Die Brüder Karamasow. Fjodor Dostojewski

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Die Brüder Karamasow - Fjodor Dostojewski

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er sich nämlich ununterbrochen mit der vorteilhaften Anlage seines Kapitals und brachte seine Geschäftchen immer glücklich, wenn auch fast immer auf betrügerische Weise, zu Ende. Sofja Iwanowna, Tochter eines Diakons, war seit ihrer Kindheit Waise; aufgewachsen war sie im Hause ihrer Wohltäterin, Erzieherin und Peinigerin, einer angesehenen reichen, alten Dame, der Witwe des Generals Worochow. Näheres weiß ich nicht; ich habe nur gehört, daß man die sanfte, gutmütige, fügsame Pflegetochter einmal aus einer Schlinge befreite, die sie an einem Nagel in der Rumpelkammer befestigt hatte – so schwer ertrug sie den Eigensinn und die ewigen Vorwürfe der boshaften Alten, die durch den Müßiggang ein so unausstehlicher Querkopf geworden war. Fjodor Pawlowitsch bewarb sich um die Hand des Mädchens, die alte Frau zog Erkundigungen ein und wies ihm die Tür; und wieder schlug er, wie bei seiner ersten Ehe, eine Entführung vor. Wahrscheinlich hätte sie ihn um keinen Preis geheiratet, wäre ihr rechtzeitig Näheres über ihn bekannt gewesen. Aber er stammte aus einem anderen Gouvernement, und der Verstand des sechzehnjährigen Mädchens reichte nur zu der Überlegung: Lieber in den Fluß gehen als länger bei der Wohltäterin bleiben. So vertauschte sie die Wohltäterin mit einem Wohltäter. Fjodor Pawlowitsch erhielt diesmal keine Kopeke; die Generalin war wütend, gab nichts und verfluchte die beiden. Er hatte auch nicht damit gerechnet, etwas zu bekommen; ihn reizte nur die auffallende Schönheit des Mädchens, vor allem ihr unschuldiger Gesichtsausdruck, der auf ihn, den immer nur lüsternen Liebhaber körperlicher weiblicher Reize, starken Eindruck machte. »Diese unschuldigen Äuglein strichen mir damals wie ein Rasiermesser übers Herz«, sagte er später mit seinem gemeinen häßlichen Kichern. Doch auch das konnte für einen so verdorbenen Menschen nichts anderes als ein sinnlicher Reiz sein. Da er von seiner Heirat keinerlei materiellen Vorteil hatte, machte Fjodor Pawlowitsch mit seiner Frau keine Umstände; sie hatte ihm sozusagen »Schaden gebracht«, und er hatte sie gewissermaßen »aus der Schlinge genommen« – also trat er, ihre unglaubliche Demut und Fügsamkeit ausnutzend, die gewöhnlichsten ehelichen Anstandsregeln geradezu mit Füßen. In seinem Hause feierte er vor den Augen seiner Frau Orgien mit liederlichen Weibern. Als charakteristisch führe ich an, daß sich der Diener Grigori, ein finsterer, dummer, eigensinniger, rechthaberischer Mensch, der die frühere Hausfrau, Adelaida Iwanowna, gehaßt hatte, diesmal auf die Seite der Frau stellte und sich ihretwillen mit Fjodor Pawlowitsch für einen Diener fast unerlaubt heftig stritt. Einmal verhinderte er sogar eine Orgie und jagte alle Dirnen gewaltsam aus dem Haus. Später bekam die unglückliche, seit frühester Kindheit verschüchterte junge Frau eine Art nervöse Frauenkrankheit, die am häufigsten beim einfachen Volk, bei Bäuerinnen, vorkommt, die sogenannte »Schreikrankheit«. Infolge dieser mit hysterischen Anfällen verbundenen Krankheit verlor sie zeitweilig sogar den Verstand. Sie gebar jedoch ihrem Mann zwei Söhne, Iwan und Alexej, Iwan im ersten Jahr ihrer Ehe, Alexej drei Jahre später. Als sie starb, war der kleine Alexej noch keine vier Jahre alt, und wenn das auch seltsam ist, ich weiß zuverlässig, daß er sich später sein ganzes Leben an die Mutter erinnerte, natürlich nur wie im Traum. Nach ihrem Tod erging es den beiden Knaben fast ebenso wie dem ersten, Mitja: Der Vater vergaß sie und kümmerte sich nicht im geringsten um sie; sie kamen zu demselben Grigori ins Gesindehaus. Da fand sie auch die alte querköpfige Generalin, die Wohltäterin und Erzieherin ihrer Mutter. Sie war noch am Leben und hatte all die acht Jahre die ihr angetane Kränkung nicht vergessen. Über Sofjas Schicksal hatte sie ständig unterderhand die genauesten Nachrichten erhalten, und als sie hörte, wie krank sie war und unter welchen schlimmen Umständen sie lebte, hatte sie mehrmals zu ihren Kostgängerinnen gesagt: »Das geschieht, ihr recht; das hat ihr Gott zur Strafe für ihre Undankbarkeit geschickt.«

