Der Jüngling. Fjodor Dostojewski
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Der Jüngling - Fjodor Dostojewski страница 34
»Ist selbst ein ungeleckter Bär und will andern Leuten Politur beibringen! Erdreisten Sie sich nicht, mein Herr, noch einmal in Gegenwart Ihrer Mutter so bloß ›Wersilow‹ zu sagen, und ebensowenig in meiner Gegenwart; das dulde ich nicht!« rief Tatjana Pawlowna mit blitzenden Augen.
»Mama, ich habe heute mein Gehalt bekommen, fünfzig Rubel; bitte, nehmen Sie es, da ist es!«
Ich trat zu ihr und hielt ihr das Geld hin; sie geriet sogleich wieder in Aufregung.
»Ach, ich weiß nicht, ob ich es nehmen soll!« sagte sie, als ob sie Angst hätte, das Geld zu berühren. Ich verstand das nicht.
»Aber ich bitte Sie, Mama, wenn Sie beide mich in der Familie als Sohn und Bruder ansehen, so ...«
»Ach, ich fühle mich dir gegenüber schuldig, Arkadij; ich sollte dir ein Geständnis machen, aber ich habe solche Furcht ...«
Sie sagte das mit einem schüchternen, schmeichelnden Lächeln; ich verstand sie wieder nicht und unterbrach sie:
»Übrigens, Mama, wissen Sie schon, daß heute vor Gericht Andrej Petrowitschs Prozeß mit den Fürsten Sokolskij entschieden worden ist?«
»Ach ja, ich weiß!« rief sie und legte erschrocken die Handflächen vor der Brust zusammen (eine bei ihr sehr häufige Geste).
»Heute?« rief Tatjana Pawlowna, heftig zusammenzuckend. »Aber das ist doch nicht möglich; er hätte doch etwas davon gesagt. Hat er es dir gesagt?« wandte sie sich zu meiner Mutter.
»Ach nein, daß es heute war, das hat er nicht gesagt. Aber ich habe schon die ganze Woche über solche Angst gehabt. Selbst wenn wir verloren haben sollten, würde ich Gott danken; wenn wir nur die Last von den Schultern los wären und alles wieder wäre wie früher!«
»Also auch Ihnen hat er es nicht gesagt, Mama!« rief ich. »Was ist das für ein Mensch! Da haben wir gleich eine Probe seiner Gleichgültigkeit und seines Hochmuts gegen uns; was habe ich eben gesagt?«
»Aber wie ist der Prozeß entschieden, wie ist er entschieden? Und wer hat es dir gesagt?« fuhr Tatjana Pawlowna auf mich los. »So rede doch!«
»Da kommt er ja selbst! Vielleicht wird er es erzählen«, sagte ich, da ich seine Schritte auf dem Flur hörte, und setzte mich schnell neben Lisa.
»Um Gottes willen, Bruder, schone Mama; sei verträglich zu Andrej Petrowitsch ...«, flüsterte mir meine Schwester zu.
»Ja, das werde ich sein, gewiß; ich habe mir das schon, als ich nach Hause kam, vorgenommen«, erwiderte ich und drückte ihr die Hand.
Lisa sah mich sehr mißtrauisch an, und sie sollte recht behalten.
Er trat ein, sehr zufrieden mit sich, so zufrieden, daß er es nicht einmal für nötig hielt, diese seine Stimmung zu verbergen. Überhaupt hatte er uns gegenüber in der letzten Zeit die Gewohnheit angenommen, sich ganz ungeniert zu dekuvrieren, und zwar nicht nur hinsichtlich seiner schlechten, sondern sogar auch seiner lächerlichen Eigenschaften, was doch sonst jeder ängstlich vermeidet; und dabei wußte er genau, daß wir alles bis auf das letzte Tüpfelchen verstanden. Im letzten Jahr war er (worüber sich Tatjana Pawlowna gelegentlich aussprach) in seiner Kleidung sehr heruntergekommen: seine Anzüge waren zwar immer noch anständig, aber schon alt und nicht mehr elegant. Auch neigte er jetzt dazu, die Wäsche zwei Tage lang zu tragen, worüber meine Mutter ordentlich traurig war; das hielten sie für ein großes Opfer, und diese ganze kleine Gruppe ihm ergebener weiblicher Wesen sah darin eine Heldentat. Er trug immer weiche, breitkrempige schwarze Hüte; als er in der Tür den Hut abnahm, sprang auf seinem Kopf ein ganzes Büschel seines sehr dichten, aber schon angegrauten Haars in die Höhe. Es machte mir immer Vergnügen, sein Haar zu beobachten, wenn er den Hut abnahm.
