Maria Stuart. Stefan Zweig
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Chastelard stirbt, wie es sich an dem Hof einer romantischen Königin ziemt, einen tadellosen Tod. Er weist jeden priesterlichen Beistand zurück, nur die Dichtung soll ihn trösten und das Bewußtsein, daß
»Mon malheur déplorable
Soit sur moy immortel«.
Aufrecht schreitet der tapfere Troubadour zur Richtstätte, und statt Psalm und Gebet rezitiert er laut auf dem Wege die berühmte »Epitre à la mort« seines Freundes Ronsard:
»Je te salue, heureuse et profitable Mort
Des extrêmes douleurs médicin et confort.«
Vor dem Block hebt er noch einmal das Haupt zu einem Anruf, der mehr ein Seufzer ist als Anklage: »O cruelle dame«, dann beugt er sich gefaßt nieder, um den mörderischen Hieb zu empfangen. Dieser Romantiker stirbt im Stil einer Ballade, eines Gedichts.
Aber dieser unselige Chastelard ist nur ein einzelner aus einer dunklen Schar, er ist bloß der erste, der für Maria Stuart stirbt, er geht nur den anderen voran. Mit ihm beginnt der gespenstige Totentanz all derer, die für diese Frau zum Richtblock schreiten, von ihrem Schicksal angezogen und sie selbst mitziehend in das eigene Schicksal. Aus allen Ländern kommen sie, wie bei Holbein schleifen sie sich hinter der schwarzen beinernen Trommel willenlos heran, Schritt für Schritt, Jahr für Jahr, Fürsten und Regenten, Grafen und Edelleute, Priester und Krieger, Jünglinge und Greise, alle sich für sie opfernd, alle für sie geopfert, die unschuldig schuldig ist an ihrem finstern Gang und ihn selber zur Sühne beschließt. Selten hat das Schicksal so viel Todesmagie in eine Frauengestalt getan: wie ein dunkler Magnet zieht sie auf das gefährlichste alle Männer ihrer Umwelt in verhängnisvolle Bahn. Wer ihren Weg kreuzt, gleichgültig ob in Gunst oder Ungunst, ist dem Unheil verfallen und gewaltsamem Tod. Es hat niemandem Glück gebracht, Maria Stuart zu hassen. Und noch schwerer haben jene gebüßt, die es wagten, sie zu lieben.
Nur scheinbar ist darum diese Episode Chastelards ein Zufall, ein bloßer Zwischenfall: zum erstenmal enthüllt sich hier – ohne daß sie es gleich verstünde – das Gesetz ihres Schicksals, daß es ihr nie ungestraft erlaubt sein soll, lässig, leicht und vertrauensvoll zu sein. Von der ersten Stunde an ist ihr Leben so eingestellt, daß sie eine repräsentative Gestalt darstellen muß, Königin, immer und immer nur Königin, öffentlicher Charakter, Spielball im Weltspiel, und was anfangs Gnade schien: ihre frühe Krönung, ihr zugeborener Rang, ist eigentlich Fluch. Denn immer, wenn sie versucht, sich selbst zu gehören, nur ihrer Laune, ihrer Liebe, ihren wahren Neigungen zu leben, wird sie fürchterlich für ihr Versäumnis gestraft. Chastelard ist nur die erste Warnung. Nach einer Kindheit ohne Kindsein hatte sie in der schmalen Zwischenzeit, ehe man zum zweitenmal, zum drittenmal ihren Leib, ihr Leben an irgendeinen fremden Mann gegen irgendeine Krone verhandelt, versucht, ein paar Monate nichts anderes als jung und sorglos zu sein, nur zu atmen, nur zu leben und sich zu freuen: da reißen sie harte Hände aus dem leichten Spiel. Beunruhigt durch den Vorfall, drängen jetzt der Regent, das Parlament, die Lords zu neuer Heirat. Maria Stuart soll einen Gatten wählen: selbstverständlich nicht einen, der ihr gefällt, sondern einen, der die Macht und Sicherheit des Landes mehrt. Die längst eingeleiteten Verhandlungen werden scharf beschleunigt, denn eine Art Angst ist über die Verantwortlichen gekommen, diese unbedachte Frau könnte am Ende mit einer neuerlichen Torheit ihren Ruf und Anwert völlig zerstören. Abermals beginnt der Schacher auf dem Heiratsmarkt: Maria Stuart wird wieder zurückgedrängt in den Bannkreis der Politik, der ihr Schicksal von der ersten bis zur letzten Stunde unerbittlich umschließt. Und immer, wenn sie diesen kalten Ring um ihr warmes wirkliches Leben für einen Atemzug zu zerbrechen sucht, zerbricht sie fremdes und ihr eigenes Geschick.
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