Vom Kap zum Kilimandscharo. Ludwig Witzani

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Vom Kap zum Kilimandscharo - Ludwig Witzani

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habe zeitweise sogar überlegt, nach Südafrika auszuwandern.“

      Ich erzählte, dass mein älterer Bruder in den Sechzigern einige Jahre in Südafrika gelebt und immer nur von dem Land geschwärmt habe.

      „Ja, in den Sechzigern“, antwortete Wilfried und machte eine wegwerfende Handbewegung. „Da herrschten hier für einen Weißen paradiesische Zustände“. Er machte eine Pause und blickte mich prüfend an, ob ich begriffe, was er sagte. „Aber das ist vorbei. Hier gehen bald die Lichter aus“, fuhr er fort. „Freunde von mir, die im Norden von Kapstadt ein kleines Haus gekauft haben, sind bereits sechsmal ausgeraubt worden. Nun wollen sie es verkaufen und zurück nach Deutschland. Nur, es kauft keiner zu vernünftigen Preisen. Sie werden darauf sitzen bleiben.“

      „Und es ist keine Besserung in Sicht?“ fragte ich.

      „Nein“, erwiderte Wilfried. „Ganz im Gegenteil. Jetzt ist das Drogenproblem von Johannesburg nach Kapstadt übergeschwappt. Die meisten Jugendlichen sind doch süchtig und machen alles, um an Geld für Drogen zu kommen. Da man aber die eigenen Leute in den Townships nicht mehr ausrauben kann, weil sie einfach nichts haben, unternehmen die Jugendlichen nun Raubzüge in die Innenstadt.“

      Ich dachte, an den Kleinen, der meine Fototasche hatte stehlen wollen. Ob der auch schon ein Drogenproblem hatte? fragte ich mich.

      „Wollen sie noch etwas Wein?“ fragte Wilfried.

      Ich lehnte dankend ab.

      ***

      Die nächsten Tage in Kapstadt ließ ich mich treiben, nicht unbedingt in die Vorstädte, aber durch die Straßen des Zentrums, über die Märkte und Plätze bis hin zur Waterfront. Im Botanischen Garten hielt ich Ausschau nach dem kleinen Dieb, sah ihn aber nicht wieder. Ganz allein stand ich vor der neoklassizistischen Fassade des Parlamentsgebäudes. Kapstadt war eine der beiden Hauptstädte Südafrikas und Sitz des Parlaments. Die andere Hauptstadt Pretoria im Norden war der Sitz der Regierung. Die obersten Gerichte saßen übrigens weder in Kapstadt noch in Pretoria sondern in Bloomfountain und Johannesburg.

      Überall in der Innenstadt waren Plakate geklebt worden, auf denen eine Politik der Harmonie propagiert wurde, eine Art Zusammenklang von Erster und Dritter Welt als sogenannte „Regenbogennation“, die mir aber vorkam wie eine schadhafte Tünche, die jeden Tag durch den bloßen Augenschein widerlegt wurde. Ich besuchte den Busbahnhof von Kapstadt und sah fast nur Schwarzafrikaner. Die wenigen Weißen, denen ich auf den Rampen begegnete, wirkten abgerissen und erschöpft. Auf dem Greenmarket Square trank ich einen Kaffee und beobachtete Passanten, die apathisch auf den Bänken saßen und in die Luft starrten. Mehrfach wurde ich angebettelt, aber auch in Ruhe gelassen, wenn ich nichts geben wollte. Einmal gab ich etwas und war sofort von einer ganzen Meute umringt, die auch eine Spende haben wollte. Eine Gruppe farbiger Jugendlicher sang vor der Grote Kerk an der Adderley Street fetzige Gospels, die Kasse klingelte, das Geschäft florierte, doch die Stimmung hatte etwas Maskenhaftes, gerade so, als agiere man

      in einer surrealen Performance, die im nächsten Augenblick umschlagen konnte. In einer Seitenstraße rappten die Verkäufer zum Takt der Musik und brachten mit Humor und Geschick ihre Platten und Kassetten für wenige Rand an den Mann. Doch ein flüchtiger Blick unter den Tisch zeigte, dass dort Handfeuerwaffen bereitlagen. Schwarzafrikaner offerierten ihre Waren auf dem Grand Parade Market vor der City Hall, weiße Kundschaft aber war kaum zu sehen, als gehöre das Warenangebot in eine andere Welt.

