Die vergessenen Kinder. Herbert Weyand
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Vierzehn Tage später sprang Barbara wieder herum und zeigte jedem, der es sehen wollte oder auch nicht, stolz ihre Narbe.
So etwas wollte ich nicht öfter haben und verstärkte meine Bemühungen zu einem Ausbruch aus unserem Gefängnis.
*
04. Juni 2012
Claudia und Kurt fuhren auf den Vorhof ihres Grundstücks. Sie kamen aus dem Lidl in Marienberg. In Grotenrath selbst gab es keine Einkaufsmöglichkeit mehr. Im Jägerhof konnte man schon einmal eine Fritte holen und ansonsten war das Essen auch ganz gut. Wer nicht mobil war, hatte Probleme. Trotzdem mochte keiner von beiden woanders wohnen, denn das Dorf hatte Charisma. Nahe des wunderschönen Heidegebiets gelegen, das sich bis weit in die Niederlande und von dort, auf die andere Seite der Maas, nach Belgien hineinzog. Der einzig störende Faktor waren die AWACs Flugzeuge bei Ostwind, die dann während des Starts und der Landung zu hören waren. Aber wann war schon einmal Ostwind? Zwei bis dreimal im Jahr wehte Güllegeruch durch den Ort. Aber auch wieder windabhängig.
Kurts Haus war ein altes Backsteingebäude, das etwa fünfundzwanzig Meter von der Waldstraße ab lag. Die Fläche davor war mit alten Basaltsteinen belegt, die früher einmal auf der alten Römerstraße zwischen Geilenkirchen und Boscheln lagen. Wie sie letztendlich zu ihrem jetzigen Liegeplatz kamen, wusste niemand mehr so richtig. Auf dem Hof standen in Unmengen Tontöpfe mit Pflanzen. Die Oleanderpflanzen würden in den nächsten vierzehn Tagen ihre Blüten öffnen. Geranien, Petunien und die vielen anderen Blickfänger standen in der ersten Blüte. An der Hauswand kletterten zwei mächtige Rosen und trugen unzählige Blüten in Rot und Gelb.
In der Wohnung blinkte der Anrufbeantworter. Kurt drückte den Abspielknopf. „Sie haben einen Anruf in Abwesenheit um fünfzehn Uhr siebenundfünfzig“, verkündete die Computerstimme abgehackt. Eine kurze Pause. „Frau Plum. Bitte rufen Sie zurück. Egal wie spät. Es ist dringend.“ Claudia sah zur Uhr. Kurz vor achtzehn Uhr.
„Einen Kaffee trinken wir aber noch“, meinte Kurt.
Sie schüttelte den Kopf und sah ihn ernst an. „Das war Klein. Der Polizeipräsident. Wenn der anruft, ist es dringend.“ Ihr Bauchgefühl bestätigte sich wieder einmal.
Eine knappe halbe Stunde später näherten sich Kurt und Claudia dem abgesperrten Bereich um das ehemalige Feuerwehrhaus. Das gesamte Gebiet zu Hinter den Höfen und weiter zum Bolzplatz an der Schule war mit Gittern verstellt. Am scheinbar offiziellen Durchgang stand Schneider, der Orang-Utan vom Verfassungsschutz und wehrte die Neugierigen ab, die auf den Platz wollten.
„Da sind Sie ja“, empfing er sie, als habe es nie einen Zusammenstoß gegeben. „Es wird auch Zeit.“ Er musterte sie von Kopf bis Fuß. Claudia sah sicherlich nicht aus, wie er sich eine Hauptkommissarin der Mordkommission vorstellte. Sie hatte sich die Zeit zum Umziehen nicht genommen und trug die bequeme, drei Viertel lange, Schlabberhose sowie ein Hemd von Kurt. Das Haar hatte sie mit einem Gummi im Nacken zusammengebunden.
„Wer leitet den Einsatz?“, fragte sie kurz angebunden. Der Typ fehlte ihr noch.
Schneider sah sie merkwürdig an. „Soweit ich weiß, Sie.“
„Toll.“ Sie gab Kurt, der schon mit einem Bekannten im Gespräch war, einen Kuss. „Bis später. Mal sehen, was wir dort haben.“
Langsam, innerlich unwillig, schritt sie zu dem Baggerloch, das eineinhalb Stockwerke tief und ungefähr zehn Meter breit war. Neben ihr drängten sich Feuerwehrleute und Polizisten sowie Menschen, die aussahen, als hätten sie etwas zu sagen. In der Baugrube arbeiteten Männer in Overalls und Schutzhelmen, auf drei Ebenen, die treppenartig angelegt wurden. An den Grubenwänden wurde ein Gerüst befestigt, das die Wände verkleidete und stabilisierte. Ein Kran ließ Container hinunter, die, vom Erdniveau des Schulhofs und der ersten Stufe, von Baggern mit Abraum gefüllt wurden. Auf der Sohle wurde mit Schüppe und Hacke gearbeitet.
„Mensch Claudia. Da bist du endlich.“ Der kleine energiegeladene Mann, Anfang fünfzig mit sehr hoher Stirn, stürmte auf sie zu.
„Fabian? Was machst du denn hier?“, fragte sie erstaunt. Sie erkannte ihn in dem weißen Einmalanzug erst, als er die Kapuze abstreifte.
„Komm“, er fasste statt einer Antwort ihren Oberarm und deutete zu einem Unimog. „Ziehe dir einen Overall über.“
Sie stieg in den Wagen. Was machte das BKA hier? Erst der Verfassungsschutz und jetzt noch die Bundespolizei, in Person des Leiters für mysteriöse Todesfälle. Wie lange hatte sie Fabian schon nicht mehr gesehen? Ungefähr ein Jahr. Er war mit Paul und Griet befreundet. Als er ihre Nachbarn das letzte Mal besuchte, war sie mit Kurt an der See.
„So. Jetzt mal Butter bei die Fische“, sagte sie burschikos, als sie aus dem LKW stieg. „Der Typ vom Verfassungsschutz meinte, ich leite diese Aktion, von der ich nicht weiß, dass es sie gibt.“
„Meine Schuld“, gab Fabian Schröder zerknirscht zu. Sie standen etwas abseits auf dem ehemaligen Schulhof. „Wir wurden schon vergangene Woche auf den Bombenfund aufmerksam. Ich beginne beim Anfang. Ein Kollege unserer Behörde schnappte am gleichen Vormittag deinen Namen in Verbindung mit dem Verfassungsschutz auf. Nicht Landesbehörde, sondern Bund. Sie weiß, dass wir bekannt sind, und unterrichtete mich. Ich hatte auch Paul angerufen und wollte früher hier sein. Doch ich setzte erst einmal meine Abteilung darauf an und streckte die Fühler aus. Wir erfuhren nichts. Bei mir schrillten die Alarmglocken. Denn, wenn du nichts erfährst, gärt im Hintergrund eine große Sache. Du kennst das ja selbst … Bauchgefühl“, er grinste etwas verschämt. „Meine Leute haben auch noch übers Wochenende recherchiert. Nichts. Ich überlegte dich anzurufen, dachte jedoch es sei besser, ich komme hier hin.“ Er unterbrach und strich