Die Brüder Karamasow. Fjodor Dostojewski
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Die Brüder Karamasow - Fjodor Dostojewski страница 64
Doch Aljoscha wandte sich um, sah ihn nur an und ging weiter. Kaum hatte er aber drei Schritte getan, da traf ihn ein Stein schmerzhaft im Rücken; es war der größte, den der Junge in der Tasche gehabt hatte.
»Du wirfst von hinten? Da haben die anderen also recht, wenn sie sagen, daß du einen heimtückisch überfällst?« Mit diesen Worten drehte sich Aljoscha wieder um, doch der wütende Junge warf erneut nach Aljoscha, und zwar zielte er diesmal aufs Gesicht. Aljoscha konnte rechtzeitig parieren, so daß der Stein ihn nur am Ellbogen traf.
»Schämst du dich nicht? Was habe ich dir getan?« rief er.
Schweigend und verbissen erwartete der Junge nichts anderes, als daß sich Aljoscha jetzt auf ihn stürzte. Als dies aber auch jetzt nicht geschah, geriet er wie ein wildes Tier in Raserei. Er stürzte selber auf Aljoscha los, und ehe der sich rühren konnte, hatte der Junge den Kopf gesenkt, mit beiden Händen Aljoschas linke Hand gepackt und ihn schmerzhaft in den Mittelfinger gebissen. Er biß fest zu und ließ etwa zehn Sekunden nicht los. Aljoscha schrie vor Schmerz laut auf und versuchte mit aller Kraft die Hand wegzuziehen. Der Junge gab den Finger endlich frei und sprang zurück. Der Finger war schmerzhaft zerbissen, dicht am Nagel und bis auf den Knochen; er blutete stark. Aljoscha wickelte das Taschentuch fest um die verwundete Hand; womit er fast eine Minute zu tun hatte. Währenddessen stand der Junge da und wartete. Endlich schaute ihn Aljoscha ruhig an.
»So«, sagte er. »Du siehst, wie du mich gebissen hast, nun ist es wohl genug, nicht wahr? Sagst du mir jetzt, was ich dir getan habe?«
Der Bursche sah ihn verwundert an.
»Ich kenne dich zwar gar nicht und sehe dich zum erstenmal«, fuhr Aljoscha immer im gleichen ruhigen Ton fort, »aber ich muß dir doch etwas getan haben. Du würdest mir doch nicht grundlos solchen Schmerz zufügen. Was also habe ich dir getan, und womit habe ich mich gegen dich vergangen? Sag es mir, bitte!«
Statt zu antworten, fing der Junge an zu weinen und lief weg. Aljoscha folgte ihm langsam in die Michailowskajastraße und sah ihm noch lange nach. Der Junge lief weiter, ohne das Tempo zu mäßigen oder sich umzusehen, wahrscheinlich immer noch weinend. Aljoscha nahm sich vor, ihn so bald wie möglich zu besuchen und diesen rätselhaften Vorgang, der ihn sehr beeindruckt hatte, aufzuklären. Jetzt fehlte ihm die Zeit dazu.
4. Bei den Chochlakows
Schnell war er am Haus von Frau Chochlakowa angelangt. Es war ihr Eigentum, aus Stein gebaut, einstöckig und hübsch aussehend, eines der besten Häuser im Städtchen. Obgleich Frau Chochlakowa meist in einem anderen Gouvernement, wo sie ein Gut besaß, oder in ihrem Moskauer Haus lebte, gehörte ihr auch in unserem Städtchen ein Haus, das sie von ihren Vätern und Großvätern ererbt hatte. Das Gut, das sie in unserem Kreis besaß, war das größte von ihren drei Gütern; dennoch war sie bisher selten in unser Gouvernement gekommen.
Sie empfing Aljoscha bereits im Vorzimmer.
»Haben Sie meinen Brief über das neue Wunder erhalten. Haben Sie ihn erhalten?« begann sie hastig und aufgeregt.
»Ja, ich habe ihn erhalten.«
»Und haben Sie ihn allen gezeigt? Er hat der Mutter den Sohn zurückgegeben!«
»Er wird heute sterben«, sagte Aljoscha.
