Beutezug. Sarah L. R. Schneiter

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Beutezug - Sarah L. R. Schneiter

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ergänzte die kleine, offenbar angetrunkene Frau im Blumenkleid, als sie ihren von einer braunen Lockenpracht bedeckten Kopf an die Schulter ihres Gefährten lehnte. „Das schreiben ständig alle falsch.“

      Nani verkniff sich ihre Reaktion, es gelang ihr tatsächlich, eine ernsthafte Miene bei der Sache zu behalten. Natürlich hätte sie sich gerne vorgemacht, dass sie ihr Gelächter nur aus Höflichkeit unterdrückte, doch die Wahrheit war bedeutend pragmatischer: Sie wollte sich nicht an der gebratenen Banane verschlucken.

      „Also, jetzt da wir alle einander kennen, können wir uns die Euphemismen sparen“, kommentierte Se-Jin trocken, deutete erst auf Nani und spekulierte „Berufsverbrecherin“, dann auf sich, „Hacker“ und zuletzt auf die Verliebten, „offensichtlich alles andere als reich.“

      „Hey“, protestierte Kate-Lynn, brach aber sogleich in unkontrolliertes Kichern aus. „Na ja, der Cyborg-Punk hat Recht.“

      „Dafür sind deine Locken so wunderbar süß“, flötete Jafari, mit ihrem Haar spielend. Nani verlor endgültig die Zurückhaltung, verschluckte sich, hustete unkontrolliert und griff nach ihrem Wasserglas. Noch während Susan „Geht’s?“ fragte, beschwerte sich Se-Jin nur halb im Scherz: „Ich bin kein Cyborg, weißt du, was bioelektronische Implantate kosten? Außerdem sind die meisten Cyborgs richtig selbstabsorbierte Freaks ohne Bezug zur Realität, die sich eher mit einem Computer als einem Menschen anfreunden. Das wäre mir zu anstrengend.“

      Nani, die sich eben erst beruhigt hatte, grölte gleich wieder los, brauchte diesmal mehrere Sekunden, bevor sie zu Atem kam. Auf die fragenden Blicke der Glücksritter der Tafelrunde erklärte sie schließlich mit puterrotem Kopf: „Ich treffe mich auf Deru mit einer Kollegin, die ein Cyborg ist und du hättest sie kaum besser beschreiben können!“

      „Ich fasse es nicht“, murmelte Se-Jin auf Nani deutend. „Dieses Badass von einer Kampfgöre kann tatsächlich richtig Party machen.“

      „Bevor wir jetzt hier über die Bots ablästern, möchte ich die Gelegenheit wahrnehmen, einen Toast anzubringen“, unterbrach Marcus das Geplänkel und hob sein Weinglas. „Mögen wir jeden Tag so leben, als wäre er unser letzter!“

      Nani zögerte einen Moment, ehe sie mit anstieß; auch wenn sie viele Cyborgs für verrückt hielt, fand sie den normalerweise als Beleidigung verwendeten Begriff „Bots“ etwas gar despektierlich. Schließlich siegte jedoch ihre Absicht, sich mit Marcus gutzustellen über den Impuls, die abwesende Kameradin zu verteidigen. „Auf ein langes Leben“, stimmte sie ein.

      „Unterschätz nie die Cyborgs“, ermahnte Se-Jin. „Ich denke, dass sie die Zukunft sind, man erzählt sich ja immer wieder spannende Geschichten.“

      „Was für Geschichten?“, wollte Jafari sogleich wissen, sehr zum Unmut von Marcus, der offenbar nicht viel von Menschen mit bioelektronischen Computerimplantaten hielt.

      Der Hacker senkte seine Stimme, um die nötige Dramatik aufzubauen: „Habt ihr schon von der ‚Büchse der Pandora‘ gehört?“

      Kopfschütteln und Verneinungen, zur offensichtlichen Freude des jungen Mannes, gar Marcus’ Interesse schien nun geweckt zu sein. Verschwörerisch fuhr er fort: „Man erzählt sich, sie sei eine künstliche Intelligenz, darauf ausgelegt, das ganze ComNet zu kontrollieren, eine Cyber-Superwaffe, sozusagen. Eines Tages wurde sie von einem in sie verliebten Cyborg gestohlen und befreit.“ Dramatische Pause, gepaart mit der zuversichtlichen Mine des Erzählers. „Jetzt ist sie verschmolzen mit dem menschlichen Verstand des Cyborgs, nicht mehr an einen Ort oder ein Gerät gebunden, lebt im ganzen ComNet, absorbiert jedes Fitzelchen Information, liest, hört, sieht jede unserer Nachrichten, kann auf jedes Gerät zugreifen, die Bilder jeder Kamera sehen, jedes Hexbyte von jedem Chip lesen. Niemand weiß, was sie im Schilde führt, zu was sie fähig ist …“

