Tattoo. Andreas Richter

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Tattoo - Andreas Richter

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und rieb damit über den Arm bis die Haut schmerzte, doch außer, dass sie durch die Reibung leicht rot wurde, passierte nichts.

      Lars wurde schwindelig. Er setzte sich auf den WC-Sitz, schloss die Augen und mahnte sich zur Ruhe. Es musste der innere Stress sein, vermutlich setzte ihm der Druck der anstehenden Präsentation zu. Er zählte stumm bis Zehn, dann öffnete er die Augen und blickte auf seinen Arm – und sah die Zeichnung. Ohne darüber nachzudenken, spuckte er drauf und rieb über die Farben. Nichts.

      »Es geht nicht ab«, sagte er verwundert. »Wieso geht es nicht ab?«

      Warum wohl nicht, warum wohl nicht?, fragte eine helle Knabenstimme in Lars' Kopf. Er hatte sie nie zuvor gehört.

      »Ich habe keine Ahnung«, murmelte Lars, während sich ein aberwitziger Gedanke durch seinen Kopf schob. Sein Herz schlug bis in den Hals hinein.

      Und, Larsi, und? Die Knabenstimme lachte hysterisch.

      »Weil ...« – Lars musste kräftig schlucken – »es vielleicht eine Tätowierung ist.« Staunend hörte er seinen Worten hinterher.

       Schlaukopf, Schlaukopf!

      »Aber wie kann das sein?« Er schüttelte fassungslos den Kopf. »Wie kommt ... eine Tätowierung auf meinen Arm?«

      Keine Antwort. Die helle Knabenstimme schwieg.

      ●

      Etwas war anders. Stimmte nicht. Es war nur ein Gefühl, doch dieses Gefühl war so stark, dass es zur Gewissheit wurde.

      Sie trat noch näher an den Spiegel heran und betrachtete ihr Gesicht. Die grünblauen Augen waren wie immer, mit der Ausnahme, dass sie nervös flackerten. Der Mund war wie immer, die Nase auch, und auch darüber hinaus entdeckte sie nichts Ungewöhnliches. Alles schien so zu sein wie immer, doch sie war fest davon überzeugt – nein, sie wusste – dass genau das nicht der Fall war.

      Es war nicht wie immer.

      Es war komplett anders.

      Sie schloss die Augen, hielt den Atem an und horchte in sich hinein. Nichts drückte oder pochte, nichts schmerzte, doch das war nichts weiter als eine falsche Fährte. Irgendwo in ihrem Körper steckte etwas und fraß sich gierig schmatzend voran. Es hatte einen Vorsprung herausgeholt, und möglicherweise war dieser Vorsprung bereits so groß, dass er sich nicht mehr aufholen ließ.

      Mit einem Mal verspürte sie blanke Angst. Ohne einen weiteren Gedanken riss sie ihre Pyjama-Bluse auf. Zwei Knöpfe flogen durch das Badezimmer, um gleich darauf mit hellem Pling! Pling! Pling! auf den Fliesen zu tanzen. Sie tastete ihre Brüste ab, doch sie fühlte weder einen Knoten noch etwas anderes, das ungewöhnlich war. Aber das war keine Entwarnung. Wenn dieses tückische Etwas nicht in ihrer Brust steckte, hatte es sich woanders verschanzt.

      Feige und hinterhältig.

      Die Lymphknoten – was war mit den Lymphknoten? Mit un-ruhigen Händen tastete sie erst hinter, dann unterhalb der Ohren. Nichts. Dann den Nacken und den Hals. Sie strich sich über den Unterkiefer und das Kinn, tastete die Achselhöhlen und die Leistengegend ab, doch sie fühlte nichts, was dort nicht hingehörte. Alles war wie immer – und zugleich war es das nicht. Etwas steckte in ihrem Körper und hatte den Plan geschmiedet, sie zu töten. Schnell oder langsam, gütig oder quälend. Der Tod kannte viele Wege des Näherkommens, doch am Ende hatte seine Fratze immer dieselbe kalte Endgültigkeit.

      »Freu' dich nicht zu früh«, zischte sie ihrem Spiegelbild entgegen und zog die Pyjama-Bluse resolut zusammen, ganz so, als stünde jemand vor ihr, der ihren blanken Busen nicht anzustarren habe. Sie spuckte gegen den Spiegel. Trotzig wie ein kleines Kind, dem kein besseres Mittel des Protestes einfiel. Und während sie nur in Slip und Pyjama-Bluse bekleidet dastand und der Speichel das Glas herablief, ratterte in ihrem Kopf das Vaterunser herunter. Ohne ihr Zutun, ohne ihr Wollen. Es geschah einfach so, und sie fragte sich staunend, weshalb. Sie erinnerte sich nicht, jemals aus tiefer Überzeugung gebetet zu haben, und nun betete sie das am meisten verbreitete Gebet des Christentums – oder vielmehr: Es betete in ihr.

