Maria Stuart. Stefan Zweig

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Maria Stuart - Stefan Zweig

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unentfalteten Körper, nach ihrer ahnungslosen Seele. Denn das ist Maria Stuarts Verhängnis, ewig gebannt zu sein in dieses rechnerische Spiel. Nie wird ihr gegönnt sein, ihr Ich, ihr Selbst unbekümmert auszuwirken, immer wird sie verstrickt bleiben in Politik, Objekt der Diplomatie, Spielball fremder Wünsche, immer nur Königin, Kronanwärterin, Verbündete oder Feindin sein. Kaum hat der Bote die beiden Nachrichten gemeinsam nach London gebracht, daß James V. gestorben und seine neugeborene Tochter Erbin und Königin von Schottland sei, so beschließt Heinrich VIII. von England, für seinen unmündigen Sohn und Erben Eduard eiligst um diese kostbare Braut zu werben; über einen noch unfertigen Körper, über eine noch schlafende Seele wird wie über eine Ware verfügt. Aber Politik rechnet niemals mit Gefühlen, sondern mit Kronen, Ländern und Erbrechten. Der einzelne Mensch ist für sie nicht vorhanden, er zählt nicht gegenüber den sichtlichen und sachlichen Werten des Weltspiels. In diesem besonderen Falle ist allerdings der Gedanke Heinrichs VIII., die Thronerbin Schottlands mit dem Thronerben Englands zu verloben, ein vernünftiger und sogar ein humaner. Denn längst schon hat dieser unablässige Krieg zwischen den Bruderländern keinen Sinn mehr. Auf derselben Insel im Weltmeer wohnhaft, vom selben Meere umschirmt und umstürmt, verwandter Rasse und ähnlich in den Lebensbedingungen, ist den Völkern Englands und Schottlands zweifellos eine einzige Aufgabe gesetzt: sich zu vereinigen; sinnfällig hat die Natur hier ihren Willen ausgesprochen. Nur die Eifersucht der beiden Dynastien, der Tudors und der Stuarts, steht diesem letzten Ziel noch hemmend entgegen; gelingt es aber nun, durch eine Heirat den Widerstreit der beiden Herrscherhäuser in Bindung zu verwandeln, so können die gemeinsamen Nachkommen der Stuarts und der Tudors zugleich Könige von England und Schottland und Irland sein, ein geeintes Großbritannien kann in den höheren Kampf eintreten: in das Ringen um die Oberherrschaft der Welt.

      Aber Verhängnis: immer wenn in der Politik ausnahmsweise eine klare und logische Idee in Erscheinung tritt, wird sie durch törichte Ausführung verdorben. Im Anfang scheint alles trefflich zu glücken. Die Lords, denen rasch Geld in die Taschen geschoben wird, stimmen freudig dem Ehevertrag zu. Doch ein bloßes Pergament genügt dem gewitzten Heinrich VIII. nicht. Zu oft hat er die Heuchelei und Habgier dieser Ehrenmänner erprobt, um nicht zu wissen, daß diese Unzuverlässigen ein Vertrag niemals bindet und daß sie bei höherem Angebot sofort bereit sein werden, die Kindkönigin an den französischen Thronerben zu verschachern. Darum fordert er von den schottischen Unterhändlern als erste Bedingung die sofortige Aushändigung des unmündigen Kindes nach England. Aber wenn die Tudors mißtrauisch gegen die Stuarts, so sind es die Stuarts nicht minder gegen die Tudors, und besonders die Mutter Maria Stuarts wehrt sich gegen diesen Vertrag. Als eine Guise streng katholisch erzogen, will sie ihr Kind nicht ketzerischem Irrglauben ausliefern, und auch sonst hat sie nicht große Mühe, in dem Vertrag eine gefährliche Fußangel zu entdecken. Denn in einem geheimen Artikel haben sich die von Heinrich VIII. bestochenen schottischen Unterhändler verpflichtet, falls das Kind vorzeitig sterben sollte, dahin zu wirken, daß desungeachtet »die ganze Herrschaft und der Besitz des Königreichs« an Heinrich VIII. fallen solle: und dieser Punkt ist bedenklich. Denn von einem Manne, der bereits zweien seiner Frauen das Haupt auf den Block gelegt hat, kann man allenfalls erwarten, daß er, um rascher ein so wichtiges Erbe anzutreten, den Tod dieses Kindes vielleicht etwas vorzeitig und nicht ganz natürlich gestalten könnte; so weist die Königin als sorgliche Mutter die Auslieferung ihrer Tochter nach London ab. Nun wird aus der Brautwerbung beinahe ein Krieg. Heinrich VIII. schickt Truppen aus, um sich mit Gewalt des kostbaren Pfandes zu bemächtigen, und von der nackten Brutalität jenes Jahrhunderts gibt sein Befehl an die Armee ein grausames Bild. »Es ist der Wille Seiner Majestät, daß alles mit Feuer und Schwert ausgetilgt werde. Brennt Edinburgh nieder und macht es der Erde gleich, sobald ihr alles, was ihr könnt, daraus geholt und geplündert habt ... plündert Holyrood und so viele Städte und Dörfer um Edinburgh, als ihr vermögt, plündert und verbrennt und unterwerft Leith und alle anderen Städte, rottet Männer, Frauen und Kinder ohne Schonung aus, wo immer Widerstand geleistet wird.« Wie eine Hunnenschar brechen Heinrichs VIII. bewaffnete Banden über die Grenzen. Aber im letzten Augenblick werden Mutter und Kind auf das feste Schloß von Stirling in Sicherheit gebracht, und Heinrich VIII. muß sich mit einem Vertrag begnügen, in dem sich Schottland verpflichtet, Maria Stuart (immer wird sie wie ein Objekt verhandelt und verkauft) an dem Tage, da sie ihr zehntes Lebensjahr erreicht, nach England auszuliefern.