»Ich habe es gehört, ich weiß es. Oh, wie sehr drängt es mich, mit Ihnen zu sprechen! Mit Ihnen oder mit sonst jemand. Über das alles. Nein, mit Ihnen, mit Ihnen! Wie schade, daß es mir nicht möglich ist, ihn zu sehen! Die ganze Stadt ist aufgeregt, alle befinden sich in gespannter Erwartung. Jetzt aber ... Wissen Sie, daß Katerina Iwanowna bei uns ist?«
»Ach, das trifft sich gut!« rief Aljoscha. »Da kann ich gleich bei Ihnen mit ihr sprechen. Sie bat mich gestern, heute unter allen Umständen zu ihr zu kommen.«
»Ich weiß alles, ich weiß alles. Ich habe alles, was gestern bei ihr vorgefallen ist, bis in die letzten Einzelheiten gehört. Auch die ganze schreckliche Szene mit dieser ... Kreatur. C'est tragique1, und ich würde an ihrer Stelle ... Ich weiß nicht, was ich an Ihrer Stelle tun würde! Aber auch Ihr Bruder Dmitri Fjodorowitsch, was sagen Sie zu dem? O Gott, Alexej Fjodorowitsch, ich bin ganz durcheinander! Denken Sie nur, drin sitzt jetzt Ihr Bruder, das heißt nicht jener, nicht der schreckliche Mensch von gestern, sondern der andere, Iwan Fjodorowitsch, der sitzt da und redet mit ihr, das Gespräch der beiden hat so etwas Feierliches ... Und wenn Sie es mir glauben wollen: Was da jetzt zwischen ihnen vorgeht, ist etwas Schreckliches, das ist, sage ich Ihnen, eine Überspanntheit, ein schreckliches Märchen, das man um keinen Preis für wahr halten möchte! Die beiden richten sich zugrunde, man weiß nicht, warum. Sie wissen selbst, daß sie sich zugrunde richten, und finden ihren Genuß daran. Ich habe auf Sie gewartet! Sehnsüchtig habe ich auf Sie gewartet! Das Wichtigste ist, ich kann das nicht länger ertragen. Ich werde Ihnen gleich alles erzählen, aber erst muß ich Ihnen noch etwas anderes mitteilen, das Allerwichtigste – ach, ich hatte ganz vergessen, daß es das Allerwichtigste ist! Sagen Sie, wovon hat Lise einen Weinkrampf bekommen? Kaum hatte sie erfahren, daß Sie sich dem Hause nähern, als sie einen hysterischen Anfall bekam.«
»Mama, jetzt sind Sie hysterisch, nicht ich«, drang auf einmal Lisas Stimmchen aus dem Nebenzimmer durch den Türspalt. Der Türspalt war schmal, und die Stimme klang, als ob ihr Gewalt angetan würde, als ob jemand furchtbare Lust hätte loszulachen, doch das Lachen nach Kräften unterdrückt. Aljoscha bemerkte den Spalt sofort und vermutete, daß ihn Lisa von ihrem Rollstuhl aus dadurch beobachtete, er konnte es aber nicht genau erkennen.
»Es wäre kein Wunder, Lise, wenn ich infolge deiner launischen Einfälle auch hysterisch würde! Übrigens ist sie sehr krank, Alexej Fjodorowitsch. Sie ist die ganze Nacht sehr krank gewesen, hat gefiebert und gestöhnt! Nur mit Mühe und Not habe ich den Morgen und den Doktor Herzenstube abwarten können. Er sagt, er könne das nicht verstehen, man müsse den weiteren Verlauf abwarten. Dieser Doktor Herzenstube kommt immer und sagt, er könne das nicht verstehen ... Sowie Sie sich dem Haus näherten, schrie sie auf, bekam einen Anfall und verlangte hierher, in ihr früheres Zimmer gebracht zu werden ...«
»Mama, ich habe überhaupt nicht gewußt, daß er kommt! Ich wollte nicht seinetwegen in dieses Zimmer gefahren werden.«
»Das ist schon wieder eine Unwahrheit, Lise! Julija lief zu dir, um dir zu sagen, daß Alexej Fjodorowitsch kommt. Sie hat auf deinen Befehl Wache gestanden.«
»Mama, liebes Täubchen, das ist furchtbar wenig geistreich von Ihnen! Wenn Sie es aber wiedergutmachen und gleich etwas sehr Verständiges sagen wollen, liebe Mama, so sagen Sie doch dem geehrten Herrn Alexej Fjodorowitsch, er habe schon dadurch einen Mangel an Feingefühl bewiesen, daß er sich nach allem, was gestern geschehen sei, entschlossen habe, heute zu uns zu kommen – wo er hier doch nur ausgelacht wird.«
»Lise, du erlaubst dir zu viel, und ich versichere dir, daß ich zu strengen Maßnahmen greifen werde! Wer lacht denn hier über ihn? Ich freue mich so, daß er gekommen ist! Ich brauche ihn, er ist mir ganz unentbehrlich. Ach, Alexej Fjodorowitsch, ich bin sehr unglücklich!«
»Was betrübt Sie denn so, Mama, mein Täubchen?«
»Ach, deine Launen, Lise, deine Unbeständigkeit, deine Krankheit, diese schreckliche Fiebernacht, dieser schreckliche Doktor Herzenstube, besonders, daß er ewig, ewig und ewig herkommt! Und schließlich alles, alles ... Und zuletzt sogar dieses Wunder! Oh, wie mich dieses Wunder ergriffen und erschüttert hat, lieber Alexej Fjodorowitsch! Und dort im Salon jetzt diese Tragödie, die ich nicht