      Wie ein natürlicher Reflex, dachte sie schaudernd.

      ●

      Lars stand im Badezimmer und in seinem Kopf herrschte ein heilloses Durcheinander. Wann war das hier endlich vorbei, wann rief Karla an und befreite ihn aus diesem irrsinnigen Traum? Doch er wusste nur allzu genau, dass dies die Wirklich-keit war, auch wenn sie ihm nie unwirklicher vorgekommen war als in diesem Moment.

      Die Präsentation, fuhr es ihm durch den Kopf, er musste sich fertigmachen.

      Irgendwie gelang es Lars, sich halbwegs aus der Starre zu befreien. Während er sich rasierte, fiel sein Blick immer wieder auf die Zeichnung auf dem Arm, und jedes Mal traute er seinen Augen kaum.

      Auch unter der Dusche konnten Wasser und Seife den Farben nichts anhaben. Minutenlang stand Lars unter dem Wasserstrahl, den Kopf gedankenleer gesenkt und die Hände gegen die Wand gedrückt. Als er schließlich aus der Dusche heraustrat, hing die Feuchtigkeit wie ein Schleier in der Luft und der Spiegel war beschlagen. Lars öffnete die Badezimmertür und sah zu dem Bett.

      War es möglich, dass ...? Nein, dachte Lars, vollkommen unmöglich. Niemand war während der vergangenen Nacht herein spaziert und hatte ihn seelenruhig tätowiert, während er tief und fest geschlafen hatte. Auf der anderen Seite wusste Lars mit absoluter Sicherheit, dass er die Tätowierung gestern Abend noch nicht gehabt hatte – also musste sie ihm während des Schlafens gestochen worden sein. Und dann war da noch etwas, das nicht passte, und zwar etwas ganz Entscheidendes. Denn obgleich Lars nicht wusste, wie es sich anfühlte, tätowiert zu werden, wusste er eines sehr wohl: Es dauerte einige Tage, bis die von der Tätowiernadel verletzte Haut wieder verheilt war.

      Und genau das war der Knackpunkt. Denn die Haut auf Lars' Arm war unversehrt.

      Fünfzehn Minuten später saß Lars im Frühstücksraum und starrte vor sich hin. Auf dem Tisch vor ihm stand ein Becher Kaffee. Um ihn herum herrschte gemäßigtes Treiben. Lars hörte das Klappern von Geschirr und Besteck, er vernahm Stimmen und sogar das Umschlagen von Zeitungsseiten, doch das alles schien weit entfernt zu sein.

      Ein Mann mit vollbeladenem Frühstücksteller in der Hand stieß ihn beim Vorbeigehen leicht an. Es riss Lars aus den kreisenden Gedanken heraus. Der Mann entschuldigte sich knapp und Lars akzeptierte mit einem kurzen Nicken. Er blickte auf die Uhr. Es wurde Zeit.

      Er stand auf und kehrte in das Hotelzimmer zurück. Mit schnellen Griffen stopfte er seine Sachen in die Reisetasche, zog den Mantel über und schnappte sich den Pilotenkoffer mit Trolly, in dem er den Laptop und die Unterlagen für die Präsentation verstaut hatte. Dann atmete er tief durch und sagte vor sich hin: »Lars Benthien, du hast eine wichtige Präsentation vor der Brust und willst diesen Auftrag unbedingt haben. Du und deine Mannschaft, ihr habt dafür geackert wie die Wahnsinnigen, und es geht um eine Menge Kohle. Du fährst da jetzt hin und tütest den Auftrag ein. Keine Gedanken an andere Dinge, du konzentrierst dich nur auf deinen Job, nichts anderes zählt.«

      Lars verließ das Zimmer und marschierte zur Rezeption. Er checkte aus, unterschrieb die Kreditkartenabrechnung und bat Karla, ihm ein Taxi zu rufen. Dann setzte er sich auf einen der Sessel im Foyer und wartete.

      Während der gesamten Präsentation war Lars vollkommen fokussiert. Es war, als würden ihm alle Antworten auf die gestellten Fragen der sechs Unternehmensvertreter ins Ohr geflüstert. Er war getragen von absoluter Sicherheit,

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