dauerte etwas, bis Robin sich entspannte und erleichtert aufatmete. Sie verabredeten sich zum Schachspiel um drei.
Ende Januar begann dann dieser ungewöhnlich heftige Schneefall mit anhaltendem Frost, wodurch die weiße Pracht den Kindern über viele Tage erhalten blieb. Die Schüler verhielten sich die ersten Tage anders als sonst. Sie verbrachten möglichst viel Zeit draußen, um Schneeballschlachten auszuführen, auf entsprechend hergerichteten Plätzen Schlittschuh zu laufen oder Iglus zu bauen. Auf der großen Rasenfläche direkt im Anschluss vom Internatsgebäude zum Park hin, entstand dadurch eine kleine Eskimosiedlung. Die unterschiedlich großen Schneemänner, die dazwischen aufgestellt worden sind, scheinen fehl am Platz zu sein. Sie wirken mit den dunklen Augen und den riesigen Mündern aus Kohlestücken und den krummen, roten Möhrennasen fast wie Bergtrolle, schießt es Anna durch den Kopf, als ihr Blick zum ersten Mal auf die modellierten Gestalten fällt. Im Dunkeln wirken sie aber auf viele Schüler bedrohlich, obwohl sie nie einem Troll begegnet sind. Besonders Wagemutige aus Robins Klasse brüsteten sich an einem Abend in der Öffentlichkeit des Speisesaals damit, eine Nacht in den Iglus verbringen zu wollen. Von den ursprünglich fünf Jungen blieben schließlich drei übrig, die das Vorhaben ausführten. Von da an waren sie für eine Woche der Schwarm vieler Mädchen der unteren Jahrgänge.
Nach zwei Wochen mit Schnee und Eis kommt allen der dicke Überzug schon fast normal vor. Bei den beständig eisigen Temperaturen haben die Aktivitäten draußen nachgelassen. Inzwischen brüten die Schüler lieber im Warmen über Aufsätzen, Referaten und Ausarbeitungen. Viele nutzen die Bibliothek, um notwendige Informationen in den Büchern zu recherchieren.
Anna dreht sich vom Fenster weg und betrachtet ein Bild ihres Vaters, das über ihrem Schreibtisch an der Wand hängt.
»Du hast recht mit der Wetteränderung. Ich kann mich an keinen Winter erinnern, in dem bei uns so hoher Schnee für eine derart lange Zeit gelegen hätte. Ist das ein Signal, das uns zum letzten Mal mahnen will?« Anna weiß, darauf wird sie keine Antwort erhalten. Sie seufzt tief. »Pass auf dich auf, Dad!« Dann dreht sie sich um und verlässt ihr Zimmer. Auf dem Weg zum Treffen des Schachteams begegnen ihr Schüler. Sie tauschen manchmal nur einen schnellen Blick, nicken sich zu oder wechseln ein paar kurze Worte, doch Anna hört kaum richtig hin. Sie ist mit den Gedanken bei etwas anderem.
Anfang Dezember schickte Innocent Green eine Nachricht an Morwenna Mulham. Sie ist nicht nur Bibliothekarin und Lehrerin für Logik und Strategie, sondern gleichzeitig die Gründerin des Schachclubs