Der Jüngling. Fjodor Dostojewski

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Der Jüngling - Fjodor Dostojewski

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schwer zu begreifen. Hätte Kolumbus vor der Entdeckung Amerikas es unternommen, anderen seine Idee darzulegen, so bin ich überzeugt, daß sie ihn sehr, sehr lange nicht verstanden hätten. Und sie haben ihn auch wirklich nicht verstanden. Wenn ich das sage, beabsichtige ich ganz und gar nicht, mich mit Kolumbus auf eine Stufe zu stellen, und wenn jemand das aus meinen Worten folgern sollte, dann mag er sich schämen; weiter sage ich nichts.

      Fünftes Kapitel

      Meine Idee ist – ein Rothschild zu werden. Ich bitte den Leser, ruhig und ernst zu bleiben.

      Ich wiederhole: meine Idee ist, ein Rothschild zu werden, ebenso reich zu werden wie Rothschild, nicht bloß einfach reich, sondern geradeso reich wie Rothschild. Weshalb und warum ich das will und welche Zwecke ich damit verfolge, davon soll später die Rede sein. Zunächst will ich nur beweisen, daß die Erreichbarkeit meines Zieles mit mathematischer Sicherheit feststeht.

      Die Sache ist sehr einfach; das ganze Geheimnis besteht in zwei Worten: Energie und Ausdauer.

      »Das haben wir schon oft gehört, das ist nichts Neues«, wird man mir erwidern, »jeder Hausvater in Deutschland prägt das fortwährend seinen Kindern ein, aber doch ist dein Rothschild« (das heißt der verstorbene Pariser James Rothschild, von dem ich rede) »immer nur eine vereinzelte Erscheinung geblieben, Hausväter aber gibt es Millionen.«

      Darauf würde ich antworten:

      »Ihr behauptet, das schon oft gehört zu haben, aber dabei habt ihr gar nichts gehört. In einem Punkt habt ihr allerdings recht: wenn ich gesagt habe, diese Sache sei ›sehr einfach‹, so habe ich vergessen hinzuzufügen, daß sie zugleich sehr schwer ist. Alle Religionen und Sittenlehren der Welt laufen auf die eine Vorschrift hinaus: ›Man muß die Tugend lieben und das Laster meiden.‹ Was könnte, scheint es, einfacher sein? Nun wohl, so tut doch mal etwas Tugendhaftes und meidet auch nur eines eurer Laster, versucht es doch mal – nun? Ebenso ist es auch hiermit.«

      Das ist der Grund, weshalb jene zahllosen Hausväter im Laufe zahlloser Jahrhunderte diese wunderbaren beiden Worte, in denen das ganze Geheimnis steckt, immerzu wiederholen können und Rothschild doch nur eine vereinzelte Erscheinung bleibt. Nämlich: es ist doch nicht dasselbe, und was die Hausväter da immerzu wiederholen, ist keineswegs der richtige Gedanke.

      Von Energie und Ausdauer haben auch sie ohne Zweifel etwas gehört; aber zur Erreichung meines Zieles ist etwas anderes erforderlich als diese hausväterische Energie und diese hausväterische Ausdauer.

      Nehmen wir auch nur den einen Umstand, daß der Betreffende Hausvater ist – ich rede nicht allein von den deutschen Hausvätern –, daß er eine Familie hat, wie alle andern Menschen lebt, Ausgaben hat wie alle andern Menschen, Pflichten wie alle andern Menschen – da kann einer kein Rothschild werden; da kommt er über die Mittelstufe nicht hinaus. Mir für meine Person ist es vollständig klar, daß ich, wenn ich ein Rothschild werde oder es auch nur zu werden wünsche, aber nicht auf die hausväterische Manier, sondern ernsthaft, daß ich dadurch ganz von selbst aus der Gesellschaft ausscheide.

      Vor einigen Jahren las ich in den Zeitungen, daß auf einem Wolgadampfer ein Bettler gestorben sei, der in Lumpen ging, um Almosen bat und dort allgemein bekannt war. Nach seinem Tode fand man bei ihm, in seine Lumpen eingenäht, gegen dreitausend Rubel in Banknoten. Und neulich habe ich wieder von einem Bettler gelesen, einem Adligen, der in den Restaurationen umherging und dort den Gästen die hohle Hand hinhielt. Er wurde verhaftet, und man fand bei ihm ungefähr fünftausend Rubel. Daraus ergeben sich ohne weiteres zwei Schlußfolgerungen: erstens, daß Energie beim Sparen, selbst bei Beträgen von wenigen Kopeken, schließlich gewaltige Resultate erzielt (die Zeitdauer ist dabei bedeutungslos), und zweitens, daß selbst die kunstloseste Form des Erwerbs, wenn sie nur mit Ausdauer betrieben wird, mit mathematischer Sicherheit auf Erfolg rechnen kann.

