Charles Finch: Gedächtnisverlust. Thomas Riedel

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Charles Finch: Gedächtnisverlust - Thomas Riedel

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       Charles Finch:

       Gedächtnisverlust

      Kriminalroman

      Thomas Riedel

      Bibliografische Information durch

      die Deutsche Nationalbibliothek:

      Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation

      in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte

      bibliografische Daten sind im Internet über

      http://dnb.de abrufbar

       1. Auflage

      Covergestaltung: © 2018 Thomas Riedel

      Coverfoto: © 2018 @ ysbrand, Depositphotos, ID 54034965

       Impressum

      Copyright: © 2018 Thomas Riedel

      Druck und Verlag: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

      »Wenn du nicht all deine Bücher lesen kannst,

      dann nehme sie wenigstens in die Hand,

      streichle ein wenig über sie, schau' etwas hinein,

      lasse sie irgendwo auffallen und lese die ersten Sätze,

      auf die dein Auge fällt, stelle sie selbst aufs Bord zurück,

      ordne sie nach deinen Vorstellungen so,

      dass du wenigstens weiß, wo sie sind.

      Lass' sie deine Freunde sein;

      Lasse sie auf alle Fälle deine Bekanten sein.«

      Winston Churchill (1874-1965)

       »Das Gedächtnis ist das Tagebuch,

       das wir immer mit uns herumtragen.«

      Oscar Wilde

      (1854-1900)

       1

      Barking, England, 1888

      Zu Lebzeiten war das ehemalige Mitglied des ›House of Lords‹, ein Mann von großer Bedeutung. Jetzt, wo Cameron Whiteman tot war, stieg diese Beteutung in unermessliche Höhen. Von seinen Freunden wurde er als ein großer liberaler Politiker und Mensch gepriesen – als ein Mann, der das Weltgeschehen vielleicht besser im Griff hatte als jeder andere im britischen Empire. Seine Karriere im Oberhaus des britischen Parlaments bekam einen Charakter der Robustheit und Kraft. Die Bücher und Artikel, die er seit seinem Abschied geschrieben hatte, wurden von Fachleuten als Dokumente angesehen, die Teil der britischen Geschichte werden könnten. Er wurde zu einem Staatsmann erhoben – zu einem Mann, an den man sich schon allein seiner immerwährenden Wohltätigkeit erinnern würde – zu einem Mann der Oberschicht, und doch zu einem, der nie den Bezug zum einfachen Volk verloren hatte.

      In der Nacht, in der Cameron Whiteman starb, sprach sein Sohn ein paar Worte, über die die Leute nur verständnislos den Kopf schüttelten. Schnell machte es die Runde, wie schwer das Kreuz war, dass Whiteman seinetwegen ein Leben lang mit sich herumgetragen hatte. Sein Sohn hatte in seinem ganzen Leben noch nie wirklich etwas gemacht, abgesehen von einer ›Karriere‹, die von immerwährenden Exzessen geprägt und vor allem durch reichlich Alkohol gekennzeichnet war.

      Spät in der Nacht, in der Cameron Whiteman starb, saß Joseph in der Bibliothek seines Vaters. Sein fahles, maskenhaftes Gesicht hatte eine fast grünliche Farbe, und der feine Zug, der seine dünnen Lippen umspielte, war nicht mehr als der Spott eines Lächelns. Er hob seinen sechsten zweifingerbreiten Whisky in Folge an, mit der Geste eines Mannes, der einen Toast ausbringen wollte. Dabei sprach er laut, obwohl sich außer ihm niemand im Raum befand: »Der König ist tot! … Jetzt kann vielleicht jemand anderes leben!«

      Er wusste nicht, dass vor der Tür zur Bibliothek ein in Zivil gekleideter Beamter von Scotland Yard jedes Wort akribisch in seinem kleinen Notizbuch niederschrieb.

      *

      Gegenüber der Bibliothek befand sich ein kleiner, mit Büchern angefüllter Raum, der Cameron Whiteman als Arbeitszimmer gedient hatte. Die Bücherregale, die erst mit der hohen Zimmerdecke abschlossen, waren mit in Kalbsleder gebundenen Gesetzesbüchern, Werken der Politik, Psychologie und Kriminologie beladen. In einem speziellen Regal, das vom großen dunkelbraunen Ledersessel aus leicht zu erreichen war, fanden sich die eigenen Schriften des ehemaligen Mitgliedes des Oberhauses. In der Mitte des Zimmers stand ein riesiger Schreibtisch, umringt vom Sessel und zwei Stühlen, auf dem eine messingfarbene Leselampe stand.

      Diese moderne elektrische Lampe war durch diverse Gelenke verstellbar, und wurde jetzt so gedreht, dass sie das Gesicht des Mannes erleuchtete, der im Ledersessel hinter dem Schreibtisch saß. Es war ein großer, hagerer Mann kurz vor seinen Vierzigern, mit tiefen Linien an den Mundwinkeln und dunkelblauen Augen. Sein Blick wirkte wie der eines in die Enge getriebenen wilden Tieres. Sein Gesicht wirkte farblos. Er setzte sich im Sessel ein wenig nach vorne und packte die Lehne mit langen, gespreizten Fingern – gerade so, als ob er erwartete, dass der Sessel plötzlich nach hinten umkippen würde und er selbst dabei in Vergessenheit geriet.

      Außerhalb des Lichtkreises hatte sich ein Mann auf der Armlehne eines Stuhls niedergelassen. Er war mäßig groß, von dünner Statur, mit einem eiförmigen Kopf und dunklen Augen, die glitzerten, wenn sie ein Lichtstrahl traf. Er war ein starker Raucher, wie der neben ihm stehende Aschenbecher zeigte, der bis zum Überlaufen gefüllt war. »Fangen wir also noch einmal von vorne an, Mr. Steel«, knurrte er unzufrieden.

      Der Mann im Lichtkegel befeuchtete unruhig seine Lippen. »Es tut mir leid, Sir, wirklich«, erwiderte er mit verzweifelter Stimme, »aber mein Name ist nicht Steel.«

      »Wie heißen Sie dann?«

      Der Mann senkte den Kopf. »Ich … ich weiß es nicht … Ich fürchte, ich bin sehr verwirrt.«

      »Ich schlage vor, Sie fangen jetzt endlich an zu reden,« forderte ihn der Kettenraucher auf. »Sagen Sie mir alles, was Sie wissen.«

      Der Mann hob seine Augen – Augen, die eindeutig um Hilfe baten. »Ich sage Ihnen, ich … fühle mich wie in einer Nussschale auf offener See ... Da war eine Stimme in mir, die mir sagte, ich solle in einem fremden Garten spazierengehen … und eine Frau, die ich in meinem Leben nie zuvor gesehen habe, nannte mich immerzu ›Dustin‹. Ich fühlte …« Er stockte und schluckte schwer.

      »Sprechen Sie weiter, Mr. Steel.«

      »Ich sagte Ihnen doch schon: Mein Name ist nicht Steel! Ich heiße nicht Dustin Steel! … Auch wenn mich hier alle so nennen. Ich weiß nicht warum. Wie oft muss ich noch beteuern, dass ich von den Menschen hier niemanden kenne?«

      »Das man Sie so nennt liegt vermutlich daran, dass Sie sich mit dem Namen vorgestellt haben und bereits seit mehr als drei Monaten in dem kleinen Häuschen im Garten leben. Meinen

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