Die Brüder Karamasow. Fjodor Dostojewski

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Die Brüder Karamasow - Fjodor Dostojewski

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in des Gebirges Klüften

      barg der Troglodyte sich;

      der Nomade ließ die Triften

      wüste liegen,wo er strich.

      Mit dem Wurfspieß, mit dem Bogen

      schritt der Jäger durch das Land;

      weh dem Fremdling, den die Wogen

      warfen an den Unglücksstrand!

      Und auf ihrem Pfad begrüßte,

      irrend nach des Kindes Spur,

      Ceres die verlaßne Küste.

      Ach, da grünte keine Flur!

      Daß sie hier vertraulich weile,

      ist kein Obdach ihr gewährt;

      keines Tempels heitre Säule zeuge,

      daß man Götter ehrt.

      Keine Frucht der süßen Ähren

      lädt zum reinen Mahl sie ein;

      nur auf gräßlichen Altären

      dorret menschliches Gebein.

      Ja, so weit sie wandernd kreiste,

      fand sie Elend überall,

      und in ihrem großen Geiste

      jammert sie des Menschen Fall.«

      Mitja schluchzte plötzlich auf und ergriff Aljoschas Hand.

      »Lieber Bruder, lieber Bruder, auch jetzt ist Elend überall, Elend überall! Furchtbar viel hat der Mensch auf Erden zu erdulden, furchtbar viel Unglück muß er durchmachen! Glaub nicht, daß ich nur eine Knechtsseele im Offiziersrang bin und weiter nichts tue als Kognak trinken und sumpfen. Nein, Bruder, ich denke fast nur an diesen erniedrigten Menschen, wenn ich damit nicht lüge. Gott gebe, daß ich jetzt nicht lüge und mich nicht selber lobe. Ich denke an diesen Menschen deswegen, weil ich selbst ein solcher Mensch bin.

      Daß der Mensch zum Menschen werde,

      stift' er einen ew'gen Bund

      gläubig mit der frommen Erde,

      seinem mütterlichen Grund.

      Nun, siehst du, das ist die Schwierigkeit: wie soll ich mit der Erde einen ewigen Bund stiften? Ich küsse die Erde doch nicht, ich kann mir ihretwegen nicht die Brust aufreißen, soll ich etwa Bauer werden oder Hirt? Ich gehe so dahin und weiß nicht, bin ich in Kot und Schande geraten oder in Licht und Freude? Da steckt eben das Unglück: alles auf der Welt ist ein Rätsel! Und wenn ich im allerallertiefsten Sumpf der Ausschweifung versank – das ist bei mir oft genug vorgekommen –, dann habe ich immer dieses Gedicht von der Ceres und dem Menschen gelesen. Hat es mich gebessert? Nein, niemals! Weil ich ein Karamasow bin. Weil ich, wenn ich schon in den Abgrund stürze, das geradezu tue, mit dem Kopf nach unten und den Fersen nach oben. Weil ich sogar damit zufrieden bin, daß ich in einer so unwürdigen Haltung falle und das als eine Schönheit an mir betrachte. Und mitten in dieser Schmach sage ich auf einmal die Hymne an die Freude auf. Mag ich auch verflucht sein, mag ich auch ein niedriger, gemeiner Mensch sein – auch ich möchte den Saum des Gewandes küssen, das meinen Gott umhüllt! Und mag ich auch zur gleichen Zeit dem Teufel folgen, so bin ich doch auch dein Sohn, Herr, und liebe dich und fühle die Freude, ohne die die Welt nicht stehen und existieren kann.

      Freude heißt die starke Feder

      in der ewigen Natur.

      Freude, Freude, treibt die Räder

      in der großen Weltenuhr.

      Blumen lockt sie aus den Keimen,

      Sonnen aus dem Firmament,

      Sphären rollt sie aus den Räumen,

      die des Sehers Rohr nicht kennt.

      Freude trinken alle Wesen

      an den Brüsten der Natur;

      alle Guten, alle Bösen

      folgen ihrer Rosenspur.

      Küsse gab sie uns und Reben,

      einen Freund, geprüft im Tod;

      Wollust ward dem Wurm gegeben,

      und der Cherub steht vor Gott.

      Aber genug der Verse Mir sind die Tränen gekommen, aber laß mich weinen! Mag das eine Dummheit sein, über die alle lachen – du wirst nicht lachen. Dir brennen ja auch die Augen. Genug der Verse! Ich will dir jetzt von den ›Würmern‹ erzählen, von denen, die Gott mit Wollust begabt hat.

      Wollust ward dem Wurm gegeben!

      Ich, Bruder, bin eben dieser Wurm! Das ist speziell auf mich gemünzt! Und wir Karamasows sind allesamt solche Würmer! Und auch in dir Engel lebt dieser Wurm und ruft Stürme in deinem Blut hervor. Ja, Stürme, denn die Wollust ist ein Sturm, schlimmer als ein Sturm! Die Schönheit, das ist ein furchtbares, schreckliches Ding! Furchtbar, weil sie undefinierbar ist, und definieren kann man sie nicht, weil Gott uns nur Rätsel aufgegeben hat. Da kommen die Ufer zusammen, da leben alle Widersprüche beieinander. Ich bin ein sehr ungebildeter Mensch, Bruder, aber ich habe viel darüber nachgedacht. Furchtbar viele Geheimnisse gibt es! Zu viele Rätsel bedrücken den Menschen auf Erden. Sie zu erraten ist ebenso leicht, wie trocken aus dem Wasser zu steigen. Die Schönheit! Ich kann es nicht ertragen, daß mancher Mensch, sogar mancher, der viel Herz und viel Verstand besitzt, zuerst in der Madonna und zuletzt in Sodom sein Ideal sieht. Noch furchtbarer ist es, wenn jemand schon Sodom als Ideal im Herzen trägt und doch die Madonna als Ideal nicht aufgibt, wenn sein Herz für dieses Ideal lodert, wirklich und wahrhaftig lodert wie in jungen, lasterlosen Jahren. Nein, der Mensch ist ein gar zu weites Feld – ich hätte ihn etwas verengt! Und nun noch etwas. Weiß der Teufel, wie das zugeht: was der Verstand als Schmach ansieht, erscheint dem Herzen oft als Schönheit. Steckt in Sodom etwa irgendwelche Schönheit? Glaub mir, die überwiegende Mehrzahl der Menschen sieht in Sodom das Schöne – hast du dieses Geheimnis gekannt oder nicht? Schrecklich, daß die Schönheit nicht nur furchtbar, sondern auch geheimnisvoll ist. Da kämpft der Teufel mit Gott, und das Schlachtfeld ist das Herz der Menschen. Übrigens, was einem weh tut, davon redet man. Hör zu, ich komme jetzt zur Sache.«

      1 Deßjatine: Flächenmaß, ca. 1 ha

      2 Pud: Gewicht, ca. 16 kg

      4. Beichte eines heißen Herzens (in Prosa)

      »Ich habe ein ausschweifendes Leben geführt. Vorhin hat der Vater gesagt, ich hätte mehrere tausend Rubel, für die Verführung von Mädchen ausgegeben. Das ist eine gemeine Lüge, das ist nie geschehen. Doch was geschehen ist, dafür war eigentlich kein Geld erforderlich. Bei mir ist das Geld nur etwas Nebensächliches, etwas Dekoratives. Heute ist eine vornehme Dame mein Liebchen, morgen an ihrer Stelle eine Straßendirne. Ich amüsiere die eine wie die andere, werfe das Geld mit vollen Händen weg, da muß Musik her,

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