Der Jüngling. Fjodor Dostojewski
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Übrigens versicherte er mir bei demselben Gespräch, meine Mutter habe ihn aus »Unterwürfigkeit« geliebt: es fehlte nur noch, daß er behauptete, sie habe es gemäß ihrer Pflicht als Leibeigene getan! Er hat gelogen, um der Sache ein schönes Mäntelchen umzuhängen, gelogen gegen sein Gewissen und gegen Ehre und Anstand!
Alles dies habe ich natürlich zum Lob meiner Mutter gesagt, jedoch habe ich bereits erklärt, daß ich von ihrem damaligen Wesen gar keine Kenntnis habe. Wohl aber kenne ich die in ihrer Umgebung herrschenden strengen Anschauungen, in denen sie von klein auf heranwuchs und dann ihr ganzes Leben über verharrte. Und trotzdem geschah das Unglück. Bei dieser Gelegenheit muß ich mich korrigieren: ich bin in die Wolken hinauf geflogen und habe vergessen, eine Tatsache zu berichten, die ich vielmehr hätte ganz an die Spitze stellen sollen: nämlich die Sache begann bei ihnen geradeswegs mit dem Unglück. (Ich hoffe, der Leser wird sich nicht so anstellen, als verstände er nicht sogleich, wovon ich rede.) Kurz, es begann bei ihnen ganz in gutsherrlicher Manier, obwohl Mademoiselle Saposhkowa übergangen war. Aber hier will ich mich verteidigen und von vornherein bemerken, daß ich mir ganz und gar nicht widerspreche. Denn wovon in aller Welt konnte damals ein solcher Mensch wie Wersilow mit einer solchen Person wie meiner Mutter reden, sogar im Fall unbändiger Liebe? Liederliche Menschen haben mir gesagt, daß der Mann, wenn er mit einer Frau zusammenkommt, sehr oft völlig stillschweigend beginnt, was natürlich der Gipfel der Ungeheuerlichkeit und Ekelhaftigkeit ist; dennoch hätte Wersilow, auch wenn er es gewollt hätte, mit meiner Mutter wohl nicht anders anfangen können. Konnte er etwa damit beginnen, ihr Polinka Sachs zu erklären? Und überdies wird der Sinn der beiden wohl gar nicht auf die russische Literatur gerichtet gewesen sein; vielmehr haben sie nach seiner eigenen Mitteilung (er redete einmal etwas offener) sich in den Winkeln versteckt, einander auf den Treppen erwartet und sind wie Bälle mit roten Gesichtern auseinandergefahren, wenn jemand vorbeikam, und der »despotische Gutsbesitzer« hat vor der niedrigsten Scheuermagd gezittert, trotz all seiner Rechte den Leibeigenen gegenüber. Aber wenn das Verhältnis auch in der bei Gutsherren üblichen Art begonnen hatte, so gestaltete es sich doch nachher ganz anders, und es läßt sich dafür im Grunde keine Erklärung geben. Die Sache erscheint einem sogar immer dunkler. Schon allein die zeitliche Ausdehnung, die die Liebe der beiden gewonnen hat, bildet ein Rätsel, denn die erste Voraussetzung bei solchen Menschen wie Wersilow ist doch die, daß sie das betreffende Weib sofort wieder verlassen können, sobald das Ziel erreicht ist. Aber hier kam es anders. Mit einer hübschen, leichtfertigen Gutsmagd zu sündigen (aber meine Mutter war nicht leichtfertig), das war für einen liederlichen »jungen Hund« (und sie waren alle liederlich, alle ohne Ausnahme, sowohl die Fortschrittler als auch die Reaktionäre) nicht nur etwas Erlaubtes, sondern geradezu ein Ding der Notwendigkeit, besonders in Anbetracht seiner romantischen Stellung als junger Witwer und seines müßiggängerischen Lebens. Aber sich für das ganze Leben zu verlieben, das war denn doch ein starkes Stück. Daß er sie wirklich so lange geliebt hat, dafür kann ich mich nicht verbürgen, aber daß er sie sein ganzes Leben lang mit sich herumschleppte, ist sicher.