      Abermals scheint alles auf das glücklichste geordnet. Aber Politik ist allezeit die Wissenschaft des Widersinns. Ihr widerstreben die einfachen, die natürlichen, die vernunftmäßigen Lösungen; Schwierigkeiten sind ihre liebste Lust, Zwist ist ihr Element. Bald beginnt die katholische Partei mit verdeckten Machenschaften, ob man das Kind – noch kann es nichts als lallen und lächeln – nicht doch lieber an den französischen Königssohn verschachern solle statt an den englischen, und als Heinrich VIII. stirbt, ist die Neigung, den Vertrag einzuhalten, bereits sehr gering. Jetzt aber fordert für den unmündigen König Eduard der englische Regent Somerset die Auslieferung der Kindbraut nach London, und wie Schottland Widerstand leistet, läßt er eine Armee vorrücken, damit die Lords die einzige Sprache vernehmen, die sie achten: die Gewalt. Am 10. September 1547 wird in der Schlacht – oder vielmehr Schlächterei – von Pinkie Cleugh die schottische Macht zerschmettert, mehr als zehntausend Tote bedecken das Feld. Noch hat Maria Stuart ihr fünftes Lebensjahr nicht erreicht, und schon ist um ihretwillen Blut in Strömen geflossen.

      Wehrlos liegt jetzt Schottland den Engländern offen. Aber in dem ausgeplünderten Land ist wenig mehr zu rauben; für die Tudors enthält es eigentlich nur eine einzige Kostbarkeit: dieses Kind, das in sich selbst die Krone und das Kronrecht verkörpert. Doch zur Verzweiflung der englischen Spione ist Maria Stuart plötzlich spurlos aus dem Schlosse von Stirling verschwunden; niemand auch im vertrautesten Kreise weiß, wo die Königinmutter sie versteckt hält. Denn das schützende Nest ist unübertrefflich gut gewählt: bei Nacht und in größter Heimlichkeit hat man durch ganz sichere Diener das Kind in das Kloster Inchmahome bringen lassen, das auf einer kleinen Insel im See von Menteith, »dans le pays des sauvages«, wie der französische Botschafter berichtet, unwegsam verborgen liegt. Kein Steg führt zu dieser romantischen Stätte: mit einem Boot muß man die kostbare Fracht zum Inselufer hinübersetzen, und hier halten Fromme Hut, die selber niemals das Kloster verlassen. Dort, in völliger Verborgenheit, abgeschieden von der aufgeregten und unruhigen Welt, lebt das unwissende Kind im Schatten der Geschehnisse, während über Länder und Meere die Diplomatie geschäftig sein Schicksal webt. Denn Frankreich ist inzwischen drohend auf den Schauplatz getreten, um die völlige Unterjochung Schottlands durch England zu verhindern. Heinrich II., der Sohn Franz' I., sendet eine starke Flotte aus, und in seinem Namen wirbt der Generalleutnant des französischen Hilfskorps um die Hand Maria Stuarts für seinen Sohn und Thronerben Franz. Über Nacht ist das Schicksal dieses Kindes umgesprungen dank des politischen Windes, der scharf und kriegerisch über den Kanal stürmt: statt zur Königin von England ist die kleine Stuartstochter mit einmal zur Königin Frankreichs ausersehen. Kaum ist dieser neue und vorteilhaftere Handel gültig abgeschlossen, so wird am 7. August das kostbare Objekt dieses Schachers, das Kind Maria Stuart, fünf Jahre und acht Monate alt, nach Frankreich verpackt und verschickt, einem andern und ebenso unbekannten Gemahl für Lebenszeit verkauft. Abermals und nicht zum letztenmal formt und verwandelt fremder Wille ihr Schicksal.

      Ahnungslosigkeit ist die Gnade der Kindheit. Was weiß ein dreijähriges, ein vierjähriges, ein fünfjähriges Kind von Krieg und Frieden, von Schlachten und Verträgen? Was sind ihm Namen wie Frankreich und England, wie Eduard und François, was all dieser wilde Wahn der Welt? Mit flatternden blonden Haaren läuft und spielt ein schlankbeiniges kleines Mädchen in den finsteren und hellen Räumen eines Schlosses, vier gleichaltrige Freundinnen zur Seite. Denn – ein reizender Gedanke inmitten einer barbarischen Zeit – von Anfang an hat man ihr vier gleichaltrige Gespielinnen mitgegeben, gewählt aus den vornehmsten Familien Schottlands, das Kleeblatt der vier Marys, Mary Fleming, Mary Beaton, Mary Livingstone und Mary Seton. Kinder, sind sie heute des Kindes lustige Gespielinnen, morgen werden sie Kameradinnen in der Fremde sein, damit ihr die Fremde nicht so fremd erscheine, später werden sie ihre Hofdamen werden und in zärtlicher Stimmung den Eid ablegen, nicht früher in den Ehestand zu treten, ehe sie nicht selber einen Gatten gewählt. Und wenn dann die drei andern im Unglück von ihr abfallen, eine wird sie weiter begleiten in das Exil

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