      Genau drei Monate nach Sofja Iwanownas Tod erschien die Generalin plötzlich in unserer Stadt und fuhr geradewegs zu Fjodor Pawlowitsch. Sie hielt sich zwar nur ungefähr eine halbe Stunde auf, richtete aber dennoch viel aus. Es war gegen Abend. Fjodor Pawlowitsch, den sie in den acht Jahren nicht gesehen hatte, empfing sie betrunken. Sie soll ihm sofort ohne alle Erklärungen zwei schallende Ohrfeigen versetzt und ihn dreimal an den Haaren fast bis zur Erde gezerrt haben. Dann ging sie, ohne ein Wort zu sagen, in das Gesindehaus zu den Knaben. Da sie auf den ersten Blick sah, daß sie ungewaschen waren und schmutzige Wäsche trugen, verabreichte sie unverzüglich auch noch dem Diener Grigori eine Ohrfeige und erklärte ihm, sie werde die Kinder zu sich nehmen. Darauf nahm sie die beiden, wie sie waren, wickelte sie in eine Decke, setzte sie in den Wagen und fuhr mit ihnen in die Stadt, wo sie wohnte. Grigori ertrug die Ohrfeige wie ein Sklave, wortlos; als er die alte Dame zum Wagen geleitete, verbeugte er sich tief und sagte eindringlich, Gott werde ihr lohnen, was sie an den Waisen tun wolle. »Ein Tölpel bist du trotzdem!« rief ihm die Generalin im Abfahren zu. Fjodor Pawlowitsch fand bei näherer Überlegung die Sache ganz in Ordnung und erhob später bei seinem formellen Einverständnis mit der Erziehung der Kinder durch die Generalin in keinem Punkt Einspruch. Von den Ohrfeigen jedoch erzählte er selbst in der ganzen Stadt.

      Bald darauf starb auch die Generalin. In ihrem Testament hatte sie für jeden der Knaben tausend Rubel ausgesetzt; das Geld sollte unter allen Umständen für sie und nur für sie verausgabt werden, »zu ihrer Erziehung«, und zwar so, daß es bis zu ihrer Volljährigkeit reiche; für derartige Kinder reiche ein solches Geschenk vollauf; wenn jemand Lust habe, so möge er selbst seinen Beutel auftun und so weiter, und so weiter. Ich habe das Testament nicht gelesen, weiß aber, daß es wirklich solch eine sonderbare Bestimmung enthielt. Der Haupterbe der Alten, der Adelsmarschall jenes Gouvernements, Jefim Petrowitsch Poljonow, erwies sich allerdings als Ehrenmann. Nach einer langen Korrespondenz mit Fjodor Pawlowitsch mußte er einsehen, daß von ihm kein Geld zur Erziehung seiner Kinder zu bekommen war; der Vater weigerte sich zwar nie direkt, zog aber die Sache in die Länge und erging sich höchstens in sentimentalen Redensarten. Also nahm er sich selbst der Kinder an und gewann vor allem Alexej, den jüngeren, lieb; dieser wurde sogar lange Zeit in seiner Familie erzogen. Dies bitte ich von vornherein zu beachten. Wenn die jungen Menschen jemandem für ihre Erziehung und Bildung zu Dank verpflichtet waren, so Jefim Petrowitsch, einem edeldenkenden, humanen Menschen, wie man ihn selten findet. Er ließ die von der Generalin hinterlassenen Summen von je tausend Rubeln unangetastet, so daß sie bei Volljährigkeit der Knaben mit den Zinsen auf je zweitausend angewachsen waren, erzog die Knaben auf seine eigenen Kosten und gab dabei natürlich weit über tausend Rubel für jeden aus. Auf eine ausführliche Schilderung ihrer Kinder- und Jugendzeit verzichte ich wiederum, ich führe nur das Wichtigste an. Iwan entwickelte sich zu einem finsteren, verschlossenen Knaben; er war nicht schüchtern, schien aber schon als Zehnjähriger zu spüren, daß sie in einer fremden Familie aufwuchsen und von fremder Barmherzigkeit lebten und daß sie einen Vater hatten, dessen man sich schämen mußte und so weiter, und so weiter. Dieser Knabe zeigte schon in früher Kindheit (wenigstens erzählte man das) ungewöhnliche, glänzende Fähigkeiten. Ich weiß nichts Genaues, jedenfalls verließ er wohl, kaum dreizehnjährig, die Familie Jefim Petrowitschs und kam auf ein Moskauer Gymnasium, wo ein erfahrener, angesehener Pädagoge, ein Jugendfreund Jefim Petrowitschs, ihn in Pension nahm. Iwan selbst erzählte später, all das sei eine Folge von Jefim Petrowitschs »feuriger Begeisterung für gute Taten« gewesen; er habe sich durch die Idee begeistern lassen, ein genial veranlagter Knabe müsse auch einen genialen Erzieher haben. Übrigens waren Jefim Petrowitsch wie auch der geniale Erzieher bereits tot, als der junge Mann nach dem Gymnasium die Universität bezog. Da Jefim Petrowitsch mangelhafte Anordnungen getroffen hatte und die Auszahlung des Geldes der Generalin sich infolge der unvermeidlichen Formalitäten verzögerte, ging es dem jungen Mann in den beiden ersten Universitätsjahren recht schlecht; er mußte selbst für seinen Unterhalt sorgen und gleichzeitig studieren. Es sei vermerkt, daß er nicht einmal versuchte, mit seinem Vater in Briefwechsel zu treten – vielleicht aus Stolz oder aus Verachtung, vielleicht auch in der kühlen, gesunden Erkenntnis, daß von seinem werten Papa doch keine ernsthafte Beihilfe zu erwarten war. Wie auch immer, jedenfalls verlor der junge Mann nicht den Kopf und verschaffte sich Arbeit. Zuerst gab er Privatstunden für zwanzig Kopeken, dann lieferte er bei den Zeitungsredaktionen zehnzeilige Artikel über Straßenvorfälle mit der Unterschrift »Ein Augenzeuge« ab. Die kleinen Notizen sollen immer so interessant und pikant abgefaßt gewesen sein, daß sie schnell Anklang fanden. Schon hierdurch zeigte der junge Mann seine praktische und geistige Überlegenheit gegenüber den vielen, immer notleidenden und unglücklichen studierenden Jugendlichen beiderlei Geschlechts, die in den Hauptstädten von früh bis spät in die Redaktionen der Zeitungen

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