Ich habe zwar nach vielem gefragt, aber ich muß bemerken, daß ich eine Frage, die wichtigste, nicht gewagt habe, meiner Mutter geradezu vorzulegen, obwohl ich ihr im vorigen Jahre so nahe gekommen bin und überdies als plumper, undankbarer junger Hund, in der Meinung, meine Eltern hätten mir gegenüber eine Schuld auf sich geladen, mit ihr nicht die geringsten Umstände machte. Die Frage war folgende: wie hatte sie, die schon ein halbes Jahr lang verheiratet war und noch ganz, gleich einer kraftlosen Fliege, im Banne der Vorstellungen von der Heiligkeit der Ehe stand, sie, die ihren Makar Iwanowitsch wie einen Gott verehrte, wie hatte sie in ganzen vierzehn Tagen sich bis zu einer solchen Sünde verlieren können? Meine Mutter war ja doch kein liederliches Frauenzimmer! Vielmehr will ich jetzt gleich vorausschicken, daß man sich eine reinere Seele, als sie auch nachher lebenslänglich gewesen ist, nur schwer vorstellen kann. Erklären kann man sich ihr Verhalten vielleicht damit, daß sie ohne Besinnung gehandelt hat, das heißt, nicht in dem Sinne, wie es heutzutage die Advokaten von ihren Mördern und Dieben behaupten, sondern unter der Einwirkung jenes starken Gefühls, das bei einer gewissen Herzenseinfalt des Opfers in verhängnisvoller, tragischer Weise zur Herrschaft gelangt. Wie kann man es wissen; vielleicht hat sie sich sterblich verliebt in... die Fasson seines Rockes, in seinen Pariser Scheitel, in seine französische Aussprache, obwohl sie von dieser Sprache keine Silbe verstand, in eine Romanze, die er zum Klavier sang, in irgend etwas, was sie noch nie gesehen und gehört hatte (und er hatte ein sehr schönes Äußeres), und sich dann gleichzeitig bis zur Bewußtlosigkeit in den ganzen Menschen verliebt mitsamt der Rockfasson und den Romanzen. Ich habe mir sagen lassen, daß das mit den Gutsmädchen zur Zeit der Leibeigenschaft manchmal vorgekommen ist, und gerade mit den anständigsten. Ich habe dafür Verständnis, und ein Schuft ist, wer das einzig aus der Leibeigenschaft und der »Unterwürfigkeit« erklären will! Also ist es doch möglich, daß dieser junge Mensch genug Verführerisches an sich hatte, um ein bis dahin so reines Wesen, und vor allen Dingen ein Wesen, das so ganz anders geartet war als er und aus einer ganz anderen Welt, einem ganz anderen Boden stammte, zu bezaubern und ins offene Verderben zu reißen. Denn daß sie ins Verderben gerissen war, das hat meine Mutter, wie ich hoffe, ihr lebelang eingesehen; nur als sie jenen Schritt tat, wird sie gar nicht an das Verderben gedacht haben; aber so geht es immer mit diesen »Schutzlosen«: sie wissen, daß es ihr Verderben ist, und springen doch hinein.
Nachdem die beiden ihre Sünde begangen hatten, beichteten sie sie sogleich. Er hat mir in geistvoller Art erzählt, daß er an der Schulter von Makar Iwanowitsch, den er eigens aus diesem Anlaß zu sich auf sein Zimmer habe kommen lassen, geschluchzt habe, und sie – sie lag in diesem Augenblick halb bewußtlos in ihrer ärmlichen Kammer...
Aber genug von solchen Fragen und häßlichen Einzelheiten! Nachdem Wersilow meine Mutter von Makar Iwanow losgekauft hatte, fuhr er alsbald weg und schleppte sie seitdem, wie ich schon oben geschrieben habe, beinahe überall mit sich herum, mit Ausnahme der Fälle, wo er für längere Zeit wegreiste; dann überließ er sie meistens der Obhut der Tante, das heißt der oben erwähnten Tatjana Pawlowna Prutkowa, die sich in solchen Fällen immer einstellte. So wohnten die beiden zusammen in Moskau, so wohnten sie zusammen auf verschiedenen anderen Gütern und in anderen Städten, sogar im Ausland und zuletzt in Petersburg. Von alledem will ich noch später reden, oder es ist auch nicht der Mühe wert. Ich will nur sagen, daß ich ein Jahr nach der Trennung von Makar Iwanowitsch zur Welt kam, noch ein Jahr später meine Schwester, und wieder zehn oder elf Jahre später ein kränklicher Knabe, mein jüngster Bruder, der nach einigen Monaten starb. Die bei der Geburt dieses Kindes ausgestandenen Qualen machten der Schönheit meiner Mutter ein Ende; so ist mir wenigstens erzählt worden: sie begann schnell zu altern und zu kränkeln.
Aber die Beziehungen zu Makar Iwanowitsch wurden doch nicht abgebrochen. Wo Wersilow und meine Mutter sich auch befanden, mochten sie nun ein paar Jahre an einem Ort wohnen oder umherreisen, Makar Iwanowitsch ließ unter allen Umständen »der Familie« Nachricht von sich zugehen. Es bildete sich ein sonderbares Verhältnis heraus, das zum Teil einen ganz feierlich-ernsten Charakter hatte. Im Leben der Herrschaften hätte ein solches Verhältnis zweifellos einen komischen Beigeschmack gehabt, das weiß ich; aber hier war das nicht der Fall. Briefe schickte er zweimal im Jahr, nicht öfter und nicht seltener, und diese Briefe waren sich untereinander außerordentlich ähnlich. Ich habe sie gesehen; sie enthalten sehr wenig Persönliches, sondern nach Möglichkeit nur feierliche Benachrichtigungen über ganz universelle Ereignisse und feierliche Bekundungen ganz universeller Empfindungen, wenn man sich so über Empfindungen ausdrücken kann: Benachrichtigungen in erster Linie von seinem Gesundheitszustand, dann Erkundigungen nach dem Gesundheitszustand der Empfänger, darauf gute Wünsche,