Ein Kind unserer Zeit. Ödön von Horváth

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Ein Kind unserer Zeit - Ödön von Horváth

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uns aus dem Kopf!«

      Und ich verjagte sie aus meinem Kopf und auch aus meinem Herzen, denn jeder Mensch hat seinen Stolz. Auch ein arbeitsloser Hund.

      Raus mit euch, ihr niederträchtigen Räder, Pressen, Kolben, Transmissionen! Raus!

      Und ich wurde der Wohltätigkeit überwiesen, zuerst der staatlichen, dann der privaten –

      Da stand ich in einer langen Schlange und wartete auf einen Teller Suppe. Vor einem Klostertor.

      Auf dem Kirchendach standen sechs steinerne Figuren. Sechs Heilige. Fünf Männer und ein Weib.

      Ich löffelte die Suppe.

      Der Schnee fiel und die Heiligen hatten hohe weiße Hüte.

      Ich hatte keinen Hut und wartete auf den Tau.

      Die Sonne wurde länger und die Stürme wärmer –

      Ich löffelte die Suppe.

      Gestern sah ichs wieder, das erste Grün.

      Die Bäume blühen und die Frauen werden durchsichtig.

      Auch ich bin durchsichtig geworden.

      Denn mein Rock ist hin und meiner Hose gings ebenso –

      Man weicht mir fast schon aus.

      Viele Ideen gehen durch meinen Kopf, kreuz und quer.

      Mit jedem Löffel Suppe werden sie ekelhafter.

      Plötzlich hör ich auf.

      Ich stell das Blech auf den steinernen Boden, es ist noch halb voll und mein Magen knurrt, aber ich mag nicht mehr.

      Ich mag nicht mehr!

      Die sechs Heiligen auf dem Dache blicken in die blaue Luft.

      Nein, ich mag sie nicht mehr, meine Suppe! Tag für Tag dasselbe Wasser! Mir wirds schon übel, wenn ichs nur seh, diese Bettelbrüh!

      Schütt sie aus, deine Suppe!

      Weg! In den Dreck damit! –

      Die Heiligen auf dem Dache schauen mich vorwurfsvoll an.

      Glotzt nicht dort droben, helft mir lieber da drunten!

      Ich brauch einen neuen Rock, eine ganze Hose – eine andere Suppe!

      Abwechslung, Herrschaften! Abwechslung!

      Lieber stehlen als betteln!

      Und so dachten auch viele andere von unserer Schlange, ältere und jüngere – es waren nicht die schlechtesten.

      Ja, wir haben viel gestohlen, meist warens dringende Lebensmittel. Aber auch Tabak und Zigaretten, Bier und Wein.

      Meist besuchten wir die Schrebergärten. Wenn der Winter nahte und die glücklichen Besitzer daheim in der warmen Küche saßen.

      Zweimal wurde ich fast erwischt, einmal bei einer Badehütte.

      Aber ich entkam unerkannt.

      Über das Eis, im letzten Moment.

      Wenn mich der Kriminaler erreicht hätt, dann war ich jetzt vorbestraft. Aber das Eis war mir gut, er flog der Länge nach hin.

      Und meine Papiere blieben lilienweiß.

      Kein Schatten der Vergangenheit fällt auf meine Dokumente.

      Ich bin doch auch ein anständiger Mensch und es war ja nur die Hoffnungslosigkeit meiner Lage, daß ich so schwankte wie das Schilf im Winde – sechs trübe Jahre lang. Die Ebene wurde immer schiefer und das Herz immer trauriger. Ja, ich war schon sehr verbittert.

      Aber heut bin ich wieder froh!

      Denn heute weiß ichs, wo ich hingehör.

      Heut kenn ich keine Angst mehr, ob ich morgen fressen werde. Und wenn die Stiefel hin sind, werden sie geflickt, und wenn der Anzug hin ist, krieg ich einen neuen, und wenn der Winter kommt, werden wir Mäntel bekommen.

      Große warme Mäntel. Ich hab sie schon gesehen.

      Das Eis braucht mir nicht mehr gut zu sein!

      Jetzt ist alles fest.

      Endlich in Ordnung.

      Adieu, ihr täglichen Sorgen!

      Jetzt ist immer einer neben dir.

      Rechts und links, Tag und Nacht.

      »Angetreten!« tönt das Kommando.

      Wir treten an, in Reih und Glied.

      Mitten auf dem Kasernenhof.

      Und die Kaserne ist so groß wie eine ganze Stadt, man kann sie auf einmal gar nicht sehen. Wir sind Infanterie mit leichten und schweren Maschinengewehren und nur zum Teil erst motorisiert. Ich bin noch unmotorisiert.

      Der Hauptmann schreitet unsere Front ab, wir folgen ihm mit den Blicken, und wenn er beim dritten vorbei ist, schauen wir wieder vor uns hin. Stramm und starr. So haben wirs gelernt.

      Ordnung muß sein!

      Wir lieben die Disziplin.

      Sie ist für uns ein Paradies nach all der Unsicherheit unserer arbeitslosen Jugend –

      Wir lieben auch den Hauptmann.

      Er ist ein feiner Mann, gerecht und streng, ein idealer Vater.

      Langsam schreitet er uns ab, jeden Tag, und schaut nach, ob alles stimmt. Nicht nur, ob die Knöpfe geputzt sind nein, er schaut durch die Ausrüstung hindurch in unsere Seelen. Das fühlen wir alle.

      Er lächelt selten und lachen hat ihn noch keiner gesehen. Manchmal tut er uns fast leid, aber man kann ihm nichts vormachen. Wie er möchten wir gerne sein. Wir alle.

      Da ist unser Oberleutnant ein ganz anderes Kaliber. Er ist zwar auch gerecht, aber oft wird er schon furchtbar jähzornig und brüllt einen an wegen der geringsten Kleinigkeit oder wegen nichts und wieder nichts. Aber wir sind ihm nicht bös, er ist halt sehr nervös, weil er vollständig überarbeitet ist. Er möcht nämlich in den Generalstab hinein und da lernt er Tag und Nacht. Immer steht er mit einem Buch in der Hand und liest sein Zeug.

      Neben ihm ist unser Leutnant nur ein junger Hund. Er ist kaum älter als wir, also auch so zirka zweiundzwanzig. Er möcht zwar oft auch gern brüllen, aber er traut sich nicht recht. Trotzdem haben wir ihn gern, denn er ist ein fabelhafter Sportsmann, unser bester Sprinter. Er läuft einen prächtigen Stil.

      Überhaupt hat das Militär eine starke Ähnlichkeit mit dem Sport.

      Man möcht fast sagen: es ist der schönste Sport, denn hier gehts nicht nur um den Rekord. Hier gehts um mehr. Um das Vaterland.

      Es

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