      Stück für Stück enthüllte sich mir die verborgene Semiotik Kapstadts und ich erkannte, dass die Lage viel heikler war, als ich angenommen hatte. In der Nähe von Banken oder Juwelieren standen scheinbar beiläufig Männer in den Hauseingängen. Erst beim zweiten Blick sah man die Schnellfeuerwaffen, die sie dicht an ihren Körper trugen. Es waren Sicherheitskräfte, die zur Stelle wären, wenn sich in ihrer Nähe ein Überfall ereignen würde. Verkehrsschilder warnten im Umkreis des Bahnhofs nicht in erster Linie vor Verkehrsübertretungen, sondern vor der Mitnahme von Speeren, Äxten und Handfeuerwaffen in den öffentlichen Transportmitteln. Und dass ein Parkplatz ein freier Platz ist, an dem man sein Auto abstellen kann, mochte für andere Städte gelten. In Kapstadt waren Parkplätze Pfründen, um die die jugendliche Banden kämpften. Als ich meinen Wagen am Nachmittag in einem Vorort von Kapstadt abstellte, traten zwei Jugendliche an mich heran und stellten sich als Mitglieder einer Parkwächter-Kooperative vor, deren Angehörige für eine kleine Gebühr die geparkten Fahrzeuge bewachten. Ganz gleich, ob die Jugendlichen selbst das Problem waren, vor dem sie mein Fahrzeug schützen wollten, oder ob sie tatsächlich sinnvolle Wachdienste leisteten – ich zögerte keine Sekunde, für diese „Service“ einige Rand herauszurücken.

      Schon am späten Nachmittag, wenn sich andere Orte langsam auf ihre vitalste Tageszeit vorbereiteten, rasselten die ersten Ladengitter herab, wurden die Flohmarktstände abgebaut und die Kaufhäuser geschlossen. Kurz nach Einbruch der Dunkelheit wirkte die Innenstadt wie leergefegt. Der Abendwind trieb Blätter und Papierfetzen über menschenleere Plätze. Zwei einsame Passanten an der Heerengracht beschleunigten ihre Schritte und verschwanden in einem bewachten Hoteleingang. Kapstadts Schönheit war nicht nur doppelbödig, sie war auch eine Qualität, die bei Einbruch der Dunkelheit verschwand.

Titel

      „Stolz, ein Mensch zu sein“

      Auf Robben Island

      Niemand kann über Südafrika reden, ohne den Namen Nelson Mandela zu erwähnen. Ich selbst wuchs auf mit diesem Namen als einem Symbol für den Kampf um Freiheit und Gerechtigkeit. Ich entsinne mich noch genau an die Ehrfurcht, mit der unser Politiklehrer uns Bilder eines schwarzafrikanischen Mannes mit Bart präsentierte, der völlig unschuldig in einem Staatsgefängnis saß, weil er Freiheit für sein Volk gefordert hatte. Es war übrigens eine Zeit gewesen, in der es jede Menge Helden gegeben hatte, die weit weg von Europa für die Menschenrechte kämpften. Manche sahen gut aus wie Che Guevara, manche waren wütend wie Patrick Lumumba oder klein und hunzelig wie Onkel Ho. Nelson Mandela war der einzige gewesen, der auf seinem Bild einen Anzug mit Krawatte trug. Es war der Anzug, den er getragen hatte, als er im Jahre 1964 von einem Gericht in Südafrika zu lebenslanger Haft wegen Terrorismus verurteilt worden war. Viele dieser Helden starben jung wie Che Guevara, das war noch das Beste, was ihnen passieren konnte, dachte ich, weil sie auf diese Weise stark und schön im Gedächtnis blieben. Andere kamen an die Macht und entpuppten sich als ebensolche Schlächter wie ihre Gegner. Die Geschichte Nelson Mandelas aber war anders. Er starb weder, noch kam er an die Macht. In einer sich rasend verändernden Welt saß er scheinbar für die Ewigkeit auf der Gefängnisinsel Robben Island vor den Toren von Kapstadt hinter Gittern.

      Doch die Zeit seiner Gefangenschaft verging nicht umsonst. Sie entpuppte sich als eine Kraft, die den Gefangenen von Robben Island in den Augen seiner Anhänger jedes Jahr ein wenig heiliger machte – und das Erstaunlichste war, dass er sich, als er endlich aus der Gefangenschaft entlassen wurde, wirklich als Heiliger erwies und allein mit der Macht seiner Persönlichkeit den großen Machtwechsel am Kap ohne Bürgerkrieg über die Bühne brachte. Während der andere große Verbannte seiner Zeit, Ayatollah Chomeini nach seiner Rückkehr in den Iran seine Heimat in einem Meer von Blut ertränkte, entpuppte sich Nelson Mandela nach seiner siebenundzwanzigjährigen Haft als ein Genie der Versöhnung, als die wahrscheinlich moralisch herausragende Gestalt des Jahrhunderts.

      Über ein Menschenalter war vergangen, seitdem Nelson Mandela Robben Island verlassen hatte. Flach und unscheinbar lag die kleine Insel in der blauen See, als hätten nicht jahrzehntelang die Augen der Welt auf ihr geruht. Die Insel befand sich nur sieben Kilometer vom afrikanischen Festland entfernt und war gerade mal fünf Quadratkilometer groß, der ideale Ort für eine Sträflingsinsel, weil die

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