Die vergessenen Kinder. Herbert Weyand

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Die vergessenen Kinder - Herbert Weyand

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Plum. Gut, dass ich Sie erwische“, Dengler der Staatsanwalt war an der Strippe. „Wo sind Sie?“

      „In Gottes freier Natur. Mein Dackel muss Gassi.“ Sie wollte ihm nicht auf die Nase binden, wo genau sie war. Verdammt fluchte sie. Wenn Dengler während ihres Urlaubes anrief, brannte es irgendwo. „Sie müssen Amtshilfe leisten. In Ihrem Dorf wurde eine Bombe gefunden und soll in den nächsten Stunden entschärft werden.“

      „Ich habe davon gehört. Unser Haus liegt an der Grenze des Evakuierungsbereiches.“

      „Neben der Bombe befindet sich ein Gebäude, dessen Bewohner nicht zugänglich sind und der örtlichen Polizei, die Überprüfung der kurzzeitigen Aussiedlung, nicht gestatten. Ich möchte, dass Sie sich dieser Angelegenheit annehmen.“ Dengler klang eindringlich.

      „Nicht schon wieder. Ich habe Urlaub“, murrte die Beamtin. „Beim letzten Mal hatte ich eine Entführung am Hals.“

      „Tun Sie mir den Gefallen. Wir haben im Moment niemanden frei. Den Tag Urlaub hängen Sie hinten an.“

      „Nun gut. Ich wollte immer schon einmal in die Trutzburg.“ Sie schaltete das Handy aus. „Edgar, wir müssen heute in die andere Richtung.“ Claudia schlug fluchend den Weg zum Kämpchen ein. Den Dackel nahm sie mit. So konnte sie zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.

      Claudia Plum war zweiunddreißig Jahre alt und leitete seit zwei Jahren die Aachener Mordkommission. Die Liebe hatte sie nach Grotenrath verschlagen, dem Dorf in dem Sie geboren wurde und ihren Bruder auf tragische Weise verlor. Mit ihren einhundertsiebzig Zentimetern war sie keine große, aber auch keine kleine Frau. Ihre Figur war sportlich schlank. Aus dem intelligenten Gesicht sahen graue Augen lebensfroh und häufig auch skeptisch in die Welt. Das brünette Haar lockte halblang bis auf die Schultern. Ein objektiver Beobachter würde sie als attraktiv und interessant bezeichnen. Sie trug eine verwaschene Jeans und Birkenstocklatschen sowie über das Shirt eine leichte helle Leinenjacke. Also ihr absolutes Freizeitoutfit. Im Dienst trug sie normalerweise Kostüm mit Bluse. Das einzige Zugeständnis an ihren Beruf waren dann ein Paar vergammelte Sportschuhe, die sie immer im Auto mitführte, falls es ins Gelände ging. Claudias Beruf war ihre Leidenschaft. Ungern erinnerte sie sich an die Auseinandersetzungen mit ihren Eltern, die sie im Familienbetrieb wissen wollten. Heute verstand sie, weshalb.

      Erst vor wenigen Wochen erfuhr sie von ihrem Bruder Fabian, der brutal vergewaltigt worden war und wie ein Stück Müll auf den Komposthaufen des Friedhofs geworfen wurde. Sie hatte die Tat mit angesehen, jedoch aus ihrem Bewusstsein verdrängt. Nach mehr als zwanzig Jahren hatte sie den Täter überführt und damit sich gegenüber, die letzte Legitimation für ihre Berufswahl erlangt.

      Ihr Gesicht trug einen mürrischen Ausdruck, als sie am Küfenweg rechts abbog und etwa einhundert Meter weiter, den linken geteerten Wirtschaftsweg nahm. Damit betrat sie die private Sperrzone des Grundstücks, wie das Hinweisschild signalisierte. Claudia schritt zügig auf die Zufahrt Anwesens zu, dessen Bewohner sie von der Evakuierung überzeugen musste. Während sie dem Grundstück näherkam, stiegen zwei Hubschrauber aus dem Innenbereich des Anwesens empor und flogen nach Norden. Was mochte dort geschehen? Eine Frage, die immer wieder gestellt wurde. Sie verließ den geteerten Feldweg und erreichte die Privatstraße. Nach wenigen Schritten quietschten Reifen vor und hinter ihr. Die beiden schwarzen Mercedeslimousinen mit getönten Scheiben zwangen sie zum Halt.

      „Was wollen Sie hier? Das ist Privatgrund. Können Sie nicht lesen?“ Ein dunkelhaariger, wild aussehender Riese sprang mit einem mächtigen Satz aus dem Auto und musterte sie drohend.

      „Nicht so hastig“, sagte Claudia ruhig, trotz des Schrecks, den sie gerade durchlebte, um niemanden zu provozieren.

      „Ich gebe Ihnen gleich hastig“, knurrte der Mann.