»Guten Abend; seid ihr alle zusammen und sogar er dabei? Ich hörte seine Stimme schon, als ich noch im Vorzimmer war; gewiß hat er auf mich geschimpft?«
Wenn er über mich Witze machte, so war das immer ein Zeichen, daß er sich in vergnügter Stimmung befand. Ich gab ihm natürlich keine Antwort. Lukerja kam herein mit einem großen Paket, das allerlei Dinge enthielt, die er eingekauft hatte, und legte es auf den Tisch.
»Ich habe gesiegt, Tatjana Pawlowna! Der Prozeß ist gewonnen; Berufung einzulegen werden die Fürsten gewiß nicht unternehmen. Die Erbschaft fällt mir zu! Ich habe auch gleich jemanden gefunden, der mir tausend Rubel geliehen hat. Sofja, leg doch die Arbeit weg, streng nicht deine Augen an! Lisa, du bist wohl von der Arbeit gekommen?«
»Ja, Papa«, antwortete Lisa mit freundlicher Miene; sie nannte ihn Vater; ich konnte mich dazu um keinen Preis bereit finden.
»Bist du müde?«
»Freilich.«
»Laß die Arbeit, geh morgen nicht hin, und gib diese Tätigkeit ganz auf!«
»Das würde mir nicht bekommen, Papa.«
»Aber ich bitte dich darum ... Ich kann es gar nicht leiden, wenn Frauen arbeiten, Tatjana Pawlowna.«
»Wie kann man denn ohne Arbeit leben? Das wäre ja noch schöner, wenn eine Frau nicht arbeitete! ...«
»Ich weiß, ich weiß; das ist ja alles sehr gut und richtig, und ich bin im voraus mit allem einverstanden; aber ich spreche hauptsächlich von der Handarbeit. Denkt euch nur, das war für mich in meiner Kindheit eine der peinlichsten oder richtiger eine der absonderlichsten Empfindungen. In meinen dunklen Erinnerungen an die Zeit, wo ich fünf oder sechs Jahre alt war, sehe ich am häufigsten – natürlich mit einem Gefühl des Widerwillens – eine Gesellschaft von klugen Frauen mit ernsten, finsteren Gesichtern um einen runden Tisch versammelt, auf dem Scheren, Stoffe, Schnittmuster und Modebilder liegen. Alle geben sie ihr Urteil ab und disputieren, schütteln wichtig und langsam die Köpfe, nehmen Maß und berechnen und machen sich zum Zuschneiden fertig. Alle diese sonst so freundlichen Personen, die mich so lieb hatten, waren auf einmal unnahbar geworden; wenn ich zu laut wurde, schickten sie mich sofort hinaus. Selbst meine arme Kinderfrau, die mich an der Hand hielt, antwortete nicht auf mein Rufen und auf mein Zupfen, sondern schaute und lauschte nur, als ob da ein Paradiesvogel säße und sänge. Diesen strengen Ausdruck der verständigen Gesichter und das wichtige Wesen vor dem Beginn des Zuschneidens kann ich mir noch heute nicht ohne eine sehr unangenehme Empfindung vorstellen. Sie, Tatjana Pawlowna, finden ja am Zuschneiden ein besonderes Vergnügen! Aber so aristokratisch das auch sein mag, ich liebe doch mehr eine Frau, die gar nicht arbeitet. Beziehe das nicht auf dich, Sofja... Wie solltest du auch! Die Frau ist auch ohne das eine große Macht. Das ist übrigens auch dir bekannt, Sonja. Wie denken Sie darüber, Arkadij Makarowitsch? Sie machen gewiß Opposition?«
»Nein, durchaus nicht«, antwortete ich. »Besonders gut gefällt mir der Satz, daß die Frau eine große Macht ist, obgleich ich nicht verstehe, in welche Verbindung Sie das mit der Arbeit bringen. Aber daß man arbeiten muß, wenn man kein Geld hat, das wissen Sie selbst.«
»Aber