      Und doch gibt es vielleicht sehr viele achtbare, kluge, enthaltsame Leute, die (trotz aller Mühe) es weder zu drei- noch zu fünftausend Rubeln bringen und die doch furchtbar gern eine solche Summe besitzen möchten. Woher kommt das? Die Antwort liegt auf der Hand: weil keiner von ihnen, mag er es auch noch so sehr wünschen, so viel Willensstärke besitzt, um zum Beispiel, wenn er auf keine andere Weise etwas erwerben kann, sogar Bettler zu werden, und weil keiner von ihnen, selbst wenn er Bettler geworden ist, energisch genug ist, um nicht gleich die ersten Kopeken, die er erhält, zur Beschaffung eines nicht unbedingt notwendigen Nahrungsmittels für sich oder für seine Familie auszugeben. Und doch muß man bei dieser Sparmethode, ich meine bei der Bettelei, um solche Summen zusammenzubringen, sich von weiter nichts als von Brot und Salz nähren; das ist wenigstens meine Meinung. So haben es sicherlich auch die oben erwähnten beiden Bettler gemacht, das heißt, sie haben nur Brot gegessen und fast unter freiem Himmel gelebt. Zweifellos hatten sie nicht die Absicht, Rothschilds zu werden: sie waren nur Harpagons oder Pljuschkins reinsten Wassers, weiter nichts; aber auch beim zielbewußten Gelderwerb, der in ganz anderer Form, aber mit der Absicht geführt wird, ein Rothschild zu werden, ist nicht weniger Willenskraft erforderlich, als sie diese beiden Bettler besaßen. Ein Hausvater kann eine solche Willenskraft nicht aufbringen. Die Kräfte sind auf der Welt von sehr verschiedener Stärke; ganz besonders gilt das von der Willenskraft. Es gibt eine Temperatur, bei der das Wasser zu sieden anfängt, und es gibt eine Temperatur, bei der das Eisen rotglühend wird.

      Das steht auf derselben Stufe wie das Klosterleben und die erstaunlichen Leistungen der Askese. Die treibende Kraft ist hierbei das Gefühl und nicht die Idee. Warum? Wozu? Ist es denn, kann man fragen, eine sittlich gute Handlungsweise und nicht vielmehr eine Ungeheuerlichkeit, lebenslänglich in einem groben Kittel zu gehen und Schwarzbrot zu essen und dabei eine solche Geldsumme mit sich herumzuschleppen? Auf diese Fragen will ich später zurückkommen; jetzt handelt es sich nur um die Möglichkeit, das Ziel zu erreichen.

      Als ich »meine Idee« erdachte (und ihr Wesen besteht gerade in der Rotglühhitze), da fing ich an, mich zu prüfen, ob ich wohl fähig wäre, ein Mönchsleben zu führen und Askese zu üben. In dieser Absicht genoß ich den ganzen ersten Monat lang nur Brot und Wasser. An Schwarzbrot hatte ich nicht mehr als zwei und ein halbes Pfund täglich nötig. Um dies durchzuführen, mußte ich den klugen Nikolai Semjonowitsch und die mir so wohlgesinnte Marja Iwanowna täuschen. Zur Kränkung der letzteren und zur Verwunderung des sehr zartfühlenden Nikolai Semjonowitsch bestand ich darauf, daß mir das Mittagessen auf mein Zimmer gebracht würde. Dort beseitigte ich es einfach: die Suppe goß ich aus dem Fenster in die Nesseln oder sonstwohin, und das Fleisch warf ich entweder durch das Fenster dem Hund hin, oder ich wickelte es in Papier, steckte es in die Tasche und trug es dann hinaus, und ebenso alles übrige. Da mir Brot zum Mittagessen viel weniger als zweieinhalb Pfund gegeben wurde, kaufte ich mir für mein eigenes Geld heimlich Brot dazu. Ich hielt diesen ganzen Monat über aus und verdarb mir nur vielleicht ein wenig den Magen; im folgenden Monat aber fügte ich zu dem Brot noch die Suppe hinzu und morgens und abends je ein Glas Tee – und ich kann versichern, daß ich auf diese Weise ein ganzes Jahr in vollständiger Gesundheit und Zufriedenheit verlebte, seelisch aber in einer Art von Rausch und in einem ununterbrochenen heimlichen Entzücken. Ich grämte mich nicht um die Speisen, die ich mir entgehen ließ, sondern ich war voller Begeisterung. Nach Ablauf des Jahres hatte ich die Überzeugung gewonnen, daß ich imstande war, jedes beliebige Fasten zu ertragen, und fing nun wieder an, ebenso zu essen wie die andern und an dem gemeinsamen Mittagstisch teilzunehmen. Mit dieser Probe noch nicht zufrieden, stellte ich noch eine zweite an: außer dem Pensionspreis, der an Nikolai Semjonowitsch bezahlt wurde, stand für meine kleinen Ausgaben ein Taschengeld von monatlich fünf Rubeln zur Verfügung. Ich nahm mir vor, davon nur die Hälfte zu verbrauchen. Das war eine sehr schwere Prüfung, aber nach etwas über zwei Jahren hatte ich bei der Ankunft in Petersburg außer dem übrigen Geld siebzig Rubel in der Tasche, die ich mir nur durch dieses System erspart hatte. Das Resultat dieser beiden Versuche, war für mich höchst bedeutungsvoll: ich hatte positiv erkannt, daß ich genug Willenskraft besaß, um mein Ziel zu

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