      „Bleiben Sie cool“, beruhigte sie. „Ich greife jetzt in meine Tasche und nehme meinen Ausweis heraus.“ Sie fasste vorsichtig in die Gesäßtasche, fischte nach der Plastikkarte und hielt sie hoch. „Hauptkommissarin Plum. Kriminalpolizei. Ich bin für die Evakuierung dieses Grundstücks zuständig.“ Sie zeigte auf den riesigen Bau, der mit Feldbrandsteinen gebaut oder verklinkert, in einhundert Meter Entfernung die Landschaft verbaute. Sechzig oder fünfundsechzig Meter Kantenlänge dachte sie. Dieser blöde Wachmann will mich aufhalten. Sie empfand keine Furcht.

      „Verschwinden Sie ganz einfach“, sagte der Mann.

      „Ich werde jetzt zu diesem Gebäude gehen und die dort lebenden Menschen zum Sammelplatz bringen.“ Sie geriet langsam in Rage. Was bildete der Typ sich ein? Ein Gorilla in Menschengestalt.

      „Sie werden gar nichts.“ Er fasste an sein Ohr und lauschte irgendwelchen Ansagen, die er wahrscheinlich über Funk bekam. „Sehen Sie“, er deutete mit der Hand zu dem riesigen Tor, das sich langsam öffnete. Die Evakuierung läuft. Wir bekommen das alleine hin.“

      Eins, zwei, drei, vier …“, zählte Claudia die verdunkelten Mercedeslimousinen, die das Gelände verließen. Zwölf an der Zahl und ein großer Reisebus mit ebenso undurchsichtigen Scheiben. Dahinter landeten zwei Hubschrauber, wahrscheinlich die, die vorhin von dort gestartet waren. „Ihren Namen, bitte“, forderte Claudia.

      „Sagen Sie einfach Schneider zu mir“, antwortete er nach kurzem Zögern. „Jetzt verschwinden Sie. Sie werden das Gelände so oder so nicht betreten. Ich verbürge mich für die Sicherheit der Bewohner dieses Komplexes.“

      „So einfach kommen Sie mir nicht davon.“ Claudia geriet in Zorn. Was bildete der sich ein?

      „Und ob“, sagte er ruhig, stieg in das Auto und folgte dem Bus. Das Tor verschloss wieder und selbst, wenn sie spurtete, würde sie es nicht schaffen.

      Hilflos, gedemütigt und rasend vor Wut stand sie am Straßenrand. „Was für ein Arsch“, fluchte sie. Claudia zückte ihr Handy und rief den Staatsanwalt an. Sie schilderte kurz das Geschehen.

      „Ich informiere die örtliche Polizei darüber, dass das Gebäude geräumt ist. Vielen Dank, Frau Plum“, sagte Dengler kurz und merkwürdig frostig. Er brach das Gespräch ab.

      Dann stand sie mit Edgar allein in weiter Flur und gab sich einen Ruck. Zu dem einen Arsch kam ein weiterer. Wollten die sie veralbern? Nachdenklich trat sie den Rückweg an und hatte das altbekannte Drücken in den Gedärmen, das nahendes Unheil anzeigte.

      Seit eineinhalb Jahren lebte sie hier und fragte sich, wie alle Einwohner des Dorfs, was wohl hinter den Mauern dieses Hochsicherheitstraktes geschehen mag. Die Hubschrauber, die jeden Tag dort starteten und landeten, mussten einen Sinn haben, der sich jedem Außenstehenden entzog. Die Fahrzeuge, die das Gebäude verließen, hatten allesamt verspiegelte Scheiben. Sie wusste von den Nachbarn, dass das Gebäude nach dem Krieg errichtet wurde. Es wurde als Kastell, Trutzburg, Hochsicherheitstrakt oder Knast bezeichnet. Sie kannte niemanden, der schon einmal Kontakt mit den Bewohnern hatte. Vor Monaten hatte sie ihre Kollegin Oberkommissarin Maria Römer aus purer Neugierde darauf angesetzt. Maria war die PC-Spezialistin ihres Teams und es gab kaum etwas, das sie, falls es irgendwo im Netz stand, nicht fand. Das Gebäude existierte nicht und war selbst auf Google Earth nicht verzeichnet. Sie taten das damit ab, weil der militärische Sicherheitsbereich der NATO Air Base an das Gelände des Anwesens grenzte und irgendwann, in grauer Vorzeit, mit einschloss. Jetzt war endlich die offizielle Gelegenheit gegeben in diese geheimnisvolle Villa einzudringen und sie wurde ausgebremst. Sie würde am Ball bleiben, so sicher wie das Amen in der Kirche.

       *

      Die Bombe neben dem Fundament war freigelegt und der Kampfmittelräumdienst war dabei, die Umgebung des Zünders zu

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