      „Spar dir die Schauermärchen für in ein paar Tagen, wenn Halloween ist“, warf Ramon belustigt ein. Er hob sein volles Glas und kippte es in einem Zug hinunter. „Wir leben noch immer in der Realität, Junge!“

      „Eigentlich sind sie ganz okay“, meine Nani mit einem Nicken in Richtung der hinter ihnen liegenden Küche, aus der Gelächter drang. Der zweifellos angeheiterte Se-Jin konterte: „Du meinst so wie …“, er verstellte seine Stimme, „… Kate-Lynn, mit Bindestrich? Oder wie Mister ich-bin-so-stark-und-fit-Jafari?“

      Nani schnaubte amüsiert, während sie sich eine Zigarette anzündete, die werweißwievielte heute. Insgeheim nahm sie sich, wie jede Woche in den vergangenen zehn Jahren vor, weniger zu rauchen, wohl wissend, dass sie es niemals täte. Immerhin zählte die Absicht, versuchte sie sich erfolglos weiszumachen. „Ach, so schlimm sind die beiden auch wieder nicht; junge Liebe, du weißt schon.“

      „Und du weißt ja, was mit kitschigen, jungen Liebespaaren an Halloween geschieht?“, wandte er ein, senkte seine Tonlage und fuhr gespielt dramatisch fort: „Sie werden vom machetenschwingenden Psychopathen als erste filetiert! Sehr bald haben wir sie also vom Hals.“

      „Sei gefälligst weniger gemein“, tadelte Nani ihn, es gelang ihr jedoch nicht, dabei ernst zu wirken, der Wein war ihr längst zu Kopf gestiegen. Als sie an einer der unzähligen Abzweigungen anlangten, erkundigte sie sich: „Ich muss weiter nach achtern, wo liegt deine Kabine?“

      „Im selben Block wie deine, sie haben uns alle nahe beieinander untergebracht“, antwortete Se-Jin und fuhr sich dabei mit der Hand durch eine blau gefärbte Haarsträhne.

      „Woher …?“, setzte Nani an, bis ihr ein Licht aufging. „Du hast dich in den Hauptrechner des Schiffs gehackt? Das ist nicht besonders freundlich zu unseren Gastgebern.“

      „Kinderkram.“ Se-Jin wedelte schalkhaft zur Bestätigung mit seinem Com in der Luft herum. „Man muss sich ja irgendwie beschäftigen.“ Er wechselte sogleich das Thema, wirkte dabei wesentlich begeisterter: „Komm schon, Badass, du hast auf Deru bestimmt irgendeinen zwielichtigen oder spannenden Job am Haken! Was ist es und wie kann ich einsteigen?“

      „Nun mal halblang“, versuchte Nani seine Euphorie zu bremsen. „Wir haben unser Team schon zusammengestellt. Sollten wir aber kurzfristig noch einen Computerspezialisten brauchen, komme ich gerne auf dein Angebot zurück.“

      Er war kaum mehr aufzuhalten, Nani überlegte, ob sie sich von seinem Enthusiasmus anstecken lassen oder indigniert seufzen sollte. „Was ist es? Edelsteine, eine Bank, Daten, Güter …?“

      „So gut kenne ich dich auch wieder nicht, als dass ich das Risiko einginge, dir das jetzt zu erzählen. Immer mit der Ruhe, ja?“

      „Hm“, machte er gespielt gleichgültig, wenn auch mit einer Spur der Enttäuschung in seiner Stimme und sie schlenderten schweigend über den Steg, der eine Ladebucht querte. Es war Nani, die zuerst die Stille brach, als sie beim nächsten Block anlangte. „Erzähl mir mehr von dieser ‚Büchse der Pandora‘.“

      „Kacke, ich muss echt damit aufhören“, grummelte Nani vor sich hin, sah im Halbdunkel auf den friedlich schlafenden Se-Jin, dessen nackter Körper ab und an vom durchs Fenster fallenden Flackern des Elmsfeuers beleuchtet wurde. „Wenn ich so weitermache, lande ich irgendwann noch mit einem Todfeind in der Kiste.“

      Aber was sollte sie sonst schon tun, um ihre Zeit zwischen den Jobs sowie die langen Reisen durch den Hyperraum interessanter zu gestalten? Natürlich, sie trieb Sport, las, versuchte sich weiterzubilden, aber irgendwann hatte sie dabei auch ihr Tagespensum erfüllt. Sex brachte viele Vorteile mit sich, sie musste nicht stillsitzen, was sie hasste und konnte Endorphinausschüttung mit sozialer Interaktion verbinden, was durchaus für sich sprach.

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